ThyssenKrupp in der Krise
11. Dezember 2012Nach einer Serie von Affären und Finanzpannen hat der ThyssenKrupp-Konzern nach der Sitzung des Aufsichtsrats am Montag (10.12.2012) die Reißleine gezogen und drei Vorstandsmitglieder vor die Tür gesetzt. Der Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2011/2012 umfasst abermals milliardenschwere Verluste, die vor allem aus Fehlinvestitionen in Übersee resultieren.
In der Bilanz klafft jetzt ein Loch von rund fünf Milliarden Euro. Allein die Wertberichtigungen für die neuen Stahlwerke in den USA und Brasilien belasten die Bilanz mit rund 3,6 Milliarden Euro. Außerdem schwächelt das Geschäft mit dem Werkstoff Stahl auch in Europa. Über 2.000 Stahlarbeiter müssen Kurzarbeit schieben. Kurz vor Weihnachten brennt bei dem deutschen Global Player, der mit weltweit 170.000 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 50 Milliarden Euro erwirtschaftet, sprichwörtlich der Baum.
Dabei hatte Vorstandschef Heinrich Hiesinger dem angeschlagenen Traditionsunternehmen schon vor einem Jahr einen tiefgreifenden Kurswechsel verordnet. Die Schulden wollte er abbauen und das Rating verbessern, um Spielraum für Investitionen in andere Geschäfte zu gewinnen.
Fehlinvestitionen
Daraus aber ist nichts geworden. Zuletzt war ThyssenKrupp mit rund sechs Milliarden Euro verschuldet. Nach wie vor belasten die in den USA und Brasilien neu gebauten Stahlwerke bleischwer das Unternehmen. Statt der veranschlagten drei Milliarden haben diese Übersee-Stahlwerke rund zwölf Milliarden Euro verschlungen. Immense Fehlinvestitionen, die den Konzern ins Schlingern gebracht haben.
Zu allem Überfluss musste ThyssenKrupp für das Werk in den brasilianischen Mangrovenwäldern noch im November eine Umweltstrafe von vier Millionen Euro bezahlen. Diese Stahlwerke kann Vorstandschef Hiesinger im Prinzip nur noch verramschen. Die Angebote von Interessenten wie US Steel, CSN aus Brasilien und JFE aus Japan liegen allerdings deutlich unter den sieben Milliarden Euro, auf die Heinrich Hiesinger gehofft hat.
Mutmaßungen, dass der Aufsichtsrat bei diesen Projekten nicht genügend Aufsicht geführt habe, wies dessen Vorsitzender Gerhard Cromme gegenüber Aktionären zurück. Aber: "Aus heutiger Sicht wissen wir, dass viele Antworten des Vorstandes auf die Fragen des Aufsichtsrates sich im Nachhinein als zu optimistisch, unvollständig und teilweise auch als falsch herausgestellt haben.“
Weniger Stahl
Der damalige Vorstandschef Ekkehard Schulz übernahm zwar keine Verantwortung, nahm aber dennoch seinen Hut. Insider werteten das als noble Geste gegenüber dem Aufsichtsrat. Nachfolger Heinrich Hiesinger gab danach die Devise für die Neuausrichtung aus. Und die lautete: weniger Stahl und mehr Diversifizierung.
Auf dem Weg der Sanierung ist man dennoch nicht voran gekommen. Vielmehr produzierte der Konzern negative Schlagzeilen. So schmiedete ThyssenKrupp zusammen mit Voestalpine und Vossloh nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft mit Preisabsprachen ein Schienenkartell, das die Deutsche Bahn und andere öffentliche Verkehrsunternehmen mehrere Millionen kostete. Das Kartellamt verhängte gegen ThyssenKrupp bereits eine Strafe von 103 Millionen Euro. Die Deutsche Bahn will auf mehrere Millionen Schadensersatz klagen.
Hinzu kam unlängst eine Korruptionsaffäre aus dem Konzernbereich GfT Bautechnik. Dabei geht es um Schmiergeldzahlungen für Projekte in Kasachstan und Usbekistan. Nach eigenen Angaben hat ThyssenKrupp die Aufklärung selbst eingeleitet und sechs Mitarbeiter entlassen. Die Staatsanwaltschaft Essen ermittelt, ob Schmiergelder nicht nur an die Geschäftspartner, sondern auch an Mitarbeiter von ThyssenKrupp geflossen sind.
Ramponierter Ruf
Diese Affären haben nach Ansicht von Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz das Ansehen des Konzerns auch international ramponiert. "Und da hat ThyssenKrupp seit Jahren einen schlechten Ruf. Denn es ist ja nicht das erste Mal, dass man mit dem Thema Korruption und Bestechung und Kartellverstößen hier in Berührung kommt", sagt Hechtfischer.
Inzwischen ist jemand in die Schusslinie geraten, der solchen Entgleisungen unternehmensintern vorbeugen sollte. Und zwar das für ordnungsgemäße Geschäftsführung und Kommunikation zuständige Vorstandsmitglied Jürgen Claassen. Der 54jährige Claassen, der bereits Assistent des ehemaligen Krupp-Chefs und heutigen Aufsichtstrats Gerhard Cromme war, hat um die einstweilige Entbindung seiner Aufgaben gebeten. Ihm werden die Finanzierung von teuren Journalisten-Reisen unter anderem in Luxus-Ressorts in China und den USA angelastet. So genannte Gefälligkeitsreisen.
Befreiungsschlag?
Gelegentlich soll Claassen auch seine Familie mitgenommen haben. Und ein in New York mit dem ZDF-Korrespondenten dienstlich abgerechnetes Mittagessen in einem Nobel-Restaurant habe der ZDF-Korrespondent auf Nachfrage als rein privat bezeichnet.
Innerhalb des Konzerns finden vor dem Hintergrund der ungeklärten Verantwortung für diverse Fehlentscheidungen dem Anschein nach persönliche Abrechnungskämpfe statt. Mit der Entlassung der drei Vorstandsmitglieder Jürgen Claassen, Edwin Eichler und Olaf Berlien versucht der Konzern vor der Aufsichtsratssitzung einen Befreiungsschlag. An den desaströsen Zahlen im Geschäftsbericht ändert das aber nichts.