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32. Studieren mit Behinderung

29. Oktober 2021

Für Menschen, die unseren Podcast nicht hören können, stellen wir hier ein Transkript zur Verfügung: Haben Studierende mit Behinderung an der Universität gleiche Chancen oder sind sie dort auf sich selbst gestellt?

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Zum Podcast geht es hier.

Jingle: DW. "Echt behindert!"

Jingle: DW. "Echt behindert!"

Moderator Matthias Klaus: Herzlich willkommen zu "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus.

Gerade hat in Deutschland das neue Semester begonnen und dieses ist auch endlich wieder nicht nur virtuell, sondern auch mit Präsenzveranstaltungen in den verschiedenen Universitäten und Hochschulen Deutschlands. Für uns ein Grund mal nachzufragen, wie es denn so funktioniert für Menschen mit Behinderung im Studium.

Dazu habe ich drei Menschen versammelt: Drei Gäste und Gästinnen hier im Podcast bei "Echt behindert!". Zum ersten ist das Dr. Carsten Bender von der Technischen Universität Dortmund vom Bereich DoBus. Das steht für Dortmund und für Behinderung und Studium. Außerdem Ina-Marie Ernst. Sie wiederum studiert an der TU Dortmund und ist im Autonomen Behindertenreferat tätig. Außerdem haben wir noch Christoph Kärcher. Er hat sein Studium vor kurzem beendet, hat Universitätserfahrung an zwei Universitäten und ist derzeit eingeschrieben an der Fern-Uni Hagen. All diese drei begrüße ich jetzt sehr herzlich. Schönen guten Tag!

Dr. Carsten Bender: Hallo!

Ina-Marie Ernst: Hallo!

Christoph Kärcher: Hallo!

Matthias Klaus: Hallo zusammen. Herr Bender, die TU Dortmund gilt als eine der vorbildlichen Universitäten was das Thema Behinderung angeht. Wie haben Sie sich diesen Ruf erarbeitet?

Dr. Carsten Bender: Das hängt, glaube ich, vor allen Dingen damit zusammen, dass wir an der TU Dortmund schon seit über 40 Jahren zu dem Thema arbeiten. Angefangen von tatsächlich in den 70er Jahren Studierenden, die aus der sogenannten Behindertenbewegung heraus angefangen haben, sich für die Rechte von Studierenden mit Behinderung einzusetzen.

Damals war es ganz grundlegend in den 70er Jahren:  Ja, wir haben überhaupt das Recht zu studieren und grundlegende bauliche Barrieren abzubauen, bis dann zunehmend Barrieren in den letzten vierzig Jahren in Dortmund abgebaut wurden und auf der anderen Seite Unterstützungsangebote etabliert wurden. Also ein spezifisches Beratungsangebot für Studierende mit Behinderung: Arbeitsraum, Hilfsmittelpool, Umsetzungsdienst - also eine ganze Reihe von Angeboten, die aufgebaut wurden.

Und so hat sich das entwickelt, dass eben seit einigen Jahren auch die Hochschulleitung an sich sagt: "Ja, das ist ein wichtiges Thema an unserer Hochschule und zählt mit zu unserem Profil."

Matthias Klaus: Wenn die Studierenden oder vielleicht auch eher die Studienwilligen, so den Erstkontakt zu ihnen aufnehmen, mit was kommen die denn dann so? 

Dr. Carsten Bender: Die kommen dann wie alle anderen Studierenden: Die wollen bei uns an der TU Dortmund, Biochemie, Ingenieurwesen, Lehramt oder sonst irgendwas studieren. Ich glaube, das ist gerade, finde ich, so ein Wandel. In den letzten Jahren kommen die Studierenden mit dem Wissen zu uns an eine Hochschule: Sie haben das Recht chancengleiche Studienbedingungen zu haben. Sie interessieren sich, glaube ich, dann viel [für die Fragen]: "Wie geht das?" Und wenn es an bestimmten Punkten dann Schwierigkeiten gibt, dann landen sie möglicherweise bei uns in der Beratung.

Wie so häufig ist der Einstieg oder eine Frage das Thema: Nachteilsausgleich. Das heißt, im Zusammenhang mit der Bewerbung um einen Studienplatz oder im Zusammenhang mit Prüfungen gibt es das Recht, im Zusammenhang mit der Behinderung einen Antrag auf Nachteilsausgleich zu stellen. Das bedeutet, dass man vorrangig einen Studienplatz kriegt oder auch Prüfungsbedingungen bekommt, die sozusagen die behinderungsbedingten Nachteile gegenüber anderen Studierenden ausgleichen.

Das sind häufig die Anlässe. Immer wieder denken die Studierenden: "Ich bin ja der Einzige, der hier irgendeine Form von gesundheitlicher Beeinträchtigung als körperliche, motorische oder psychische Beeinträchtigung hat." Und deshalb versuchen wir dann immer, die Studierenden untereinander in unserem Mentoring-Programm, in unseren Veranstaltungen in Kontakt zu bringen. So können sie sich über die Situation im Studium austauschen und im Sinne des Empowerments sich gegenseitig unterstützen, erfolgreich zu studieren.

Matthias Klaus: Eine "wie gemalte" Moderationsbrücke jetzt: Frau Ernst, welche Rolle haben Sie in diesem System?

Ina-Marie Ernst: Also ins System reingekommen bin ich natürlich erst mal als Studentin selber. Das heißt, ich habe angefangen, mich für ein Studium an der TU zu interessieren und habe dann im gleichen Zug gemerkt: "Okay, aber alleine schaffe ich das so nicht. Das funktioniert für mich nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen."

Ich habe eine psychische Beeinträchtigung. Das heißt, für mich kommen  zum Beispiel viele andere Sorgen dazu, die viele Studierende haben. Ich denke mal so gerade am Anfang Fragen wie: "Komme ich rein? Finde ich Leute?" Und bei mir war das halt sehr, sehr stark. Und dann habe ich gesagt: "Okay, was brauche ich? Was brauche ich eigentlich, um das zu können?" Und dann bin ich auf DoBus gestoßen, habe auch von dem Peer Mentoring profitiert.

Also bin in Verbindung mit anderen Studierenden gekommen, wie Carsten das schon sagte. Dieses sich gegenseitig zu unterstützen, sich gegenseitig kennenzulernen und zu sehen, dass man nicht alleine ist. Und von da aus habe ich dann das "ABeR" kennengelernt und das ist quasi die studentische Vertretung der Studierenden mit Behinderung und chronischen Erkrankungen. 

Matthias Klaus: Für was steht der Begriff?

Ina-Marie Ernst: "ABeR" heißt Autonomes Behindertenreferat. Mich da engagieren wollte ich oder bin da hingekommen, weil ich gerade denke, dass psychische Beeinträchtigungen schwer zu verbalisieren sind. Sie sind unsichtbar. Das heißt, man muss sich in dem Sinne auch nicht immer outen und weiß auch nicht gut, wie das  funktioniert. Es ist mit viel Scham behaftet und deswegen bin ich einfach...

Ich in meiner Position sage: "Ich brauche jemanden, der sichtbar ist, der erzählt, der auch über Persönliches reden kann und für den das okay ist", weil man muss natürlich die Privatsphäre aller Menschen auch respektieren. Und dann habe ich mich für das ABeR interessiert, weil ich gerne Aufklärungsarbeit machen möchte und Unterstützung leisten möchte, um psychische Beeinträchtigungen im Studium sichtbar zu machen und gerade auch an der TU quasi mit anpacken zu können, dass sich Dinge vereinfachen und verbessern für Studierende mit psychischen Beeinträchtigungen,

Matthias Klaus: Um die Runde zu vervollständigen. Herr Kärcher, Sie haben wo studiert? An welchen Universitäten?

Christoph Kärcher: Ich habe meinen Bachelor an der SRH Hochschule in Heidelberg gemacht. Da habe ich Betriebswirtschaftslehre studiert und meinen Master habe ich an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt am Campus in Ingolstadt gemacht und habe da auch Betriebswirtschaftslehre studiert. Also, das sind beides eher zwei kleinere Universitäten. Und jetzt im Sommer habe ich mich jetzt für das Wintersemester an der Fernuni in Hagen immatrikuliert, für einen Bachelor of Law. 

Matthias Klaus: Sie sind blind. Welche Erfahrungen haben Sie am Anfang gemacht im ersten Semester? Lief das alles automatisch super, oder gab es da auch Probleme?

Christoph Kärcher: Ich habe natürlich schon bei der Wahl meines Studiengangs bzw. vor allem auf der Uni natürlich schon drauf geschaut: "A. Was liegt mir so für eine Uni oder für eine Hochschule? Und B. Wie offen sind die für das Thema? Gerade auch für das Thema Behinderung."

Ich bin jetzt nicht an diese klassischen Unis gegangen, so wie Marburg, Dortmund oder Gießen, wo man halt weiß: Die haben halt schon irgendwie spezielle Einrichtungen für Behinderte oder insbesondere auch für Blinde, sondern ich habe mir das alles irgendwie so ein bisschen selber zusammengesucht.

Ich hatte also die grundsätzliche Zusage, dass die Uni oder die Hochschule grundsätzlich bereit ist, das mit mir irgendwie zu machen. Und dann bin ich, muss ich ehrlicherweise sagen, auch so ein bisschen unbedarft in mein allererstes Bachelor Semester reingestolpert.

Die Hochschule war, wie gesagt, nicht sehr groß. Von daher konnte ich mich da relativ schnell zurechtfinden. Aber gerade was so angeht: Material zusammensammeln... Es gab da keine Stelle, die das irgendwie umgesetzt hätte, sondern dafür war ich verantwortlich mit den Dozenten in Kontakt zu treten, vorab Skripte anfordern.

Das hat tatsächlich so ein bisschen Routine gebraucht. Aber als ich dann da mal drin war, dann lief das eigentlich sehr gut, oder, ja... Da kann man schon sagen: "Sehr gut." Mein Master, dann - da hatte ich ein bisschen mehr Erfahrung, wobei es da auch im Grunde genommen nicht viel anders war.

Auch die Universität, wo ich dann war, hatte jetzt keine spezielle Stelle, die jetzt irgendwie Materialien umsetzte. Klar, die hat auch einen Behindertenbeauftragten und so. Aber ich habe mich eigentlich auch bewusst dafür entschieden, das irgendwie selber in die Hand zu nehmen, weil ich dachte: Das ist jetzt für mich irgendwie machbar. BWL ist grundsätzlich mittlerweile ein Studium, was man relativ gut auch umsetzen kann.

Matthias Klaus: Herr Bender, an der Universität Dortmund gibt es ja wahrscheinlich auch blinde und sehbehinderte Studierende. Wie sieht es dort aus mit der Medienbeschaffung? Komme ich da als Mensch im ersten Semester hin und sage so: "Das hier ist mein Studium. Bitte, man setze mir alle Medien immer sofort um?" Oder wird da im Einzelfall verhandelt? Wie läuft das bei Ihnen? 

Dr. Carsten Bender: Ich würde gerne noch einen kleinen Punkt ansetzen, was Herr Kärcher sagte: Nämlich er hat gesagt: "Ja, es gibt da gewisse Unis, die vielleicht als vorbildlich gelten, da wo es gute Bedingungen gibt." Aber er hat sich für eine andere Uni entschieden. Und das ist eigentlich auch genau die Position, die wir in DoBus schon seit vielen Jahren vertreten, nämlich den Grundsatz: Alle. Alles. Überall!

Also, wir würden jetzt nicht sagen: "Wir müssen in Deutschland ein paar Unis haben, wo bestimmte Studiengänge für bestimmte Gruppen gut sind." Sondern wir würden immer dafür plädieren, dass die Schüler sich interessierten, sich überlegen: Welches Fach wollen sie studieren und unabhängig von der Behinderung sich dann entscheiden: A. das Studienfach und B. in welcher Stadt. Wo möchten Sie das Studieren? Und nicht sagen: "Ich will eigentlich Jurist werden, aber die TU Dortmund ist ja so gut, angeblich für Menschen mit Sehbehinderung, deswegen studiere ich in Dortmund Lehramt." Das würden wir nicht gut finden.

Deswegen finde ich das super, wenn Herr Kärcher sagt: Ja, er hat seine Entscheidung getroffen, wo er studieren will und sich dann selber seinen Weg finden müssen. Und ich glaube, das ist eben der Unterschied in der Hochschule in Dortmund. Bei diesem "selber den Weg finden müssen", dabei hätten wir begleiten und unterstützen können.

In der Beratung hätte es Information gegeben: Wohin muss ich mich wenden? Wo kann ich Nachteilsausgleich beantragen? Jemand, der ihn berät, sagt: "Wie geht das? Welche Dokumente brauche ich?" Oder wenn er nachfragt nach den Studienmaterialien: Wir haben in Dortmund ein Angebot, wo die Studierenden sich melden können und sagen (also vor allen Dingen Studierende mit Sehbeeinträchtigung): "In diesem Semester suche ich Lehrveranstaltung A, B, C und D" und die Dozenten haben die und die Materialien zur Verfügung, die möglicherweise nicht nutzbar sind.

Dann hätte die Kollegin von uns in DoBus sozusagen das regelmäßig umgesetzt und stellt den Studierenden das zur Verfügung, sowohl Studienmaterialien wie Text basierte Sachen, Präsentationen und so etwas, aber auch Videos mit Audiodeskription erstellen wir. Und vor allen Dingen (was viel viel genutzt wird): Die ganzen Klausuren müssen wir noch mal so aufbereiten, dass die Studierenden, die assistive Technologien nutzen, auch wirklich gute Bedingungen haben. So eine komplexe Multiple Choice Klausur, zum Beispiel, müssen sie ja auch gut bearbeiten können.

Matthias Klaus: 35.000 Menschen, Frau Ernst, an der Technischen Universität Dortmund: Wie viele Studierende haben eine Behinderung? Wissen Sie das?

Ina-Marie Ernst: Das ist eine gute Frage. Da würde ich zu sagen: Wahrscheinlich mehr als wir wissen, mehr als wir erreichen. Und vermutlich, wenn es um psychische Beeinträchtigung geht, mehr als die, die tatsächlich Hilfe annehmen und Hilfe wollen.

Das wäre dann der Punkt, der mich interessiert: Wie kann ich Menschen unterstützen, die mit ihrem Studium kämpfen, gerade mit psychischen Beeinträchtigungen, weil das halt einfach auch mein Schwerpunkt eher ist...

Wie kann man diese Menschen unterstützen? Wie kann man ihnen Hilfe anbieten? Wie kann man ihnen vermitteln, dass das okay ist?

Matthias Klaus: Herr Bender, noch mal vielleicht ins Grundsätzliche zurück. Wenn Sie so vergleichen mit was kommen die Leute zu Ihnen? Haben Sie das mal statistisch erhoben? Welche Menschengruppen, welche Behinderungsarten, tauchen denn da bei Ihnen in welcher Zahl auf?

Dr. Carsten Bender: Wir erheben es nicht für unser Angebot, aber wir haben Daten vom Deutschen Studentenwerk. Die machen regelmäßig alle paar Jahre die Sozialerhebung bei den Studierenden. Und da wissen wir, dass zehn bis elf Prozent der Studierenden angeben: Sie haben eine gesundheitliche Beeinträchtigung.

Und dann wird noch mal differenzierter gefragt: Welche Form? Und da ist tatsächlich die Gruppe, die angeben, sie habe eine psychische Beeinträchtigung, mit weitem Abstand die größte. Und dann gibt es da noch die Studierenden mit chronischen Erkrankungen.

Was heißt chronische Erkrankungen? Wir haben Studierende mit einer Krebsdiagnose, die bei uns sind, möglicherweise welche, die dialysepflichtig sind, eine Nierenerkrankung haben. Das sind also wirklich auch schwerwiegende massive Erkrankungen. Es gibt aber auch manchmal andere Situationen, wie jemand, der Diabetes hat und dann an bestimmten Stellen im Sportstudium mal ein Problem hat. Oder der Leute, die eine Unverträglichkeit haben und dann im Labor wegen ihrer Allergie nicht bestimmte Handschuhe nutzen dürfen.

Behinderung ist wirklich total vielfältig und auch, inwiefern das im Studium relevant wird. Bei Menschen mit Blindheit und Beeinträchtigung im Rollstuhl ist das vielleicht das ganze Studium über immer ein Thema. Es gibt aber andere Studierende, die sagen: "Okay. Wir haben eine Krebserkrankung weitestgehend überstanden", sich regeneriert, und dann wird es wieder weniger ein Thema. Also das ist wirklich total vielfältig. 

Matthias Klaus: Mal ganz konkret das Thema "Prüfungserleichterung." Wie funktioniert das? Was bekommt da wer?

Dr. Carsten Bender: "Prüfungserleichterung" soll man es schon mal gar nicht nennen, sondern eher das Thema "Nachteilsausgleich". Weil das ist uns ganz wichtig und glaube ich insgesamt in der Diskussion in Hochschulen.

Es geht nicht darum, es den Studierenden mit Behinderung mit chronischen Erkrankungen leichter zu machen, sondern das Ziel ist letztendlich: Es sollen chancengleiche Studienbedingungen zu Studierenden ohne Erkrankung da sein. Und das muss immer beim Prüfungsausschuss beantragt werden. Der muss das genehmigen für eine Prüfung oder wenn sich die Situation nicht verändert, auch eine ganze Reihe Prüfungen.

Und dann ist es, wie gesagt, eine Einzelfallentscheidung. Bei blinden und sehbehinderten Studierenden heißt es häufig: die bekommen adaptierte Materialien. Das wird erlaubt. Sie dürfen Hilfsmittel benutzen. Es kann aber auch heißen, dass, weil sie mit dem Computer langsamer arbeiten, es mehr Zeit gibt.

Studierende zum Beispiel mit psychischer Beeinträchtigung, mit Angststörungen brauchen in einer Stresssituation vielleicht zehn Minuten, um eine Panikattacke zu bewältigen zu Beginn der Prüfung. Das wären dann Chancengleiche Studienbedingungen. Sie bekommen diese Zeit mehr.

Oder wir haben Studierende mit Autismus, die sind sehr dadurch gestört, wenn es Nebengeräusche gibt, wenn im Raum was passiert, da ist dann zum Beispiel der Nachteilsausgleich: Sie dürfen in einem separaten Raum schreiben.

Matthias Klaus: Herr Kärcher mal zu Ihnen. Wenn Sie damals an zwei Unis studiert haben, hatten Sie auch schon mal etwas, was überhaupt nicht funktioniert hat, wo Sie was aufgegeben haben?

Christoph Kärcher: Prinzipiell konnte ich so jedes Modul irgendwie belegen. Das war eigentlich kein Problem. Klar, ich habe mir natürlich auf dem Schwerpunkt auch die Bereiche gesucht, die man natürlich auch einigermaßen gut belegen kann als Blinder und die mir natürlich auch noch ein bisschen liegen.

Ja, was gar nicht geht? Das fällt mir so ad hoc ehrlich gesagt auch gar nicht ein.

Matthias Klaus: In meiner Studienzeit das ist ewig her, gab es dann auch so Momente, dass man mal jemandem einfach was zum Lesen gegeben und gesagt hat: "Kannst du mir das mal eben auf eine Kassette lesen, dass ich das Material habe?" Und bezahlen musste man erst, wenn das viel wurde. Wie ist das mit dem Helfen gegenseitig? Gab so was bei Ihnen an der Uni, Herr Kärcher? 

Christoph Kärcher: Ja, klar hatte ich natürlich auch eine Assistenz manchmal auch mehrere. Es hing immer so ein bisschen vom Umfang ab. Von daher war das eigentlich unproblematisch, Wir hatten da noch mal Lerngruppen gebildet zusammen und so. Von daher: Das ging dann! Das ging ja absolut unkritisch! 

Und in meinem Masterstudiengang: Da war es eigentlich auch in der Regel, wenn die Leute aus meinem Semester oder halt irgendwie die da auf dem Campus studiert haben. Von daher waren da in der Regel auch die Wege relativ kurz und klar, wenn es etwas Kleines ist: Den Tafelabschrieb diktieren oder sowas was. Bei Fragen, wie im Seminar oder in der Vorlesung, hat man eigentlich immer Hilfe bekommen.

Matthias Klaus: Frau Ernst, gerade sagte Herr Bender: "Wir nennen es nicht Prüfungserleichterung, sondern Nachteilsausgleich." Gibt es so etwas wie Neid für Vorteile oder vermeintliche Vorteile, die Menschen mit Behinderung bekommen?  Wo man sagen kann: "Jetzt dürfen die da länger ihre Prüfung schreiben" oder "die kriegen das Material vorher" oder sonst irgendwas. Und "die haben es ja alle so viel einfacher" und "das ist ja gar kein richtiger Abschluss, sondern das ist ja Behindertenabschluss!" Gibt es das?

Ina-Marie Ernst: Ich würde schon sagen, dass das möglich ist. Aber wenn, dann entsteht das aus Unwissenheit. Also wie zum Beispiel zu überlegen: "Okay, das ist eine Prüfungserleichterung." Und dass es das nicht ist, das muss man halt schon ein-, zweimal erklären.

Bei mir ist es aber so, dass insgesamt nicht viele wissen, dass ich den Nachteilsausgleich habe oder dass ich den in Anspruch nehme. Und auch bei anderen: Ich sehe das anderen Personen ja nicht an! Und gerade, wenn es dazu kommt, dass jemand aus meinem Kurs zum Beispiel einen Einzelraum hat, dann sehe ich das auch gar nicht. Dann weiß ich gar nicht ob der einen Extraraum hat , extra Zeit oder so.

Und wenn das zur Sprache kommt, dann meistens im Freundeskreis. Und dann sprechen wir darüber. Und da kann ich ja sagen: "Okay. Es geht auch um Chancengleichheit. Wenn ich dies und jenes nicht bekomme, dann schaffe ich die Klausuren so nicht! Dann habe ich einen großen Nachteil und kann nicht die Leistung bringen, die ich eigentlich kann. Ich kann nicht zeigen, was ich gelernt habe." Und da würde ich sagen: Es ist nicht direkt Neid, sondern Unwissenheit. 

Und bisher habe ich damit gute Erfahrungen gemacht, dass wenn ich es erkläre, es verstanden wird. Und ich finde, das ist auch in Ordnung, das erklären zu müssen. Und ich finde auch, dass dadurch natürlich auch wieder der Unwissenheit entgegengewirkt wird.

Matthias Klaus: Noch mal gefragt zum Thema "Lehrende:" Wie ist die Bereitschaft von den Professoren und Dozenten bei all diesen Sachen mitzumachen, die ja doch vielleicht mal ein bisschen aufwendiger sind? Oder werden die an der Uni Dortmund so geschont, dass sie gar nichts machen müssen? Und das macht alles das Medienzentrum von DoBus?

Ina-Marie Ernst: Nee, das ist so, dass die Dozierenden zuständig sind. Also wenn ich einen Nachteilsausgleich einreiche, dann ist der Fachbereich, wo ich studiere, erst mal zuständig für die Umsetzung. Und die können sich dann bei DoBus melden, um das umzusetzen.

Von der Bereitschaft her, da kann Herr Bender sicher auch gleich noch was zu erzählen: Es ist sehr, sehr unterschiedlich. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Dozenten, gesagt haben: "Nein, Sie haben mir das zu spät gesagt. Ich bin dafür nicht zuständig. Ich möchte das nicht." Da habe ich dann zum Beispiel meine Koordination und DoBus eingeschaltet, die mich dann quasi vertreten haben und gesagt haben: "Doch! Das ist Ihre Pflicht. Sie sind dafür zuständig." Und dann haben die das murrend gemacht.

Andere Dozenten, da habe ich die Erfahrung gemacht, die waren super-interessiert. Die fragten: "Okay. Was ist Ihr Bedarf? Was brauchen Sie? Wie funktioniert das?" Und die haben sich dann auch gefreut, wenn ich dann Bereitschaft hatte, etwas Persönliches zu erzählen. Also, das ist ja immer noch eine Frage der Grenzziehung.

Aber in meiner Position nutze ich gerne die Chance, Dozierende aufzuklären und zu erzählen: So und so ist das. Und dadurch kann ich halt auch genau sagen: "Das und das brauche ich." Also zum Beispiel das, was über meinen Nachteilsausgleich manchmal hinausgeht, zum Beispiel bei der Hausarbeit, finde ich das gut, wenn ich einen Dozierenden habe, mit dem ich im engen Kontakt stehen kann, dem ich mehr Nachfragen stellen kann, der mir bei auch eher Unsicherheiten zum Beispiel, wenn ich eine Nachfrage habe, der da schnell antwortet, so dass es mir hilft.

Und dann frage ich dezent, ob er bereit ist, diese Mehrarbeit eventuell reinzustecken. Das ist ja nichts, was jetzt im Nachteilsausgleich festgeschrieben wird, sondern etwas, wo ich sage: "Das und das hilft mir." Und dann kann der Dozent mir entgegenkommen oder es lassen. Und da gibt es ja ganz unterschiedliche und meistens merkt man das ja schon im Umgang im Kurs, ob der Dozent das hält. Das kann ja jeder einfordern.

Jeder kann ja fragen: "Das und das möchte ich" oder das "Wie gehen Sie damit um? Wie werden Hausarbeiten bei Ihnen geschrieben?" Ich habe auch Dozierende getroffen, die sagen: "So: Dann und dann ist Abgabetermin."

Eventuell schreibt man denen noch einen Ausblick darauf, was man ungefähr machen will. Einige wollen aber nur die fertige Hausarbeit sehen. Das ist nichts für mich. Damit kann ich nicht arbeiten.

Aber das hat vielleicht nicht nur mit meiner Beeinträchtigung zu tun, sondern auch mit meiner Arbeitsweise. Und bei Dozierenden trifft man ganz, ganz verschiedene an.

Matthias Klaus: Zum Schluss eine Runde. Herr Kärcher, wenn Sie nochmals zu studieren anfangen würden, hätten Sie irgendeinen Wunsch, wo Sie direkt sagen: "Am Anfang, ja, das muss ich diesmal richtig klären. Das muss diesmal anders laufen als beim letzten Mal!" Gibt es irgendwas, was man wirklich verbessern kann fürs Studium, gerade als blinder oder sehbehinderter Mensch?

Christoph Kärcher: Ich meine, dadurch, dass ich natürlich elf Jahre mal auf der Regelschule war, wusste ich natürlich schon so ein bisschen, wie das so läuft mit Materialien anfordern, und wie man vielleicht auch so ein bisschen Dozenten anspricht und so. Das wusste ich schon. Das hatte ich auch so relativ schnell raus.

Von daher würde ich eher sagen: Man muss sich ein bisschen Zeit geben. Gerade am Anfang ist erstmal alles ein bisschen,: Ein bisschen reinkommen, gucken, wie wird es? Wie tickt so die ganze Organisation, an der man da studiert? Und von daher finde ich: Für mich ist das schwierig, da pauschal eine Antwort zu geben, weil mein Eindruck ist halt so: jede Hochschule tickt da irgendwie auch immer so ein bisschen anders.

Matthias Klaus: Frau Ernst, würden Sie sagen, in die Zukunft geguckt muss sich irgendwas noch dringend ändern oder ist das Paradies auf Erden schon da?

Ina-Marie Ernst: Also ich muss sagen, für mein eigenes Studium bin ich durch DoBus und durch meine Erfahrung sehr gut in mein Studium reingewachsen und für mich hat es sehr gut funktioniert. Ich erlebe aber auch immer wieder, dass... Oder ich begegne gerade immer wieder vielen Studierenden, die selber eine Beeinträchtigung haben, die selber irgendwie Schwierigkeiten haben, aber die diese Hilfsangebote, die existieren, nicht annehmen. Oder die nicht daran interessiert sind, sie nicht kennen, oder...

Und was ich mir wünschen würde: Dass da diese Bereitschaft... oder dass da die Uni und die Studierenden noch mehr zusammenkommen, vielleicht auch gerade da, wo es um Stigmata und psychische Beeinträchtigungen geht. Dass das noch ein bisschen mehr abgebaut wird und dass man die Studierenden noch besser erreicht. Das System ist da. Es gibt Unterstützungsangebote, und es gibt die Menschen, die den Bedarf haben und die muss man zusammenbringen. Und das würde ich mir wünschen, dass das noch besser funktioniert.

Matthias Klaus: Herr Bender, Sie leiten DoBus im dritten Jahr. Wenn Sie jetzt schauen, was die Aufgaben für die Zukunft sind, was werden Sie als nächstes noch angehen? Es gibt ja immer Sachen, die man verbessern kann.

Dr. Carsten Bender: Ich glaube, ein Thema ist tatsächlich (jetzt im Anschluss, wenn hoffentlich bald das Coronavirus und die Einschränkungen kein Thema mehr sind) trotzdem die Erfahrungen und die Vorteile aus der Onlinelehre mitnehmen, mitzunehmen in ein Studium in Präsenz. 

So können auch die Vorteile daraus insbesondere für Studierende mit Behinderung und gesundheitlicher Beeinträchtigung weiter erhalten bleiben. Und die räumliche und zeitliche Flexibilität und die guten barrierefreies Formate, die wir uns in den letzten Jahren entwickelt haben, sollten wir weiterführen. Ich glaube, das wäre so ein Thema, das wir diskutieren müssen.

Das zweite Thema ist tatsächlich immer so eine Daueraufgabe: Ja, wir wissen aus den Studien vom deutschen Studierendenwerk, dass, auch selbst an so einer Uni wie Dortmund, wo es das DoBus Unterstützungsangebot gibt, Studierende immer noch zögern, das wahrzunehmen. Und ich glaube, da müssen wir weiter an unserer Bekanntheit arbeiten, auf alle den Kanälen, wo man Studierende gut erwischt.

Aber auf der anderen Seite müssen wir auch insgesamt mit der Hochschule daran arbeiten, dass Studierende nicht mehr das Gefühl haben, das es zur Stigmatisierung führt, wenn sie so ein Beratungsangebot aufsuchen, einen Nachteilsausgleich beantragen oder offen über ihre gesundheitliche Situation sprechen.

Das bedeutet: Weiter an so einem Kulturwandel arbeiten and der Hochschule, dass man sich eingeladen und willkommen fühlt. Es klingt erstmal so ganz einfach in der Umsetzung - natürlich. Wo man noch was tun muss, ist es immer noch eine große Herausforderung!

Matthias Klaus: Das war "Echt behindert!" für heute. Bei mir im Podcast zu Gast waren Ina-Marie Ernst, Studentin an der TU Dortmund, Dr. Carsten Bender im Bereich Behinderung und Studium auch an der TU Dortmund und Christoph Kärcher, der zwei Studien hinter sich hat und derzeit an der Fern-Uni Hagen studiert. Allesamt mit Erfahrungen zum Thema Studieren mit Behinderung. Vielen Dank, dass Sie Zeit für mich hatten.

Ina-Marie Ernst: Sehr gerne.

Dr. Carsten Bender: Gerne.

Christoph Kärcher: Gerne.

Matthias Klaus: Das war "Echt behindert!" für heute. Mein Name ist Matthias Klaus.

Jingle: Mehr folgen unterdw.com/echtbehindert.

 

Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.