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PolitikEuropa

Kriegsdienstverweigerer vor verschlossenen Türen

5. Oktober 2022

Tausende russische Männer fliehen aus ihrer Heimat. Sie wollen sich der Einberufung in die Armee und dem Einsatz in der Ukraine entziehen. Doch in vielen europäischen Ländern finden sie keine Aufnahme.

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Russische Kriegsdienstverweigerer bitten an der finnischen Grenze um Aufnahme Hand mit einem roten russischen Pass
Russische Kriegsdienstverweigerer bitten an der finnischen Grenze um AufnahmeBild: Lehtikuva via REUTERS

Lange Autoschlangen an den russischen Grenzen zu Georgien, Finnland und Kasachstan. Ausgebuchte Flugzeuge nach Serbien, Dubai und sogar Belarus. Russische Männer haben in den letzten Tagen in Scharen das Land verlassen, um der Teilmobilmachung zu entgehen. Sie war von der russischen Führung verkündet worden, um die unter Druck geratenen Soldaten in der Ukraine zu verstärken. Doch in Europa schlagen viele Länder den Kriegsdienstverweigerern die Tür vor der Nase zu. Finnland hat inzwischen seine Grenzen geschlossen, andere Länder erteilen den russischen Flüchtlingen keine Visa. Wie sieht es in Mittel- und Südosteuropa aus? Wir haben unsere Korrespondenten gebeten, uns aus ihren Ländern zu berichten.

Tschechien: Angst vor russischen Spionen 

Präsident Milos Zeman spricht sich für die Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer aus. "Ich denke, wir sollten diesen Menschen ein Visum geben, genau wie den ukrainischen Flüchtlingen", sagte er. Zeman war bis letztes Jahr ein Anhänger Putins, hat sich inzwischen jedoch zu einem scharfen Gegner des russischen Präsidenten gewandelt. Doch seine Worte stoßen in Prag auf taube Ohren. Nur Dissidenten werden aufgenommen, Kriegsdienstverweigerer jedoch nicht. Russen, die sich der Mobilisierung entziehen, hätten keinen Anspruch auf ein humanitäres Visum, so Außenminister Jan Lipavsky. "Wer aus dem Land flieht, weil er die vom eigenen Staat auferlegte Verpflichtung nicht erfüllen will, erfüllt nicht die Voraussetzungen für ein humanitäres Visum", wird Lipavsky von der Nachrichten-Website CT24 zitiert.

Der tschechische Außenminister Jan Lipavsky spricht hinter Mikrofonen bei einer Pressekonferenz in Prag im April 2022
Der tschechische Außenminister Jan LipavskyBild: Tomas Tkacik/ZUMA Wire/IMAGO

Der Außenminister rechtfertigt dies unter anderem mit Sicherheitsbedenken. "Es kann nicht unser Ziel sein, dass sich die Deserteure in unserem Land tummeln, das wäre auch ein Sicherheitsrisiko für unseren eigenen Staat", so Lipavsky. Denn: "Möglicherweise befinden sich unter ihnen russische Agenten." Er arbeite seit langem daran, den Einfluss der russischen Geheimdienste in Europa zu schwächen. So habe die Tschechische Republik im vergangenen Jahr 81 der Spionage verdächtige russische Diplomaten ausgewiesen. Sie seien für den Anschlag auf ein Munitionslager im Jahr 2014 verantwortlich.

Russland Georgien Flüchtende im Stau an der Grenze
Mit dem Auto, mit dem Fahrrad oder zu Fuß - russische Männer fliehen über die Grenze nach GeorgienBild: Yelena Afonina/dpa/TASS/picture alliance

Schon seit Beginn der russischen Aggression im Februar 2022 stellt Tschechien keine Touristenvisa mehr für Russen aus. Auf einem informellen Gipfeltreffen der EU-Außenminister am 31. August in der tschechischen Hauptstadt hatte die Regierung erfolglos versucht, die Aussetzung der Schengen-Visa für russische Bürger für die gesamte EU verbindlich zu machen. Am Ende einigten sich die EU-Länder auf einen Kompromiss: Visa sollen zwar nicht verweigert, ihre Ausstellung aber teurer und komplizierter werden. "Das ist ein guter Schritt, aber nicht genug", sagte Außenminister Lipavsky damals.

Polen: Dissidenten ja, Kriegsdienstverweigerer nein

Auch Warschau macht Sicherheitsbedenken geltend. Sowohl aus sicherheitspolitischer als auch aus moralischer Sicht sei es "höchst unratsam", eine größere Zahl an Russen aufzunehmen, erklärte Außenminister Zbigniew Rau. Und Vize-Innenminister Marcin Wasik warnte, dass sich unter dem Vorwand, vor dem Kriegsdienst zu fliehen, Mitarbeiter russischer Geheimdienste einschleichen könnten.

"Wir wollen keine russischen Staatsbürger aufnehmen, die bisher das Putin-Regime unterstützt haben, und jetzt, da sie wahrscheinlich an die Front gehen müssen, zu großen Demokraten geworden sind und planen, Russland zu verlassen", sagte Michal Dworczyk, Chef der Kanzlei des Ministerpräsidenten im polnischen Staatsrundfunk. Polen schließe aber nicht die Grenze vor Menschenrechtlern, die wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt würden, schränkte der enge Mitarbeiter von Regierungschef Mateusz Morawiecki ein.

Georgien | Lange Schlangen bei der Einreise aus Russland
Lange Schlangen an der georgischen Grenze nach der Teilmobilmachung in RusslandBild: Davit Kachkachishvili/AA/picture alliance

In den Medien wird das Thema kontrovers diskutiert. Das liberalkonservative Blatt Rzeczpospolita spricht sich gegen die Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer aus. "Russische Statistiken zeigen, dass fast 80 Prozent der Bevölkerung Putin und seine Aggression gegen die Ukraine unterstützen", erinnert der Kommentator und versichert, dass die Schließung der polnischen Grenze keine "blinde Vergeltung" oder "Einführung kollektiver Verantwortung", sondern "ein Schlag gegen die stille gesellschaftliche Basis dieser Macht" sei.

Der konservative Publizist Lukasz Warzecha plädiert dagegen für eine "pragmatische Einstellung": "Ermunterung der Soldaten zur Fahnenflucht gehört zu den besten und ältesten Sabotage-Methoden. Putin hat uns diese Möglichkeit auf dem Tablett serviert", schreibt er im Online-Portal Onet und ergänzt: "Unser Ziel bleibt die Schwächung Russlands."

Polen hatte bereits am 19. September die Einreise für russische Staatsbürger drastisch eingeschränkt: Russische Touristen, Geschäftsleute, Sportler und Künstler können seitdem nicht mehr ins Land kommen. Trotzdem sind die Grenzen des Landes auch für Kriegsdienstverweigerer oder Deserteure nicht hermetisch geschlossen. So berichtete etwas das Internetportal Wirtualna Polska über einen 32-jährigen Alexander, der es mit dem Flugzeug aus Moskau über die Türkei und Ungarn problemlos in die polnische Hauptstadt geschafft habe.

Griechenland: Keine Aufnahme von Deserteuren

An der griechischen Grenze sind bislang keine Russen im Militärdienst-Alter aufgetaucht, die in Griechenland um Asyl bitten. Sie hätten über die Türkei kommen müssen, und diese Grenze ist für alle Flüchtlinge dicht. Sollten russische Kriegsdienstverweigerer es trotzdem nach Griechenland schaffen, würden sie höchstwahrscheinlich nicht willkommen geheißen. Die griechische Gesetzgebung sieht kein Asyl für diejenigen vor, die nicht im Dienst ihres Landes an die Front gehen wollen. Desertieren betrachtet man als Straftat, und Straftäter haben kein Recht auf Asyl in Griechenland. Die Aussage "Ich will nicht gegen die Ukraine kämpfen” würde also nicht reichen, um ins Land zu kommen.

Anti Kriegs Protest in Thessaloniki - Gemeinsam demonstrieren Ukrainer, Griechen und Russen in Thessaloniki gegen Putins Angriffskrieg.
Auch in Griechenland protestieren Menschen gegen den Krieg in der Ukraine, Kriegsdienstverweigerer sind jedoch nicht willkommenBild: Florian Schmitz/DW

Asyl wird nur solchen Russen gewährt, die nachweisen können, dass sie bereits vor der Mobilmachung in Russland aus politischen, religiösen und anderen Gründen verfolgt wurden. Auch in der öffentlichen Diskussion gibt es keine Bereitschaft, Kriegsdienstverweigerer als verfolgte Dissidenten zu sehen, die ein Recht auf Schutz haben. Stattdessen erwartet man von ihnen, dass sie in ihrem Land bleiben und kämpfen sollen, sei es gegen den Feind oder gegen den Diktator. Im Fall Russlands kommt hinzu, dass man nicht davon ausgeht, dass die Männer, die jetzt zu desertieren oder zu fliehen versuchen, sich zuvor Putin und seinem Angriffskrieg widersetzt haben.

Ganz anders betrachtet die griechische öffentliche Meinung die Mitglieder der griechischen Minderheit in der Ukraine. Die meisten von ihnen leben in der Umgebung von Mariupol, in Gebieten, die von Russland besetzt wurden. Diese Menschen würde man gern aufnehmen, wenn sie darum bitten sollten, auch diejenigen unter ihnen, die prorussisch sind.

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Kaki Bali DW-Korrespondentin in Griechenland