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Tour de France: Das Corona-Paradoxon

Tom Mustroph
2. September 2020

172 Fahrer bilden bei der Tour de France gemeinsam mit ihren Betreuern die innerste Blase. Um sie herum: drei andere Blasen aus Organisatoren, Medien und Publikum. Diese sind aber weniger streng voneinander getrennt.

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Frankreich Nizza | Tour de France 2020 - Soren Kragh Andersen im Interview
Bild: picture-alliance/Augenklick/Roth

Wer in diesem Jahr die Tour de France besucht, hat einen freien Blick auf die Alpen. Nur spärlich besucht ist die Strecke. Caravans sind kaum zu entdecken. Das mag an Corona liegen. Weniger Menschen trauen sich in den Urlaub. Auch das Ende der Schulferien in den meisten Ländern Europas spielt eine Rolle. Viele Polizisten, die die Rennstrecke bewachen, stehen deshalb ganz allein in der Landschaft.

Die meisten haben Masken aufgesetzt. Den einen oder anderen Gendarmen sieht man aber auch ohne Mund-Nasen-Textil - und das nicht nur, weil er gerade trinkt oder raucht. Das ist einerseits menschlich verständlich, die nächste Person ist schließlich mehrere Hundert Meter entfernt. Andererseits konterkarieren Polizisten ohne Maske die derzeit strengen Regeln im Land. Sie sind auch ein erster Hinweis auf die Corona-Paradoxien bei der Tour de France.

Davon gibt es einige. Beim Grand Depart in Nizza verschwanden manche Teambusse hinter einem schwarzen Sichtschutz. Andere aber waren nur auf Armlänge von den Zuschauern entfernt. Weil manche Rennställe die Räder auch nahe den Barrieren aufstellten, rückte plötzlich der eine oder andere Radstar sogar in Selfie-Nähe der Fans. Das sollte eigentlich vermieden werden.

Immerhin hielten sich die Zuschauer artig zurück. Die Ermahnungen, Selfies zu unterlassen und nicht um Autogramme oder Werbegeschenke zu bitten, fruchteten, zumindest beim Grand Depart in Nizza. Die Blasen von Rennställen und Publikum berührten sich zwar, sie platzten aber nicht. 

Maske auf, Maske ab

Widersprüchlich sind bei der Tour ebenfalls die Masken-Vorgaben für die Teams. Im Rennen dürfen die Profis ohne Maske fahren. Im Teambus aber, wenn sie ganz unter sich sind, oder auch beim Einschreiben, bei dem sie ebenfalls ihre Blase nicht verlassen, sind sie verpflichtet, die Maske aufzusetzen.

Lotto-Soudal-Profi Roger Kluge trägt diese Widersprüche mit Gelassenheit. "Wir lassen die Maske schon so viel wie möglich auf, gerade auch vor dem Start und jetzt im Ziel", versichert der deutsche Rennfahrer. Kurz nach dem Rennen wird die Praxis zuweilen laxer, da bleibt die Maske schon mal unten. "Nach dem schnellen Duschen isst und trinkst du etwas, da machst du nicht jedes Mal die Maske hoch und runter. Aber beim Essen im Hotel oder auf dem Weg dorthin trägst du sie so viel wie möglich."

So vorbildlich wie sich diese Radsportdfans präsentieren, verhalten sich nicht alle
So vorbildlich wie sich diese Radsportdfans bei Nizza präsentieren, verhalten sich nicht alleBild: Reuters/B. Tessier

Für den erfahrenen Radprofi - sieben Grand-Tour-Teilnahmen bisher - bedeuten die Hygieneregeln in der Pandemie ohnehin kaum eine Veränderung im Vergleich zum Vorjahr. "Es macht keinen Riesenunterschied. Es ist eigentlich nur die Maske, die dazukommt. Ob jetzt Einzelbetten oder Einzelräume fürs Essen: Das hatten wir auch letztes Mal schon", sagt Kluge.

Kritischer sieht er dagegen Zuschauer, die keine Maske tragen - und so auch zur Rennstrecke kommen: "In den Ortschaften können die Leute schon rauskommen. Aber sie sollten wenigstens die Maske tragen, dann fühlen wir uns auch geschützt. Am Berg gestern standen viele Leute, aber die Hälfte ohne Maske. Und da fahren wir trotzdem nur einen halben Meter dran vorbei. Appell an alle: Wenigstens die Maske tragen!"

Im Zielbereich geht Kluge dann aus eigener Initiative auf Abstand: "Gerade wenn ich ausrolle, wo man vielleicht früher an der Bande gefahren ist und noch einmal abgeklatscht hat, versucht man jetzt, einfach ein bisschen Abstand zu halten und in der Mitte zu fahren."

Das Risiko falscher positiver Tests

Ein großes Problem für die Rennställe stellen die Corona-Tests dar. Zwar sind sie notwendig, um die Hygiene-Blase, in der sie sich befinden, frei vom Coronavirus zu halten. Andererseits sorgten aber falsch-positive Tests im Vorfeld der Tour für Unruhe. Fahrer und Betreuer der Rennställe Bora-hansgrohe, AG2R, Lotto Soudal, Astana und Israel Start Up Nation waren nach einem ersten positiven Test jeweils von Rennen abgezogen worden. Nachfolgende Kontrolltests brachten aber allesamt negative Ergebnisse.

Der Kolumbianer Sergio Higuita hält sich an die Maskenvorschrift
Der Kolumbianer Sergio Higuita hält sich an die MaskenvorschriftBild: Reuters/S. Mahe

Weil das Pandemie-Handbuch der Tour bei einem positiven Fall den sofortigen Ausschluss des betroffenen Fahrers und beim zweiten Fall den Komplett-Ausschluss des jeweiligen Teams vorsah, herrschte Angst vor einem unberechtigten Tour-Aus. Im Unterschied zum Fußball, bei dem ein infizierter Spieler ganz unbesorgt in die Quarantäne gehen kann und nach ein, zwei Spielen, die er verpasst, seinem Team wieder zur Verfügung steht, kann ein einmal von der Tour ausgeschlossener Fahrer nicht ersetzt werden.

Mittlerweile fanden Veranstalter, Rennställe und Gesundheitsbehörden aber einen Kompromiss. Ralph Denk, Teamchef von Bora-hansgrohe, erläutert das Procedere: "Wenn jemand positiv ist, versucht man, so schnell wie möglich einen zweiten Test durchzuführen. Aber man ist ja zeitlich unter Druck für die nächste Etappe. Wenn die Zeit reicht, wird es Nachtests geben. Wenn nicht, dann ist der Fahrer wohl raus", sagt Denk. "Immerhin, diese Regelung ist schon mal besser als nichts."

In diesem engen Zeitfenster könnte ein Start-Up aus den Niederlanden helfen. Das Unternehmen Spektrax bietet einen Corona-Test auf Basis eines Laserscans an, der binnen weniger Minuten ein Resultat liefern kann. Das versicherte jedenfalls eine Spektrax-Sprecherin der DW. Bei der Tour kommt dieser Test bislang aber offenbar nicht zum Einsatz. Hier wird konventionell getestet. Das nächste Mal am Montag, dem ersten Ruhetag der Tour.