Tränen lügen doch
6. Juli 2018Am Ende hatte Neymar nur noch Tränen übrig. Und diesmal waren sie echt. Keine Schauspielerei, wie so oft in seiner Karriere, wie so oft bei der WM in Russland. Nur noch Tränen. Die des Geschlagenen, die eines Weltstars, der eben im Viertelfinale gegen die Fußballzwerge aus Belgien den Kürzeren gezogen hat. Als letzter der drei Weltstars musste er nach Messi und Ronaldo das Turnier verlassen. Aus, der Traum vom Titel. Aus, der Traum von der Wiedergutmachung der Blamage von 2014 im eigenen Land. Damals hatte Neymar verletzt passen müssen, diesmal war er dabei. Mit all seinen Qualitäten, mit Toren, Pässen, Dribblings, aber eben auch mit einer Menge Theater.
Vielleicht hat genau das die Brasilianer jetzt das Weiterkommen gekostet. Denn nicht nur die Fans scheinen genervt von seinen ewigen Täuschungsversuchen, sondern offenbar auch die Schiedsrichter. Gleich zweimal in diesem Viertelfinale gegen Belgien reklamierte der Superstar von Paris St. Germain Elfmeter, doch bekommen hat er ihn nie. Auch die Video-Assistenten blieben stumm. Es hatte den Anschein, als müssten auch die Mannschaftskollegen für die Verfehlungen Neymars bezahlen. Denn in der 57. Minute hatte Schiedsrichter Milorad Mazic aus Serbien auf den Punkt gezeigt. Vincent Kompany war gegen Gabriel Jesus im Fünfmeterraum zu spät gekommen, den Mittelstürmer der Brasilianer am Standbein getroffen. Klare Sache, eigentlich. Aber der Videoassistent aus Italien revidierte das Urteil: kein Strafstoß. Mazic kontrollierte den Vorfall nicht einmal am Bildschirmrand, verließ sich stattdessen auf das Urteil im Videoraum im fernen Moskau.
Courtois in Topform
So blieb es in dieser vorentscheidenden Phase beim 2:0-Vorsprung der Belgier, an der die Favoriten aus Südamerika allerdings entscheidenden Anteil hatten. Beim 1:0 in der 13. Minute bugsierte Fernandinho den Ball mit dem Oberarm ins eigene Tor, beim 2:0 in der 31. Minute ließ sich die Abwehr nach einer Ecke für die eigene Mannschaft überrumpeln. Romelu Lukaku trieb den Ball übers halbe Spielfeld und hatte dann den Blick für den rechts postierten Kevin de Bruyne, der aus 16 Metern überlegt flach ins lange Eck abschloss. Brasilien antwortete vor 43.000 Zuschauern in Kasan zwar mit wütenden Angriffen, traf aber das Tor nicht. Mal verfehlten die Stürmer um Neymar das Tor nur um Zentimeter, mal war der überragende Torwart Thibaut Courtois zur Stelle und fischte auch die schwierigsten Schüsse aus dem Winkel oder von der Linie.
"Unglaublich, sie haben unglaublich hart gearbeitet", lobte Belgiens spanischer Trainer Roberto Martinez nach der Partie. "Man musste akzeptieren, dass Brasilien eine riesige Qualität hat, aber das haben wir nicht akzeptiert." Nur einmal waren sowohl Glück als auch Courtois überfordert. Dann nämlich, als der eben eingewechselte Renato Augusto in der 76. Minute nach einer Coutinho-Flanke im Strafraum völlig allein gelassen zum Kopfball kam und sich die Ecke aussuchen konnte. Für mehr als zum Anschlusstreffer reichte es jedoch nicht. Renato Augusto hatte noch einige Chancen, auch Neymar und Coutinho. Aber es blieb beim 2:1 für den krassen Außenseiter. Auch, weil ein letzter Faller von Neymar nicht zum Strafstoß führte. Es mag Schiedsrichter geben, die darauf hereingefallen wären, gewiss. Zumal Neymar tatsächlich leicht beim Kopfball in der Nachspielzeit geschubst worden war. Aber inzwischen heißt es bei den Schiedsrichtern offenbar: Im Zweifel gegen den Schauspieler.