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Thomas Quasthoff goes Jazz

28. Februar 2007

Schon in seiner Jugend sang er in der Band seines Bruders Jazz-Standards. Nun kehrt der Bariton Thomas Quasthoff zu einer alten Liebe zurück.

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Till Brönner und Thomas QuasthofBild: Jim Rakete /DG

Holger Erdmann André Previn sagte einmal: „Den Swing hat man, oder eben nicht. Man kann ihn nicht lernen!“ Herr Quasthoff, wann haben Sie gemerkt, dass Sie den Swing, respektive den Jazz, in sich haben?

Thomas Quasthoff Ich habe sehr viel eher mit Jazz angefangen als mit klassischer Musik. Das war mit zwölf, dreizehn. Mit elf habe ich schon das „Nasobem“ von Christian Morgenstern mit einer Jazz-Combo vertont. Das war der erste und einzige Versuch, selbst etwas zu komponieren. (lacht) Natürlich war das alles durch meinen Bruder beeinflusst, der nach seinen Hardrock-Zeiten mit Deep Purple oder Jethro Tull schnell zum Jazz kam. Wir haben gleich mit dem Ext- remsten angefangen – so etwas wie John Coltranes „Live In Tokyo“. Wir hatten natürlich von nichts eine Ahnung. Aber Free Jazz war halt modern. Ich habe mich dann immer mehr mit den Wurzeln beschäftigt, vom Kornettisten Bix Beider-becke über Louis Armstrong bis zu Roy Eldrigde und ganz vielen Sängern, zum Beispiel Eddie Jefferson, den heute kaum noch jemand kennt.

HE Was hat Sie damals am Jazz fasziniert?

TQ Es war vor allem die Improvisationsmöglichkeit, obwohl die sich in den letzten Jahren bei mir fast „weg“-entwickelt hat. Ich habe immer nach etwas anderem als dem reinen scatorientierten Gesang gesucht, wollte den Stücken eine ganz persönliche Farbe geben. Und ich muss betonen, dass Till Brönner mir in unserer Zusammenarbeit wahnsinnig geholfen hat. Ich habe ihm gesagt: „Bei jeder Produktion, auch bei jeder klassischen, konnte ich viel lernen. So viel wie bei diesem Album habe ich jedoch selten gelernt.“

HE Können Sie in Worte fassen, was das bei dieser Produktion war?

TQ Dass man mit Farben, mit einer anderen Phrasierung – natürlich einer ganz anderen Phrasierung, als man sie aus der Klassik kennt – einen Sound kreieren kann, den man sich selbst im ersten Moment nicht zutraut. Denn diese CD war für mich durchaus ein Sprung ins kalte Wasser und auch Neuland. Aber ich hoffe und glaube, dass uns etwas Schönes gelungen ist. Zumindest etwas anderes als das, was man bisher vom Sänger Quasthoff kannte.

HE Herr Brönner, wann haben Sie mitbekommen, dass Thomas Quasthoff swingen kann?

Till Brönner Ich bin schon vor einiger Zeit zu der Erkenntnis gekommen, dass dieser Mann etwas hat, was es lohnt herauszuarbeiten – zum einen von früheren Aufnahmen, zum anderen aus reiner Neugier. Es hat während der Produktion unheimlich viel Spaß gemacht, diese Fähigkeiten aufzuspüren und zu kultivieren. Das war schon ein Experiment. Aber wir haben beide gespürt, dass es an der Zeit war, ein solches Projekt zu realisieren. Für mich war es eine Ehre, mit Thomas zu arbeiten und eine ganz andere Seite herauszukitzeln, die aber möglichst selbstverständlich rüberkommen sollte.

HE Wann haben Sie ihn zum ersten Mal beim Jazzen erlebt?

TB Live jazzend habe ich ihn erst bei mir im Studio erlebt. Zuvor hatte ich ihn aber in dem Film „The Dreamer“ von Michael Harder gesehen, wie er mit Jazz-Profis swingt. Das hatte mich völlig überzeugt.

HE Herr Quasthoff, Sie sagten, dass diese neue CD für Sie Neuland darstellt. Aber Sie haben zuvor schon mit der Berliner Philharmonic Jazz Group eine CD veröffentlicht …

TQ Da muss man aber fairerweise sagen, dass es sich um einen Konzert-Mitschnitt handelt, und es sind auch keine „richtigen“ Jazz-Musiker. Insofern würde ich das nicht als Jazz-CD bezeichnen. Ich glaube, diese neue CD kann man meine erste Jazz-CD nennen.

HE Herr Quasthoff, Sie singen auf „Watch What Happens“ zum Teil sehr zurückhaltend, fast in sich gekehrt. Wer oder was hatte für die Entwicklung Ihres Gesangsstils im Jazz besondere Bedeutung?

TQ Es gab Einflüsse, die für mich ext-remst – ich betone: extremst – prägend waren. Das war zum Beispiel eine Sängerin wir Shirley Horn, die mir zeigte, dass man nicht immer auf Teufel komm raus scatten muss und trotzdem großartig Jazz singen kann. Diese Erfahrung würde ich auch als die prägendste in der Zusammenarbeit mit Till Brönner bezeichnen; dass man eben nicht als Jazzer gilt, nur weil man Scat gesungen hat, sondern dass man auf sehr eigene Art und Weise Farben für sich und in den Titeln entdeckt – oder dass dies andere entdecken und he-rauskitzeln können, was ich mir selbst nicht zugetraut hätte. Ich kann sagen, dass Till in dieser Zeit wirklich ein enger und guter Freund geworden ist und dass wir uns über die Musik hinaus auch in menschlicher Hinsicht ein erhebliches Stück näher gekommen sind. Das war für mich das Allerschönste an dieser CD.

Till Brönner und Thomas Quasthof
Bild: Jim Rakete /DG

HE Bei der letzten Phrase des Titelsongs „Watch What Happens“ erliegen Sie nicht der Versuchung, noch einmal richtig „loszuschmettern“, sondern singen ganz zart, ja hauchen fast.

TQ Das genau meinte ich, als ich von Shirley Horn sprach. Ich komme übrigens auch in der Klassik immer mehr dahin zu sagen: „Weniger ist mehr!“ Das, was ein Publikum wirklich ergreift, sind letztlich sowieso die Dinge, die ganz tief in einem Musiker passieren – und nicht das, was aufgesetzt expressiv zur Schau gestellt wird. Das, was das Innere eines anderen Menschen erreicht, kann auch nur aus dem Inneren eines Musikers kommen. Alles, was künstlich draufgepappt wird, klingt entweder unehrlich oder eben aufgesetzt. Aber es geht doch darum, den Zuhörer zu erreichen. Und da ist weniger definitiv mehr.

HE Herr Quasthoff, haben Sie sich Gedanken gemacht, wie Ihr klassikorientiertes Publikum auf eine solche Jazz-CD reagieren wird?

TQ Sicherlich, deshalb ging es uns bei dieser Premieren-CD auch darum, sie so anzulegen, dass wir die klassischen Fans nicht vors Gesicht prügeln, aber gleichzeitig auch versuchen, eine neue Klientel zu erschließen. Für mich war es wichtig zu zeigen, dass ich mit meiner Stimme sehr seriös etwas anderes machen kann und trotzdem nicht den Pfad der Kultur und des hohen Anspruchs verlasse.

TB Ich glaube, es ist wichtig, immer den Versuch zu unternehmen, Musik für die Ewigkeit zu machen. Das klingt vielleicht etwas aufgeblasen oder vermessen, ist aber im Findungs- und Entstehungsprozess ein ganz wichtiger Gedanke, den man nicht aus den Augen verlieren darf. Er hilft dabei, dass zum Beispiel die Eitelkeit nicht mit einem durchgehen kann. Er ist auch wichtig, weil er davor bewahrt, irgendwelche Modernismen um ihrer selbst willen zu benutzen, und er hilft bei jedem noch so kleinen Detail den Blick für das Wesentliche zu behalten. Und das bedeutet: zeitlos gute Musik zu machen. Wir konnten aus dieser Produktion miteinander auf Augenhöhe und mit einem sehr guten Gefühl herausgehen.

HE Bei allem Trennenden: Was verbindet den klassischen und den Jazz-Gesang?

TQ Die Emotion und auch die intellektuelle Durchdringung.

HE Herr Brönner, worauf haben Sie als Produzent besonderes Augenmerk gelegt?

TB Als Produzent fühle ich mich verpflichtet, das Beste in einem Künstler zu aktivieren. Und ich habe bei dieser CD die Erfahrung machen dürfen, dass das Beste viel mehr sein kann, als man es sich zusammen am Anfang vorstellen kann. Die Suche nach dem besonderen „Kick“ und die Zuversicht mit ins Studio zu nehmen, dass man etwas Schönes bewerkstelligen kann, das treibt mich. Das heißt übrigens nicht, dass das Ergebnis dem anfangs Geplanten entsprechen muss. Manchmal entsteht etwas im Studio, das man einfach nicht „planen“ kann. Dafür muss man als Produzent flexibel sein, und vor allem muss man die Gefühlslage und die Tagesform aller Beteiligten – nicht nur die des Sängers – so kreativ mit einbeziehen, dass etwas Einmaliges entstehen kann. Dafür muss man sein eigenes Ego hinten anstellen, aber nicht ausschalten.

HE Wie leicht oder schwer fiel es Ihnen als Produzent, bei jedem Song den letztlich „definitiven“ Take auszuwählen?

TB Man spürt instinktiv, bei welchem Take es sozusagen „passiert“ ist. Das geht nicht nur mir, sondern auch den Musikern und nicht zuletzt dem Sänger so. Ich bin immer dafür, den direktesten und – wenn man so will – den „Ego-freiesten“ Take zu nehmen, weil der am besten auf die Substanz eines Stückes verweist und auch die persönliche Lesart der Musiker und des Interpreten am deutlichsten zeigt.

HE Leider ist es oft so, dass Ausflüge klassischer Interpreten in populärere Musikgefilde zu einem recht ungenießbaren „Crossover“-Brei geraten. Gott sei Dank gilt das für Ihre CD nicht.

TQ Das würde mich auch treffen … (lacht)

HE Aber wie hat Ihre Plattenfirma auf dieses Vorhaben reagiert?

TQ Ich hatte bei mehreren Live-Auftritten festgestellt, dass ich mit dieser Musik ein anderes, vielleicht sogar ein größeres Publikum erreichen kann. Das fand ich sehr spannend. Ich arbeite seit 1999 mit der Deutschen Grammophon zusammen. Da haben einige natürlich skeptisch reagiert, weil sie in den letzten Jahren mit einigen nicht gelungenen Produkten sehr gebeutelt wurden – teilweise durch eigenes Verschulden. Es gilt nunmal überall, dass nicht die Masse die Qualität ausmacht. Niemand hört sich die 599. Aufnahme der „Matthäus-Passion“ mehr an, wenn sie nicht wirklich außergewöhnlich ist. Ich denke, dass in dieser Hinsicht nach wie vor Fehler gemacht werden.

Till Brönner und Thomas Quasthof
Bild: Jim Rakete /DG

Darüber hinaus liebt man es in Deutschland zu kategorisieren. Da gibt es also einen Sänger, den man als Oratorien- und Liedersänger aufgebaut hat. Und wenn dieser Sänger aus diesem Klischee oder diesem Korsett auszubrechen versucht, dann setzt allerorten die Panik ein. Dagegen kann ich wenig ausrichten. Ich habe nur immer wieder gesagt: Wenn man ein Verhältnis eingeht, kann es nur funktionieren, wenn es auf gegenseitigem Vertrauen beruht. Im Klassik-Breich habe ich meiner Plattenfirma voll vertraut – mit Erfolg. Also sagte ich ihnen: Wenn ich Euch so etwas anbiete, wird es nicht dieses übliche Crossover. Für mich geht es doch auch um die Frage, was ich mit meiner Stimme neu dazugewinnen kann, um der Musik – in diesem Fall den Jazz-Songs – wirklich gerecht zu werden.

HE Was war für Sie letztlich die wichtigste Erfahrung bei der Arbeit an dieser CD?

TQ Dass man auch mit Reduktion der Mittel unglaublich emotional sein kann.

Thomas Quasthoff - Biographie

Thomas Quasthoff ist eine Ausnahmegestalt des internationalen Musiklebens: „1,34 Meter groß, kurze Arme, sieben Finger – vier rechts, drei links – großer, relativ wohl geformter Kopf, braune Augen, ausgeprägte Lippen. Beruf: Sänger“, charakterisierte er sich selbst für ein TV-Portrait von Radio Bremen und überging damit schelmisch, dass er eine der schönsten Stimmen der Gegenwart hat.

Thomas Quasthoff wurde am 9. November 1959 in Hildesheim geboren. Seit seinem 14. Lebensjahr bekam er Privatunterricht, Gesang bei Charlotte Lehmann, Musiktheorie und Musikgeschichte bei Ernst Huber-Contwig. 1988 gewann er den Ersten Preis des angesehenen ARD-Wettbewerbs, acht Jahre später den Schostakowitsch-Preis in Moskau und den Hamada Trust/Scotsman Festival Price in Edinburgh.

Nach seinem gefeierten Oregon-Bach-Festival-Debüt 1995 machte er die Runde bei den Festivals, trat in den USA regelmäßig mit den Sinfonieorchestern in Boston, Chicago, Cleveland, Pittsburgh und New York auf und wurde ein gern gesehener Gast von großen Konzertreihen wie dem Ravinia Festival, Tanglewood und Mostly Mozart. 1999 stelle er sich mit Schuberts „Winterreise“ in New York vor. Im selben Jahr unterschrieb er einen Exklusivvertrag mit der Deutschen Grammophon, für die er seitdem Lieder, Orchesterlieder und Opern-Arien aufgenommen hat.

Seit 2004 unerrichtet Quasthoff Gesang an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin; zuvor war er bereits Professor an der Musikhochschule Detmold. Seit dem Jahr 2003 hat Quasthoff außerdem die Schirmherrschaft über die Stiftung Kinder von Tschernobyl des Landes Niedersachsen übernommen. 2004 gab er sein Debüt an der Wiener Staatsoper mit der Rolle des Amfortas in Wagners Bühnenweihfest-spiel „Parsifal“.

Till Brönner - Biographie

Till Brönner, Jahrgang 1971, erhielt eine klassische Trompetenausbildung und studierte Jazz-Trompete an der Musikhochschule Köln bei Jiggs Whigham und Jon Eardley. Von 1989 an war er Mitglied der Peter Herbolzheimer Rhythm Combination & Brass, ab 1991 Trompetensolist des Rias-Tanzorchesters, heute RIAS Big Band Berlin unter Horst Jan- kowski und Jiggs Whigham. 1993 er- sch ien seine erste eigene CD (Generations Of Jazz, Minor Music), u. a. mit Ray Brown am Kontrabass und Jeff Hamilton am Schlagzeug, die den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielt. Es folgten zahlreiche weitere CDs als Trompeter, Bandleader und Produzent für Labels wie BMG, Warner und vor allem Verve. Brönner ist heute wohl der erfolgreichste deutsche Jazzer und hat u.a. mit Dave Brubeck, James Moody, Monty Alexander, Aki Takase, Joachim Kühn, Chaka Khan, Natalie Cole, Tony Bennett, Ray Brown, Johnny Griffin, Ernie Watts, Klaus Doldinger, Al Foster u. v. a. zusammengespielt.