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Die Rettung von Großbritanniens Turteltauben

Naomi Larsson
22. Oktober 2020

Die Artenvielfalt in Großbritannien nimmt stetig ab. Auch die einst weitverbreitete Turteltaube ist vom Aussterben bedroht. Können Naturschützer das Überleben der Vögel sichern, die als Symbol für Liebe und Treue stehen?

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Turteltaube Jungtiere im Nest
Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library/J. Bailey

Seit Jahrhunderten gilt die zierliche silberne Taube als Symbol für Liebe und Treue. In der griechischen Mythologie zogen zwei Turteltauben den Streitwagen der Liebesgöttin Aphrodite. Während sie für William Shakespeare für Hingabe standen, verglich Elvis Presley seine Liebste in einem Lied mit ihnen ("I'll call you sweet little things like turtle dove") und in einem traditionellen englischen Weihnachtslied wird ihre enge und starke Bindung betont.

Trotzdem würden viele junge Briten dieses Gurren von Tauben, das Menschen über Jahrhunderte entzückte, nicht mehr erkennen.

Der Grund: Turteltauben - von denen es vier Hauptarten gibt - sind die am stärksten vom Aussterben bedrohte Vogelart Großbritanniens. Gab es vor 50 Jahren noch rund 125.000 Taubenpaare, ist ihre Anzahl zwischen 1967 und 2016 um 98 Prozent gesunken. Heutzutage gibt es laut einer Schätzung der Europäischen Kommission möglicherweise weniger als 5.000 Paare. In ganz Europa ist die Population um über ein Drittel geschrumpft. Turteltauben gelten laut der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN mittlerweile als besonders schutzbedürftig.

"Der Klang von Tauben hat etwas Nostalgisches", sagt Isabella Tree, Leiterin des Knepp Estates, einem wegweisenden Renaturierungsprogramm im Südosten Englands. "Er steht für lange bevorstehende Sommer. Das Ende des Schuljahres. Für Freiheit und Sorglosigkeit… Das Verschwinden der Turteltauben [in Großbritannien und Europa] versinnbildlicht viele andere Dinge."

Eine braun gesprenkelte Turteltaube am Boden
Turteltauben fressen fast ausschließlich am BodenBild: imago images/Ardea/B. Bevan
Wildblumenwiese
Wildblumenwiesen und Buschlandschaften sind perfekt für die Nahrungssuche der Turteltauben geeignetBild: Andy Hay

Biodiversität und Verlust von Lebensraum

Das drohende Aussterben steht stellvertretend für die "Artenvielfaltskrise" Großbritanniens, die vor allem durch die Zerstörung von Lebensräumen vorangetrieben wird. Großbritannien ist laut der Umweltschutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) weltweit eines der Länder mit der am stärksten geschädigten Natur. Die Hälfte der heimischen Pflanzen- und Tierarten sind vom Aussterben bedroht und mehr als 40 Millionen Vögel sind innerhalb eines halben Jahrhunderts verschwunden.

"[Die Turteltauben] dienen als großes Alarmsignal für einen generelles und flächendeckendes Artensterben", meint Isabella Tree. "Sie stehen beispielhaft für andere Arten, denen ein ähnliches Schicksal droht."

Zwischen Juli und September ziehen die Turteltauben Richtung Süden durch Europa bis nach Subsahara-Afrika. Dort überwintern sie in trockenen Wald- und Ackerflächen in Ländern wie Mali und dem Senegal.

Dürreperioden in Westafrika und der Sahelzone könnten zum Rückgang der Turteltaubenarten in Nordeuropa beigetragen haben. Durch den geringeren Niederschlag hat sich der Nachschub von den Samen und Insekten verringert, auf die die Vögel als Energiequelle für ihre langen Heimweg angewiesen sind.

Auf ihrer Reise warten weitere Gefahren auf die Tauben. Zwei bis drei Millionen Vögel fallen auf ihrem Weg durch Europa Jägern zum Opfer. Laut EU-Behörden wird die Jagd in einem nicht mehr nachhaltigem Maß erlaubt. Naturschutzorganisationen in ganz Europa bemühen sich darum, ihre Regierungen zu besseren Regelungen zu bewegen.

Der Hauptgrund für den Rückgang der Tiere ist jedoch der Verlust ihrer natürlichen Lebensräume in Großbritannien und Nordeuropa, wo sie noch vor einigen Jahren während des Frühjahrs und im Sommer ansässig waren.

Zwei Turteltauben trinken Wasser
In Großbritannien ist es für Turteltauben wegen der landwirtschaftlichen Umweltverschmutzung schwer frisches Wasser zu findenBild: Imago Images/Ardea/B. Bevan

Turteltauben brauchen Zugang zu frischem Wasser, offene Flächen, auf denen sie Gras und Wildblumensamen finden sowie dorniges Gebüsch, in dem sie nisten können. Durch den Einsatz von Nitraten in der Landwirtschaft werden immer mehr Gewässer verschmutzt und frisches Wasser damit zur Mangelware in der britischen Landschaft. Grasflächen und Wiesen mit Wildblumen werden wegen neuer Ackerflächen und neuer Ansiedlungen immer weniger.

"Als ich ein Kind war, sprach man von Ödland. Aber eine Strauchlandschaft ist weit entfernt davon, öde zu sein", sagt Marc Outten, Manager in einem Naturschutzgebiet des Essex Wildlife Trusts im Südosten Englands. Auf den Naturschutzflächen dort ist alles zu finden, was Turteltauben zum Leben benötigen: dorniges Gebüsch, freie offene Flächen und Wildblumen.

Naturschutz und Landwirtschaft

"Operation Turtle Dove", ein Gemeinschaftsprojekt verschiedener Hilfsorganisationen, eine davon der Essex Wildlife Trust, arbeitet mit Landbesitzern und Landwirten, um Lebensraum für Turteltauben zu schaffen.

Marc Outten ist für "Blue House Farm" tätig, einem 267 Hektar umfassenden Naturschutzgebiet in der Grafschaft Essex, wo sie wilde verunkrautete Brachflächen reproduziert haben.

"Wir arbeiten jedes Jahr daran, sicherzustellen, dass die Flächen in dem Zustand sind, in dem sie sein sollten. Dafür nutzen wir verschiedene Kleearten", erklärt Outten. "Die Pflanzen sind in dieser Landschaft heimisch und bringen die Samen hervor, die Turteltauben als Nahrung dienen."

Die Vögel ernähren sich von den Samen verschiedener Pflanzen, die hier vor 50 oder 100 Jahren noch zahlreich zu finden waren, fügt Guy Anderson – Leiter des Artenrettungsprogramms der Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) – hinzu.

"Tatsache ist aber, dass mit der schrittweisen Intensivierung unserer Landwirtschaft die Verfügbarkeit dieser Samen immer weiter gesunken ist", so Anderson.

Ein brütendes Turteltaubenpaar
Der Knepp Estate in West Sussex ist ein Brut-Hotspot für TurteltaubenBild: Imago Images/blickwinkel/Agami/T. Muukkonnen
Turteltaube Jungtier im Nest
Bild: Imago Images/Ardea/J. Bailey

Ein Pfeiler von "Operation Turtle Dove" ist daher das Zufüttern, bei dem zusätzliche Nahrungsquellen in Form von Samen und Körnern für die Tiere bereitgestellt werden.

Im Rahmen des Countryside Stewardship-Programms der RSPB können Landwirte in England außerdem finanzielle Unterstützung beantragen, um so Lebensräume für Turteltauben zu schaffen.

Laut Otten habe es zwar in den letzten vier Jahren keine Vergrößerung der Taubenbestände durch das Projekt gegeben, trotzdem sei es zu einer Verbesserung der Lebensräume für die Vögel durch Maßnahmen von Landbesitzern und Landwirten gekommen.

Eine Oase für Turteltauben

Der 1400 Hektar große Knepp Estate in West Sussex ist ein Projekt, das einen eigenen Weg einschlägt und eines von wenigen, in denen die Zahl der Turteltauben steigt.

Isabella Tree und ihr Ehemann Charlie Burrell haben vor fast 20 Jahren ihr zuvor stark bewirtschaftetes Land in ein Renaturierungsprojekt umgewandelt und es so wieder der Natur überlassen.

Nur ein Jahr, nachdem sie den südlichen Teil ihres Grundstückes in seinen natürlichen Zustand zurückversetzt hatten, konnten sie zum ersten Mal Turteltauben hören. Heutzutage ist der Knepp Estate mit geschätzten 19 Turteltauben-Paaren ein Brut-Hotspot. Im Knepp Estate sind zudem 2% der britischen Nachtigallen beheimatet.

Isabella Tree sieht die Zufütter-Programme kritisch. Aus ihrer Sicht sind sie zu kurz gedacht. Sie stellt infrage, ob die Turteltauben überhaupt eine Chance haben, die ausgestreuten Samen zu fressen, bevor ihnen andere Tiere zuvorkommen.

"Lebensraum wiederherzustellen wird die Lösung sein", sagt Isabella Tree, "[Die Turteltauben] müssen unter anderem natürlichen Wildblumensamen sofort vorfinden können, sobald sie im Frühjahr ankommen."

Ihre Idee: Wildtierkorridore einrichten, um so eine Artenvielfalt wiederherzustellen. Das könne in Form von Hecken geschehen, die man ungestört wachsen lasse oder etwa durch die Renaturierung eines ganzen Flusssystems.

Für die Naturschützerin steht fest: "Bis wir keine handfeste Strategie haben, die es Naturflächen ermöglicht, zusammen zu wachsen, werden wir auch kein widerstandsfähiges Ökosystem haben."