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Todesfahrt von Magdeburg: Tatverdächtiger in U-Haft

22. Dezember 2024

Fünf Menschen sind tot, 200 verletzt: Nach der folgenschweren Attacke auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt kommt der Tatverdächtige in Untersuchungshaft.

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Blumen und Kerzen in der Nähe des Tatorts in Magdeburg
Magdeburg trauert: Ein Blumenmeer erinnert an die Opfer der TodesfahrtBild: Michael Probst/AP/picture alliance

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg hat nach dem Anschlag mit einem Auto auf dem Weihnachtsmarkt der ostdeutschen Großstadt einen Haftbefehl für den Tatverdächtigen beantragt. Der 50-Jährige sei am Samstagabend dem Haftrichter vorgeführt worden, teilte die Polizei am Sonntagmorgen mit. Der Richter am Amtsgericht Magdeburg habe Untersuchungshaft wegen fünffachen Mordes, mehrfachen versuchten Mordes und mehrfacher gefährlicher Körperverletzung angeordnet.

Das Auto war am Freitagabend mit hoher Geschwindigkeit in die Menschenmenge gerast. Nach Behördenangaben wurden vier Frauen sowie ein neunjähriger Junge getötet. Weitere 200 Menschen wurden verletzt. Viele von ihnen erlitten schwere und schwerste Verletzungen, deswegen könnte die Zahl der Todesopfer noch steigen.

Tatfahrzeug von Magdeburg
Das Tatfahrzeug: Der BMW kam nach der Fahrt über den Weihnachtsmarkt erst nach 400 Metern zum StehenBild: Axel Schmidt/REUTERS

Rätseln über das Motiv

Der Verdächtige ist ein als Islam-Kritiker bekannter Arzt aus Bernburg, der aus Saudi-Arabien stammt und seit 2006 in Deutschland lebt. Der Leitende Oberstaatsanwalt Horst Walter Nopens sagte, das Motiv des mutmaßlichen Täters könnte Unzufriedenheit über den Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland gewesen sein. In sozialen Netzwerken präsentierte sich der Festgenommene als Kritiker des Islams und des Machtapparats in Saudi-Arabien. Zugleich setzte er sich für die Belange vor allem von Frauen aus seinem erzkonservativ geprägten Heimatland ein.

In sozialen Medien und Interviews erhob er zuletzt teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden und hielt ihnen unter anderem vor, nicht genug gegen Islamismus zu unternehmen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sagt der Tatverdächtige über sich selbst, er sei früher Muslim gewesen, habe sich aber von diesem Glauben abgewandt. Im Februar 2016 stellte er einen Asylantrag, der im Juli desselben Jahres positiv beschieden wurde.

Der saudische Staatsbürger erhielt damals Asyl als politisch Verfolgter. Erst vor rund zehn Tagen veröffentlichte die amerikanische Plattform "RAIR", die sich selbst als antimuslimische Graswurzel-Organisation beschreibt, ein mehr als 45 Minuten langes Interview mit dem Arzt. Darin warf er der deutschen Polizei vor, das Leben saudischer Asylsuchender, die sich vom Islam losgesagt hätten, zu zerstören. Zudem präsentierte er sich als Fan von X-Inhaber Elon Musk, der inzwischen Positionen der amerikanischen Rechten vertritt, und der in Teilen rechtsextremen deutschen Partei Alternative für Deutschland (AfD), die die gleichen Ziele wie er verfolge. Gleichzeitig bezeichnete er sich aber politisch als links.

Magdeburger gedenken der Opfer
Entsetzen und Fassungslosigkeit stehen den Magdeburgern ins Gesicht geschriebenBild: Ebrahim Noroozi/AP/picture alliance

Hätten die Behörden handeln müssen?

Der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, sagte, es gebe - anders als bei ähnlichen Taten in der Vergangenheit - keinen Hinweis auf einen islamistisch motivierten Anschlag. Diskutiert wird nun wie häufig in solchen Fällen die Frage, ob die Sicherheitsbehörden nicht früher hätten handeln können oder müssen. Der Terrorismusexperte Peter Neumann sagte, der Tatverdächtige habe nicht in ein bestimmtes Raster gepasst. "Er war eben kein typischer Islamist. Er war ein Saudi, der sich gegen den Islam gewendet hat. Das passt für Behörden nicht so richtig in die gängigen Schema rein." Zudem habe man heute eine Flut von Informationen von Tausenden von Leuten, die im Internet ähnliche Botschaften sendeten. "Und es ist ganz, ganz schwierig zu unterscheiden: Wer meint es ernst, und wer ist nur auf dem Internet und macht Sprüche?"

Debatte über das Sicherheitskonzept 

Der mutmaßliche Täter ist mit seinem Wagen über einen Flucht- und Rettungsweg auf den Weihnachtsmarkt gelangt und hat diesen auch über einen solchen Notweg wieder verlassen, wie Magdeburgs Polizeiinspektions-Direktor Tom-Oliver Langhans berichtete. Diskutiert wird deshalb auch, ob der Markt ausreichend geschützt war. Ronni Krug, Beigeordneter für Personal, Bürgerservice und Ordnung der Stadt, sagte dazu: Das Sicherheitskonzept für den Markt sei "nach bestem Wissen und Gewissen" erstellt und zuletzt im November verschärft worden.

Der Extremismus-Experte Hans-Jakob Schindler äußerte hingegen Zweifel am Sicherheitskonzept. Es sei seit Jahren bekannt, dass Fahrzeuge und Menschenansammlungen eine sehr gefährliche Kombination darstellten. Es sei daher "schwer zu erklären, wieso es einem Fahrzeug gelungen ist, auf einen Weihnachtsmarkt in Deutschland zu gelangen", sagte er. 

Bundesweit haben Weihnachtsmärkte in größeren und kleineren Städten Deutschlands vor dem Fest großen Zulauf. Bundesinnenministerin Nancy Faeser riet nicht grundsätzlich von Besuchen auf diesen Märkten ab. Jeder müsse das für sich selbst einschätzen, so die SPD-Politikerin.

Kanzler Scholz (l.) neben Ministerpräsident Reiner Haseloff
Beim Gedenkgottesdienst in Magdeburg: Kanzler Scholz (l., SPD), neben ihm der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU)Bild: RONNY HARTMANN/AFP

In Magdeburg kamen am Samstagabend Hunderte zu einem Trauergottesdienst zusammen. Die Andacht im Dom der Landeshauptstadt war vor allem für Angehörige von Opfern, Rettungskräfte sowie andere geladene Gäste gedacht.

Vor der Kirche verfolgten Menschen den Gottesdienst auf einer Leinwand. In das Gedenken in der Magdeburger Innenstadt mischten sich am Samstagabend auch rechte Parolen. Mehr als 2000 Teilnehmer versammelten sich nach Angaben der Polizei auf einem zentralen Platz, vereinzelt kam es zu kleineren Störungen mit körperlichen Auseinandersetzungen. Mehrere Strafverfahren wurden eingeleitet.

Das Erlebte verarbeiten

Neben der juristischen Aufarbeitung steht nun die Betreuung der Opfer und schockierten Augenzeugen im Fokus. Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Pascal Kober, rechnet mit mehreren Hundert Hilfsbedürftigen. "Das ist einer der größten Anschläge, die wir bisher zu verzeichnen hatten", sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Wenn man Tatzeugen und Ersthelfer mitrechnet, potenziert sich das auf eine hohe dreistellige Zahl betroffener Menschen." Das Erlebte könne große psychische Belastungen bedeuten.

haz/wa/se (dpa, afp, rtr, epd)