Traditionelle Medizin aus Südafrika
18. Oktober 2010Ein kleines, fleischiges Pflänzchen mit gelber, sternenförmiger Blüte enthält einen potentiell sehr lukrativen und effektiven Wirkstoff. Von der einheimischen San-Bevölkerung im Westkap Südafrikas wird die Sukkulente Sceletium tortuosum schon seit Jahrtausenden benutzt: zum Entspannen, gegen Hunger, für Babys mit Koliken und gegen Schlaflosigkeit. Verantwortlich dafür ist der Pflanzenwirkstoff Zembrin, der von dem Kapstädter Pharmaunternehmen HGH patentiert wurde und den es nun vermarktet. "Es funktioniert", lacht der Anwalt des südafrikanischen San Rats, Roger Chennels. Er habe es selber ausprobiert. "Kougoud" oder "Channa", wie die Pflanze, die einfach nur zerkaut wird, von den San genannt wird, habe eine tolle, stimmungshebende Wirkung, so Chennels. Er sei sich sicher, dass das neue San-Produkt ein Riesenerfolg werde. Als "San-Prozac" oder "Chill-Pill" will die amerikanische Partnerfirma PL Thomas das Produkt möglicherweise auf den Markt bringen. Der Ethno-Faktor garantiere beinahe, dass es ein Verkaufsschlager in der Behandlung von Depressiven werde.
Abzocke
Die Leiterin der traditionellen Heiler-Organisation in Südafrika, Phephsile Maseko, wütet hingegen, dass das wieder einmal ein Fall von Ausbeutung sei: "Weiße kommen hierher nach Afrika und stehlen und zerstören unser ureigenes Wissen. Das ist Biokolonialismus. Wir werden abgezockt". Die Liste ihrer Negativbeispiele ist lang. Aus den Umsätzen der Schlankmacherprodukte der Hoodia-Sukkulente hätten die San fast nichts abbekommen. Ein Mückenschutzmittel werde nun vom Forschungsinstitut CSIR vertrieben, obwohl es ursprünglich von Oma Mahlaba entwickelt wurde. Eine Gewinnbeteiligung habe es aber nicht gegeben, sagt Maseko. "Ständig teilen wir unser Wissen, werden aber nicht am Umsatz beteiligt", schimpft die Heilerin. Umckaloabo sei zunächst ein weiteres Beispiel dafür gewesen. Es sei als Erfolgs-Hustenmittel in Deutschland regelrecht eingeschlagen. Doch während die Pharmaindustrie daran verdient habe, seien diejenigen, die das Mittel entdeckt hätten, ärmer und ärmer geworden.
Eigene Erfolgsprodukte?
Daher vermarkte die Organisation traditioneller Heiler ihre eigenen Tropfen, Tabletten und Tees als Erfolgsprodukte. Sutherlandia stärke das Immunsystem, heile Wunden und sei auch hilfreich, wenn der Patient depressiv sei. Spirulina sei hervorragend für diverse Herzleiden, entgifte den Körper und es wirke appetitanregend – so wie die afrikanische Kartoffel auch.
80 Prozent aller Südafrikaner gehen zu Heilern und nehmen traditionelle Medizin. Manchmal gehe das gründlich schief, berichtet der Johannesburger Arzt Alain Sinua: "Als ich noch im Krankenhaus gearbeitet habe, hatten wir regelmäßig vergiftete Patienten, deren Nieren und Blasen meist Schwierigkeiten machten, weil Heiler ihnen irgendein Gebräu aus Tierextrakten gegeben hatten".
Gefährliche Zaubermittelchen
Vor einigen Jahren brachte ein junger Heiler seine komplette 13-köpfige Familie durch ein dubioses Giftgasgemisch um. Studien zufolge sind einige traditionelle Mittel in Kombination mit westlicher Medizin nicht verträglich. Wie im Fall Sutherlandia, das kombiniert mit antiretroviralen Medikamenten in der Aidsbehandlung das Immunsystem offenbar eher schwächt anstatt es zu stärken. Traditionelle Medizin, hergestellt aus einheimischen Pflanzen, könne sehr wirkungsvoll sein. Doch es gebe auch Grenzen sagt Dr. Sinua: "Wenn man Kräuter nimmt, die das Blut verdünnen, dann kann es in Kombination mit Morphin zu Blutungen kommen". Vor einer Operation kann das fatale Folgen haben. "Eine akute Mandelentzündung", so der Arzt, könne man gut mit traditioneller Medizin behandeln, aber Bluthochdruck eher nicht. Traditionelle Medizin habe ihr Gutes und sollte eine Rolle spielen, so wie chinesische oder ayurvedische Medizin auch, meint Dr. Sinua. Man müsse sie aber richtig und verantwortungsvoll kombinieren.
Hand in Hand
Heilerin Phephsile Maseko stimmt dem zu. Gegen Aids hätten sie schlicht kein Mittel. Ihrer Meinung nach sollten westliche Mediziner und traditionelle Heiler zusammenarbeiten, denn schließlich hätten die meisten Patienten ihren Erstkontakt mit den Heilern. "Wenn wir erfolgreich heilen wollen, dann müssen wir den kulturellen Hintergrund und die Lebensweise unserer Patienten einbeziehen", so Maseko, und das beinhalte den Gebrauch traditioneller Medizin. "Merkwürdigerweise werden wir Heiler vom Westen häufig als Barbaren bezeichnet", schimpft sie. Das Fazit der traditionellen Heilerin ist dennoch: "Wir sollten Hand in Hand arbeiten."
Autorin: Dagmar Wittek
Redaktion: Michaela Paul