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Trier trauert am Tag nach der Amokfahrt

Lisa Hänel | Helena Kaschel
2. Dezember 2020

Vier Minuten dauerte die Amokfahrt in der Trierer Innenstadt - und löschte fünf Menschenleben für immer aus. Am Tag danach steht die Stadt noch unter Schock und sucht nach Wegen, mit der Katastrophe umzugehen.

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Eine Menschenkette zum Gedenken der Opfer vor der Porta Nigra in Trier
Eine Menschenkette zum Gedenken der Opfer vor der Porta Nigra in TrierBild: Lisa Hänel/DW

Der Tag der Katastrophe begann für Pater Aloys Hülskamp wie ein ganz normaler Dienstag. Um 13 Uhr habe er noch eine Beerdigung begleitet, erzählt der Notfallseelsorger. Er sitzt auf einer Bank in der Kirche Christkönig, rund zehn Autominuten von der Trierer Innenstadt entfernt.

Nach der Beerdigung habe er auf seinem Handy einen verpassten Anruf einer Kollegin gesehen. "Ich habe sie zurückgerufen und sie hat dann geschildert: Großalarm, möglichst alle Notfallseelsorger sollten sich in der Innenstadt einfinden, beim Stadttheater." Gegen halb drei nachmittags sei er dort angekommen. Kurz, nachdem mutmaßlich ein 51-jähriger Mann mit einem SUV in einer belebten Einkaufsstraße absichtlich in Menschen hineinfuhr. Fünf starben. Das jüngste Opfer ist ein neun Wochen altes Baby.

Vor Ort sei den Notfallseelsorgern gesagt worden, dass Menschen aus der Stadt ins zentral gelegene Theater gebracht würden und dort betreut und begleitet werden sollten. "Es war auch eine Art Empfangsdienst, es wurden die Personalien von denen, die da ankamen, aufgenommen und es waren Notärzte da." Danach hätten die Notfallseelsorger sich mit Einzelpersonen und Kleingruppen zurückgezogen und Gespräche geführt.

Notfallseelsorger Hülskamp im Inneren einer Kirche in Trier
"Ich werde mein Leben lang an diesen Tag denken", sagt Pater HülskampBild: Helena Kaschel

Zum Teil seien die Menschen von außerhalb gekommen, manche um in der Stadt Weihnachtseinkäufe zu erledigen. "Sie waren sehr schockiert, betroffen, traumatisiert - wie man es auch bezeichnen soll", sagt Hülskamp. Ein junger Mann habe unter anderem gesehen, wie eine Frau durch die Luft geflogen und das Auto anschließend im Zickzack weitergefahren sei.

"Seine Frau war auch dabei, sie war gerade im Geschäft gewesen. Sie haben selbst kleine Kinder von vier und zwei Jahren und waren sehr betroffen, mitzubekommen, dass ein Baby gestorben ist", sagt Hülskamp. Er ist erfahren, seit rund 15 Jahren in der Notfallseelsorge. Doch das geht auch ihm sehr nahe: "Total schlimm. Das hat mich selbst sehr berührt, so junge Eltern zu erleben, die selbst Kinder haben und wie sie es dann erzählen."

Anteilnahme zeigen

Das Wahrzeichen Triers ist die Porta Nigra, ein Stadttor noch aus römischer Zeit. Hier beginnt die Einkaufsstraße, die der Amokfahrer entlangfuhr. Hiergab es heute eine Trauerfeier. Und hierher strömen noch Stunden später an diesem Mittwochnachmittag die Menschen. Viele legen Blumen und Kerzen nieder - und können noch immer nicht begreifen, was passiert ist. Das Blumenmeer wächst stetig.

In der gesamten Einkaufsstraße finden sich Blumen und Kerzen. Vor einem Geschäft liegen besonders viele Blumen, hier ist eines der Opfer gestorben. Die Straße endet am Hauptmarkt. Die Polizei hat dort gemeinsam mit der Notfallseelsorge eine mobile Anlaufstelle aufgebaut. Eine Notfallseelsorgerin spricht beruhigend auf eine blonde Frau ein, die mit zittriger Stimme vom gestrigen Tag berichtet.

Viele Betroffene suchten erst heute, einen Tag später, nach Hilfe, sagt Marc Powierski, Leiter der Zentralen Prävention am Polizeipräsidium Trier. Seit sieben Uhr morgens steht er auf dem Hauptmarkt und betreut die mobile Anlaufstelle. "Es gab jetzt immer wieder einige Betroffene, die gesagt haben, dass sie gestern einfach nur nach Hause gelaufen sind und gar nicht in der Lage waren, irgendwie mit jemandem zu sprechen, beziehungsweise auch keinen Bedarf hatten, mit jemandem zu sprechen. Die kommen jetzt so nach und nach."

Zwei Polizeiwagen stehen auf einem Platz in Trier, hinter ihnen hat die  Polizei ihre mobile Anlaufstelle aufgebaut
Mit einer mobilen Anlaufstelle will die Polizei die Menschen in Trier unterstützenBild: Lisa Hänel/DW

Einer der Hilfesuchenden ist Chef eines Geschäfts, vor dessen Türen eines der Oper verstarb. Seine Mitarbeiterin habe alles mit ansehen müssen. Doch anstatt sich zu schonen, habe sie sofort wieder arbeiten und so in den Alltag zurückfinden wollen. Viele, sagt Powierski, seien auch deshalb so geschockt, weil die Tat ohne Vorwarnung kam und jeden hätte treffen können. "Es ist eine große Betroffenheit da, weil viele kurz vorher selbst in der Stadt waren. Oder sie kennen Leute, die kurz vorher in der Stadt waren, die es auch hätte treffen können. Es ist sehr greifbar alles."

So geht es auch Adele. Sie ist am Nachmittag zur Porta Nigra gekommen, um eine Kerze niederzulegen. "Es ist nur schrecklich. Ich möchte Anteilnahme und Solidarität zeigen für die Betroffenen". Zum Zeitpunkt der Amokfahrt sei sie auf der Arbeit gewesen, in der Mittagspause habe sie davon erfahren. "Eine halbe Stunde zuvor war ich selbst noch in der Straße, in der es passiert ist."

"Eine ganz große Solidarität"

Pater Aloys Hülskamp glaubt, dass die Tat überall hätte passieren können. "Eine totale Sicherheit werden wir nie haben, die gibt es nicht", ist er überzeugt - und macht sich Sorgen, dass viele Menschen künftig mit Angst in der Stadt unterwegs seien. "Ich bin sicher, wenn ich jetzt bald wieder mit meinem Fahrrad durch Trier fahre, dann werde ich daran erinnert."

Zugleich hat der Notfallseelsorger Signale der Hoffnung registriert: "Es war gestern alles sehr dramatisch, sehr traurig, eine ganz große Hilflosigkeit, ein großes Entsetzen. Auf der anderen Seite habe ich unheimlich viele Menschen erlebt, die engagiert waren, die sich angeboten haben, da zu sein, zu unterstützen, eine ganz große Solidarität und ein ganz wertvolles Miteinander."

Er sei überzeugt, dass die Menschen in ihrem Umfeld viel Unterstützung und Empathie erführen. "Ich glaube, dass es im Moment zigtausende offene Ohren gibt von Menschen zuhause, in den Schulen, am Arbeitsplatz, überall, die einfach zuhören, die alle Seelsorger sind. Im Moment erleben wir es in Trier alle, wir tun einander gut, weil wir alle in einem Boot sind, weil wir alle traurig sind und das alle erleben mussten." 

Am Donnerstag sollen in der Stadt um 13:46 die Glocken läuten - genau zu dem Zeitpunkt, als die Amokfahrt begann. Trier steht erst am Anfang, das Erlebte zu verarbeiten.