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17. Mehr Menschen mit Behinderung in die Politik

31. März 2021

Für Menschen, die unseren Podcast nicht hören können, stellen wir hier ein Transkript zur Verfügung: Katrin Langensiepen berichtet von ihrer Arbeit im Europäischen Parlament.

https://p.dw.com/p/3rPfS

Zum Podcast geht es hier.

Jingle: DW. "Echt behindert!"

Moderator Matthias Klaus: Herzlich willkommen zu "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus. Vor ein paar Folgen  hat Jürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, hier an dieser Stelle einen flammenden Appell dafürgehalten, dass behinderte Menschen doch mehr in die Politik gehen sollen.

Und wenn man sich die Sache so anschaut: Es gibt zwar die UN-Behindertenrechtskonvention, in der steht, dass behinderten Menschen politische Teilhabe ermöglicht werden soll, dass sie ein Recht darauf haben. Doch wirklich repräsentiert sind wir nicht oder nur vereinzelt.

Es gibt den Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble, der im Rollstuhl sitzt. Es gibt Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, die mit Multipler Sklerose lebt. Doch am Ende sind das Ausnahmen. So gesehen habe ich heute hier zu Gast eine Ausnahme. Katrin Langensiepen lebt mit Behinderung und ist Abgeordnete des Europäischen Parlaments.

Schönen guten Tag, Frau Langensiepen.

Katrin Langensiepen: Guten Tag!

Matthias Klaus: Kleiner Hinweis an dieser Stelle: Wir versuchen hier immer die bestmögliche Audioqualität bereitzustellen, obwohl die meisten unserer Gesprächspartnerinnen und Partner nicht im Studio anwesend sind. Diesmal hat es technisch leider nicht ganz geklappt, deshalb müssen wir hier mit dem guten alten Telefon Vorlieb nehmen.

Wie war denn Ihre politische Laufbahn? Ihr politischer Werdegang?

Katrin Langensiepen: Ja, da muss ich ein bisschen ausholen. Ich bin schon sehr lange — schon über zehn Jahre — in der Politik (September letzten Jahres waren es zehn Jahre). Ich hab in der Kommunalpolitik als Ratsfrau angefangen und habe mich entschlossen, in die Politik einzutreten — was ich früher nie wollte.

Aufgrund meiner eigenen Situation, dass ich mit meiner beruflichen Situation nicht zufrieden war und Diskriminierungserfahrungen gemacht habe, aber auch weil mir im politischen Umfeld in der Diskussion einiges nicht gefiel, und weil ich dachte: "das musst du ändern. nicht meckern, selber machen!" bin ich 2010 den Grünen beigetreten.

Matthias Klaus: Welcher Art ist denn Ihre Behinderung? Vielleicht können Sie das mal kurz umreißen?

Katrin Langensiepen: Ich habe das TAR-Syndrom, das heißt, ich habe verkürzte Arme. Das ist eine sichtbare Behinderung in Verbindung mit einer Blutkrankheit, was sehr, sehr selten ist.

Matthias Klaus: Ist das etwas, was Sie einschränkt? Man unterscheidet ja gerne zwischen Behinderung und Einschränkung. Ist das also etwas, was Sie einschränkt im politischen Geschäft? Brauchen Sie da irgendwo Assistenz?

Katrin Langensiepen: Nein, ich bin gut reisefähig. Ich bin etwa nicht auf Reise-Assistenz angewiesen, was vieles erleichtert. Aber auch ich gerate in der belgischen Bahn an meine Grenzen. Das Einsteigen dort in den Waggons ist sehr, sehr schwierig, sodass ich auf den Fahrdienst zurückgreifen kann, wenn ich in Brüssel ankomme.

Das Parlament selber ist relativ barrierefrei für mich. Bis auf vereinzelte Situationen, wo ich so denke "Okay, hier kann es jetzt mal schwierig werden", aber dann wird das gelöst. Ich habe auch noch ein Team. Wenn irgendwas ist, können die mir beispringen. Also da ist doch für Unterstützung gesorgt, wenn nötig. 

Matthias Klaus: Das ist jetzt mehr so das Praktische, das Barrierefreiheitstechnische: Wie ist das denn im Europäischen Parlament? Sie sind ja die einzige Abgeordnete mit sichtbarer Behinderung. Ist das etwas, was Sie da merken - also im Umgang?

Katrin Langensiepen: Im Umgang merke ich das nicht. Ich kann sagen, aus meiner Erfahrung in den letzten zehn Jahren, ich wurde immer inhaltlich kritisiert , aber es ist nie vorgekommen, dass man mir etwas nicht zugetraut hat. Auch hat nie jemand innerhalb der Partei gesagt: "Das kann man nicht wollen" oder so. Also da habe ich in den Jahren davor weitaus mehr Diskriminierung erlebt als in meiner politischen Arbeit.

Man merkt es halt, dass man sich umguckt und merkt: "Okay, du bist die einzige." Und es ist ein schönes Alleinstellungsmerkmal - könnte man vielleicht meinen.

Aber du hast: A. die Verantwortung, was mal gut und mal schlecht sein kann, zu diesen Themen — für alle Themen. Man ist zwar nicht auf sich gestellt, aber man steht ja für eine große Gruppe von Menschen mit Behinderung oder vertritt sie auch als Parlamentarierin. Das ist schon eine große Verantwortung wie ich finde. 

Und man merkt es wirklich: Wie damals bei der ersten konstituierenden Sitzung die ich in Straßburg hatte. Ich habe mich umgeguckt: Wo sind denn hier die anderen Menschen und Abgeordneten mit Behinderung. Und da war nicht so viel.

Matthias Klaus: Sind Sie da jetzt die Vorreiterin? Ist das für Sie auch so eine Art Verantwortung in dem Sinne: "Ich muss es jetzt hier rausreißen", sozusagen?

Katrin Langensiepen: Ja, man macht Politik für eine Gruppe in der Europäischen Union. Das ist schön, aber auch natürlich Verantwortung, eine enorme Verantwortung. Man ist Vorreiter.

Ich finde es eher traurig, dass es wohl immer noch sehr, sehr schwierig ist für Menschen mit Behinderung, in diesem politischen Geschäft sichtbar aufzutauchen. Es gibt Menschen mit Behinderung, die in der Kommunalpolitik aktiv sind. Kommunalpolitik ist was sehr, sehr Schönes und sehr, sehr Gutes und Wichtiges.

Aber spaßig wird es ja erst, wenn ich sage: Wir haben Menschen in den Ministerien. Malu Dreyer wurde erwähnt. Sie ist aber auch eine der wenigen. Wo sind die Menschen? Und warum sind wir in der Politik nicht so divers, wie wir eigentlich in der Gesellschaft sind? 

Matthias Klaus: Weshalb ist das überhaupt wichtig, dass behinderte Menschen mehr in die Politik müssen? Sie haben ja am Anfang gesagt, Sie wären selbst in die Politik gegangen, weil sie mit gewissen Sachen unzufrieden waren. Wissen Sie noch ungefähr, was das damals war?

Katrin Langensiepen: Ja, ich war mit der ganzen Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation sehr unzufrieden und dass ich nie Antworten bekommen habe auf meine Fragen. Da ist man gut ausgebildet und was passiert dann mit Menschen mit Behinderungen, wenn sie ihre Schule abgeschlossen haben?

Das Thema Ausbildung [ließ viele Fragen offen]: "Ja, wohin mit dir? Was macht man bloß? Womit verdienst du mal dein Geld? Du hast keine Geschwister, Deine Eltern werden nicht jünger - wie versorgst du dich?" Und was häufig so die Stimmung war: "Ja, dann kriegst du eben Geld vom Amt und dann ist das so! Und dann bist du eben arbeitslos. Und dann kommt man auch so über die Runden."

Das war so eine akzeptierte Geschichte. Von vielen Wurde das immer so gesagt: "Das ist doch nicht schlimm, dann machst du das eben!" Und ich stand da und sagte mir: "Ich bin jetzt Ende 20, ich spreche mehrere Sprachen. Ich war im Ausland. Ich will mich jetzt hier nicht auf die Rente vorbereiten."

Jemand vom Integrationsfachdienst meinte mal zu mir: "Naja, für die EU sind Sie ja leider zu jung". Und da meinten sie die Erwerbsunfähigkeitsrente - nicht die Europäische Union. Also da ist so ein Haken hinter eine Biografie gemacht, die kaum begonnen hat. Und so geht es ja einigen jungen Menschen. 

Das hat mich geärgert. "Das ist so!" Kam dann immer. "Nur dann werde ich das eben ändern", [sagte ich mir] und habe mich auf den Weg gemacht, mir Verbündete zu suchen. Ich dachte "die wirst du nur in irgendwelchen NGOs Gewerkschaften oder politischen Zusammenhängen finden. Und wir hatten Kommunalwahl in Niedersachsen und da hieß es "Wir brauchen dich."

Da dachte ich: "Cool, das hast du ja lange nicht gehört!" Und hab mich da in die Bütt geschmissen und bin über die Frauenquote [in die Politik gegangen]. Ich bin also eine Quotenfrau. Und da wurde mir eine Tür geöffnet. durchzugehen, und mich nachher irgendwie beweisen zu müssen.

Das müssen andere Menschen ohne Behinderung auch und hab mich immer so durchgetastet innerhalb der Partei, innerhalb des Parlaments und dachte mir: "Also, wenn das hier irgendwie keiner macht, ich nehme niemandem was weg, dann machst du es eben. Mal gucken, wie weit du kommst." Und es war immer so ein bisschen, ja, "Loslaufen" und auch "einfach mal seine Arbeit machen."

Und da hat sich vieles ergeben. Das war eine Mischung aus: richtiger Zeit, richtiger Ort, Glück. Aber auch den Willen zu sagen, "es gibt keinen Weg zurück."

Was wäre die Alternative? Zu Hause sitzen und Schicksal beweinen wollte ich jetzt auch nicht. Da bin ich nicht so der Typ für. Das war der Ansporn - so eine Art von Bockigkeit und Ärger.

Matthias Klaus: Sie sagten: "Man braucht Verbündete". Man muss ja sogar Mehrheiten haben, wenn man irgendwas machen will. Gibt es jetzt mehr Verbündete auf europäischer Ebene als früher, da in... (wo war das...) Hannover, Langenhagen in der Lokalpolitik? Ist es hier besser oder einfacher geworden?

Katrin Langensiepen: Ja, die Struktur ist eine andere: Wir haben im Europäischen Parlament keine klassischen Koalitionen, so wie man es aus dem Bundestag, Landtag oder aus den Kommunalparlamenten kennt, wo es eine Fraktionsspitzen gibt, die dann loslaufen und schon mal auf spitzen Ebenen Dinge verhandeln.

Ich muss mir meine Mehrheiten immer selber beschaffen. Also ich bin auf Partnerschaften, Bündnisse angewiesen, außer mit den Rechten, mit den Faschisten. Das hat im Rahmen meines Berichts sehr gut funktioniert, muss ich sagen. Und dann habe ich einen großen Rückhalt erfahren und eine sehr gute Kooperation über die Fraktionsgrenzen hinaus.

Matthias Klaus: Sie haben jetzt einen Bericht veröffentlicht zur Arbeitsmarktsituation in Europa und auch mit dem Schwerpunkt Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Das war dann nicht aufgrund Ihrer Initiative, wenn ich Sie richtig verstehe.

Katrin Langensiepen: Nein.

Matthias Klaus: Das Thema lag herum und Sie haben es sich genommen? 

Katrin Langensiepen: Das Thema lag rum und ich habe es genommen. Genau! Von der Verwaltung [gehen den Fraktionen] Berichte zu. Das bezog sich jetzt auf eine sehr alte Richtlinie. Da ist immer eine Möglichkeit, Berichte [als Aufgabe zugewiesen] zu bekommen.

Also ich schreibe dann einen Bericht. Da bin ich die Berichterstatterin. Und aus anderen Fraktionen können [weitere Abgeordnete] Schattenberichterstatter*in sein. Das was ich schreibe, da machen andere noch Änderungsanträge. Es ist so ein Kooperationsprozess. Und am Ende des Tages kommt ein guter, gut verhandelter Bericht heraus.

In dem hier war die Situation so: ich hatte dann die Berichterstattung und es lief bei der Verteilung so: "Naja, wenn Du es nicht machst, dann hat es sich so ergeben, dass es auch innerhalb der grünen Fraktion oder der Gruppe im sozialen Bereich, auch keiner in dem Moment machen konnte", dann habe ich gefragt "Okay, wenn ich es nicht mache, was passiert dann mit dem Bericht?" "Ja, dann geht der an die Nazis."

Und dann habe ich gesagt "Nein, auf keinen Fall geht dieser Bericht an die Nazis!" Und so habe ich dann diesen Zuschlag erhalten. Und es passte also mit meinem Antrieb: Mit meinem Herzensthema Arbeit, Ausbildung für Menschen mit Behinderung: "Komm setzen wir uns mal alle zusammen. Was ist aus eurer Sicht 'Autism Europe'? dann die Blinden, die Gehörlosenvertretung, die BAG Inklusionsfirmen..."

Also wir waren ein breites Spektrum an Selbstvertretungen.  Ich habe dann zugehört und habe gesagt "Bitte sagt mir mal, was euch aus eurer Sicht wichtig ist" bzw. wie dieser Bericht gestaltet werden kann. Und dann gab es Zuschriften und Feedback und dann haben wir das in einen Bericht gegossen. Und da kam unter anderem raus dass die Situation der Behindertenwerkstätten in Deutschland sich nicht sehr gut darstellt.

Wir sind das Land mit den meisten Wergstatt-Mitarbeiter*innen über 300.000. Das ist in keinem anderen europäischen Land so. Und wenn wir über den Arbeitsmarkt sprechen, sprechen wir auch über die Werkstätten: Wie kann man Alternativen fördern? Dieser Bericht ist jetzt sehr gut im Europäischen Parlament vor 10 Tagen verabschiedet worden.

Matthias Klaus: Können Sie denn erklären, warum das nun gerade in Deutschland so schwierig ist mit den Werkstätten für Behinderte? Warum sind wir da so besonders langsam, dass wir es nicht schaffen, den ersten Arbeitsmarkt dahin zu kriegen, dass Menschen mit Behinderung dort arbeiten können? Es ist ja im Vergleich zu anderen Ländern wahrscheinlich schlimmer.

Katrin Langensiepen: Die Zahl spricht für sich. Wir sind da Spitzenreiter. In anderen Ländern hat man sich schon mit Auflösungsprozessen und Veränderungsprozessen beschäftigt. Da waren die skandinavischen Länder schon sehr weit vorne. England hat sie komplett aufgelöst.

Kritik kann man dann äußern und sagen: "Ja, aber dafür wurde keine Alternative geschaffen oder eine sehr geringe Alternative". Irland ist schon sehr weit mit der Veränderung. Und Belgien, Luxemburg - die haben dann sowas wie einen Mindestlohn.

Wir sind aus meiner Sicht Spitzenreiter, wenn es darum geht, Menschen in Kategorien einzuteilen. Wir haben die Förderschulen, ein sehr straffes mehrgliederiges Schulsystem, das es in anderen Ländern so nicht gibt. Da war ja mal der Ursprungsgedanke, dass man sagt: "Wir bringen euch aus diesem REHA Status auf den ersten Arbeitsmarkt."

Doch man kann sagen: Die Werkstätten haben aus wirtschaftlichem Interesse nicht so ein großes Interesse daran, dass die besten Leute gehen. Eine Privatwirtschaft, die in Teilen so mit Vorurteilen (nicht alle, aber doch stark) behaftet ist, dass sie sagen: "Ich stelle keinen ein" und es wieder outsourcen: "Ich gebe einen Auftrag in die Werkstatt, da bin ich zufrieden mit der Leistung. Aber einstellen möchte ich die Person nicht".

Und dass auch die Werkstätten hoch anerkannt sind aber auch sehr, sehr viel Unwissenheit da ist: Viele wissen gar nicht, dass es dort keinen Mindestlohn gibt, dass diese Menschen keinen Arbeitnehmer*innenstatus haben, sondern mit dem Werksvertrag ein Rehabilitand, eine Rehabilitandin sind. Und das ist so in der breiten Öffentlichkeit gar nicht bekannt, wie die Strukturen eigentlich aussehen und dass da Menschen mit Behinderung nur unter sich arbeiten.

Selbst wenn es einen Mindestlohn gäbe oder eine Art Basisgeld, hast du immer noch die Situation, dass dort Menschen mit Behinderung unter sich arbeiten, was auch nicht mehr jeder will. Und junge Menschen, die die inklusive Beschulung durchlaufen und wo es dann nachher heißt: "Naja, aber dann gehst du in die Werkstatt", die fühlen sich schon ins Mittelalter zurückgesetzt.

Und da gibt's auch einen großen Anteil derer, die das einfach nicht mehr wollen - wo die Alternativen kaum da sind. Der Bürokratieaufwand ist so enorm, dass die Arbeitgeber*innen, aber auch Eltern irgendwann sagen: "Ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht, wie ich es machen soll" und dann geht es in die Werkstatt.

Matthias Klaus: Es wird ja oft gesagt, dass man das mit dem Mindestlohn nicht machen könnte, weil die arbeiten gar nicht den ganzen Tag und man könnte praktisch keinen Stundenlohn feststellen, weil sie zwischendurch therapiert würden. Was bekommt jemand, der in einer Werkstatt für behinderte Menschen derzeit angestellt ist? Oder wie sagt man dazu? Sagt man angestellt?

Katrin Langensiepen: Die sind Rehabilitanden. Sie sind nicht wirklich angestellt...

Matthias Klaus: ...doch das falsche Wort genommen.

Katrin Langensiepen: Sie sind ja kein klassischer Arbeitnehmer, keine Arbeitnehmerin. Wir reden da über einen Lohn von ein bis zwei Euro die Stunde.

Matthias Klaus: Das kann man sich nicht vorstellen. Ja?

Katrin Langensiepen: Das ist einmal der Lohn. Es ist aber auch die Isolation. Es ist in Teilen die Stumpfsinnigkeit der Arbeit. Also wenn ich da immer nur sitze und Schräubchen in die Tüte packe... Menschen mit Lernschwierigkeiten können sich weiterentwickeln.

Dass Menschen das auch ganz oft abgesprochen wird: "Ja, die können das nicht". Und das muss auch alles vorsichtig sein.

Ich sollte ja auch mal in so eine Einrichtung. Also das finde ich immer sehr sehr schwierig und da stelle ich immer so die Frage: "Wo liegt das Interesse, der politische Wille, das auch zu verändern?" Da redet man über große strukturelle Veränderungen im Rentenrecht, im Sozialrecht, ganz klar, das ist nichts, was von heute auf morgen passiert.

Aber ich glaube, man kann schon fordern, zehn Jahre nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention, die ganz klar sagt, dass solche Einrichtungen verboten gehören.

Also wir haben verbotene Strukturen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, um es mal überspitzt darzustellen. Sowas passiert nicht von heut auf morgen, aber ich möchte dann auch irgendwann mal einen klaren Fahrplan haben, also den politischen Willen, dass sich was ändert und auch den Willen, Alternativen zu fördern und zu schaffen und zu sagen: "Gut, dann kriegst du eine Aufstockung, dann kriegst du das Budget für Arbeit für immer in einer Summe von...

Was am Ende des Tages dann auch etwas kostet und man auch so ehrlich sein muss, zu sagen: "Gut, dann hast du aber nicht mehr die Altersvorsorge. Auf der anderen Seite hast du aber auch einen adäquaten Lohn in der Tasche, was dich ja dann auch bewegen könnte eine Wohnung anzumieten, eine Familie zu gründen, und dich auf das Leben vorzubereiten. Und nicht auf die Rente." 

Matthias Klaus: Haben Sie so Vergleiche im Europäischen Raum? Woanders, gibt es da weniger Werkstätten für Behinderte? Gibt es so ein Modell, was man hier mal so ein bisschen sich zum Vorbild nehmen könnte? Wie könnte man das regeln, dass es besser läuft? Dass es mehr erster Arbeitsmarkt gibt? Mehr schulische Inklusion gibt? Das all das, was wir hier machen, letzten Endes vielleicht gar nicht nötig ist? Gibt es da Vorbilder?

Katrin Langensiepen: Die skandinavischen Länder sind da schon sehr relativ weit im Vergleich zu uns. Wir haben einfach die meiste Segregation. Und dafür werden wir auch immer im Staatenbericht - oder wurden wir 2015 - so richtig abgewatscht. 

Ich würde mich ja schon mal freuen, wenn die Menschen eine Art von Basis-Grundlohn oder wie man es immer auch nennen darf, bekommen, dass sie einen Arbeitnehmer*innenstatus haben, dass sie eben nicht mehr die Rehabilitanden auf Ewigkeit sind, die ewig rehabilitiert werden. Und dass man da einen klaren Fahrplan entwickelt. Wenn wir ähnliche Zustände schon mal hätten - Stichwort "Würde" - wie Sie zurecht gesagt haben: Dass ich wenigstens erst einmal mehr Geld bekomme. Ja, dass wir damit mal anfangen!

Matthias Klaus: Was passiert denn jetzt mit dem Bericht? Kriegen wir dann einen European Behindertenwerkstatt Act demnächst, oder?

Katrin Langensiepen: Es ist ein Bericht. Es gibt dazu keinen Gesetzesentwurf. Wir haben ja jetzt auch parallel dazu etwas, was ich mir wünschen würde: Einen Konkreten Fahrplan zum Arbeitsmarkt. Wie kann der Arbeitsmarkt verändert werden?

Die Kommission hat ja parallel zu unserem Bericht auch die EU Behinderten Strategie 2021 bis 2030 herausgegeben. Sie planen. Und dann machen wir mal ein Trommelwirbel-Geräusch: 2020 will sie mit Projektvorschlägen mit einem Paket an Vorschlägen um die Ecke kommen, wie ein inklusiver Arbeitsmarkt aussehen kann bzw. wie Menschen mit Behinderung gefördert werden.

Da würde mir das Eine oder Andere einfallen. Im Bereich der Hochschulbildung hat es vor kurzem einen Bericht gegeben. Einmalig in Europa wie Menschen mit Lernschwierigkeiten aus der Werkstatt in einer Hochschule arbeiten und dort unter anderem als Dozenten arbeiten, die sehr wohl weitergebildet werden können, die sehr wohl in der Lage sind, Herausforderungen anzunehmen.

Wenn wir solche Projekte auch stärker fördern können, fände ich das sehr, sehr gut. Und dann lasse ich mich mal überraschen, was im politischen Geschehen noch nichts auf Gesetzesebene verändert, aber man hat die Diskussion.

Man hat die Diskussion und das In-Kenntnis-Setzen, dass diese Werkstätten eben nicht... Ja, dass die Leute dort arbeiten, teilweise schwer arbeiten für einen Euro die Stunde. Und es ist eben nichts was etwas mit "Würde" zu tun hat, sondern es ist eher demütigend. Das ist den Menschen auch bewusst. Und dass sie da unheimlich schwer rauskommen und dass es ein Interesse daran gibt, dass sie nicht rauskommen. Das muss immer wieder öffentlich gemacht werden und das passiert ja auch immer mehr und mehr. Das ist ja auch ein politischer Wandel in der Gesellschaft.

Matthias Klaus: Frau Langensiepen, ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre Zeit.

Katrin Langensiepen: Danke für das Gespräch.

Matthias Klaus: Für die Einblicke in die Arbeit im Europäischen Parlament und auch Ihre persönliche Motivation. Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten.

Katrin Langensiepen: Vielen Dank für das Gespräch.

Matthias Klaus: Das war "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus.

Sprecher: Mehr Folgen unter dw.com/echtbehindert.

Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.