1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Thailand: Schutz des indochinesischen Tigers

Julian Küng aus Bangkok
23. Dezember 2023

In Thailand nimmt dank intensiver Schutzmaßnahmen der Tigerbestand in der Wildnis zu. Auch die Wilderer sind weiterhin aktiv. Mit DW-Korrespondent Julian Küng spricht einer von ihnen in Bangkok.

https://p.dw.com/p/4aNfV
Thailand Ubon Ratchathani 2022 | Gerettete Tigerbabys in Wildtierklinik
Eine Tierpflegerin betreut einen befreiten Tigerwelpen in ThailandBild: Julian Küng/DW

Mit Campingausrüstung auf dem Rücken und Gewehrriemen über der Schulter streifen die Ranger Tag und Nacht durch die Wälder Thailands. Ihre Mission: die Wilderei des Tigers einzudämmen. Sie halten Ausschau nach verkohlten Holzstücken, die auf Lagerfeuer von Eindringlingen hindeuten könnten. Jeder Abdruck in der Erde wird inspiziert, der von einer Tigertatze stammen könnte.

Rund 60 dieser tarngekleideten Wildhüter bewachen den Huai Kha Khaeng Nationalpark. Das fruchtbare Land bildet zusammen mit dem angrenzenden Wildschutzgebiet Thung Yai das Herzstück des insgesamt 18.000 km² großen westlichen Naturschutzgebiets. Das ist der größte Lebensraum des indochinesischen Tigers in Thailand und zugleich eines der letzten Rückzugsgebiete der Großkatze in ganz Südostasien.

In Kambodscha, Laos und Vietnam gilt der Tiger bereits als ausgestorben. Auch in Thailand stand die majestätische Raubkatze vor 15 Jahren noch kurz davor. 40 Tiere, vielleicht weniger, waren noch übrig in Huai Kha Khaeng. Mittlerweile hat sich der Bestand dank intensiver Kontrollgänge, "Smart Patrol" genannt, mehr als verdoppelt. Im gesamten Land streifen sogar bis zu 189 Wildtiger durch die Wälder, schätzt die thailändische Verwaltung für Nationalparks, Wildtiere und Pflanzenerhaltung.

Forschungsleiter Sompot Duangchantrasiri / Wildschutzgebiet Huai Kha Khaeng, Thailand
Tigerschützer Sompot Duangchantrasiri in der LeitzentraleBild: Julian Küng/DW

Elektronische Waldüberwachung

Der Forschungsleiter der Naturschutzbehörde, Sompot Duangchantrasiri, empfängt die DW in der "Smart Patrol"-Leitzentrale inmitten der Tropenwälder. Hier laufen alle Fäden zusammen. An den Wänden hängen dreidimensionale Landkarten. Analysen und Auswertungen sind im ganzen Raum verteilt. Sompot klappt ein Laptop auf und zeigt auf eine Karte des Naturreservats, die übersät ist mit gelben Punkten.

"Jede dieser Markierungen ist eine Kamerafalle, die automatisch auslöst, wenn ein Tiger oder Wilderer auftaucht", sagt Sompot. Rund 400 Stellen können so elektronisch überwacht werden, fügt er hinzu. So werden auch die einzigartigen Streifenmuster der Raubkatzen erfasst und fließen in eine Datenbank, um die Tiere zurückzuverfolgen.

Thailand Ubon Ratchathani 2022 | Gerettetes Tigerbaby in Käfig einer Wildtierklinik
In China gilt der indochinesische Tiger als ausgestorbenBild: Julian Küng/DW

Wilderer werden hart bestraft

"Früher hörten wir fast täglich die Gewehrschüsse der Wilderer durch den Dschungel peitschen", erinnert sich Sompot. Heute sei das zum Glück nicht mehr so häufig. Trotzdem bleibt die Arbeit in der Wildnis gefährlich. Hinter jedem bewaldeten Hügel könnten bewaffnete Wilderer lauern.

So wie Anfang letzten Jahres, als Wildhüter eine graue Wolke über dem Blätterdach des Nationalparks Thong Pha Phum entdeckten. Die Rauchsäule führte zu einem Lagerfeuer, das eine Gruppe von Wilderern kurz davor fluchtartig verlassen hatte. Auf dem Feuer brutzelte noch das Fleisch von zwei frisch geschlachteten Wildtigern.

Daneben finden die Ranger die feinsäuberlich abgezogenen Felle der Tiere. Wenig später stellen sich die fünf Jäger den lokalen Behörden. Sie stammen aus einem abgelegenen Bauerndorf in der Nähe des Reservats.

Mit der DW hatte einer von ihnen gesprochen. "Wir mussten die Tiger töten, weil sie zur Gefahr für unsere Kuhherde wurden", rechtfertigte sich der Mann namens Kue kue vor dem Prozess. Ihm glaubten die Richter des Landgerichts Thong Pha Phum allerdings nicht. Die sorgfältige Häutung der Tiere habe gezeigt, dass die Männer wirtschaftliche Interessen verfolgten, argumentierte das Schwurgericht.

In diesem Präzedenzfall mussten die Angeklagten fünf Jahre hinter Gitter. Eine Geldstrafe von 150 Euro und eine Entschädigung von 20.000 Euro seien zu entrichten. Allein der Schadenersatz entspricht in Thailand mehr als vier durchschnittlichen Jahreseinkommen. Beträge, welche die ärmlichen Bauern wohl nie zurückzahlen können.

Hotspot des illegalen Tigerhandels

Trotz harter Strafen und intensiver Überwachung bleibt Thailand ein wichtiger Umschlagplatz für den illegalen Handel mit Tigern und ihren Körperteilen. Eine Studie des Artenschutznetzwerks TRAFFIC zeigt, dass die meisten beschlagnahmten Tigerprodukte mittlerweile nicht mehr aus der Wildnis, sondern aus Zoos oder Zuchtanlagen stammen. Der Anteil der Fälle, in denen Tigerteile aus Gefangenschaft beschlagnahmt wurden, ist von neun Prozent im Jahr 2005 auf über 50 Prozent in den Jahren 2018 und 2019 gestiegen.

Thailand ist hier führend, wo TRAFFIC bei 81 Prozent der sichergestellten Tigerwaren davon ausgeht, dass sie von gezüchteten Tieren stammen. Über 1.600 gefangene Tiger soll es gemäß der Environmental Investigation Agency (EIA) im Königreich geben, die höchste Zahl in ganz Südostasien.

Die Haltung und Zucht von Tigern ist in Thailand grundsätzlich nicht verboten, sofern die Zoos behördlich genehmigt sind. Doch diese Genehmigungen werden viel zu leichtfertig vergeben, klagt die EIA. Die Umweltschutzorganisation fordert daher, die Regulierung von zoologischen Einrichtungen zu verschärfen und konsequent durchzusetzen.

"Es gibt Einrichtungen, die als Zoos zugelassen sind, aber sich in einem scheinbar dauerhaften Baustadium befinden und so nicht öffentlich zugänglich sind", sagt Debbie Banks, EIA-Kampagnenleiterin für Tiger und Wildtierkriminalität der DW. "Eigentlich sollte dies bei den Behörden alle Alarmglocken schrillen lassen."

Die thailändische Naturschutzbehörde kündigte an, die Einhaltung der Regularien künftig strenger zu kontrollieren. Der Direktor der Wildtierabteilung, Nuwat Leelapata, sagte dem Onlinemedium "Bangkok Tribune", dass die Überwachung der Tigerpopulation in den Tigerfarmen jedoch nicht einfach sei.

"Von Natur aus ist es schwierig zu erkennen, ob Tiger trächtig sind. Wir haben keine Ahnung, wie viele Babys genau geboren werden, wenn die Zoos uns das nicht direkt melden." Laut Gesetz müssten die Tigerfarmen die Behörden innerhalb von 24 Stunden informieren, wenn sich die Anzahl der Großkatzen auf dem Gelände verändert.

Thailand Bangkok 2023 | Tigerhändler Leuthai Diewchareon in seiner Behausung
"Der Dicke": Tigerhändler Leuthai Diewchareon im DW-InterviewBild: Julian Küng/DW

Ein Tigerhändler packt aus

Stattdessen kontaktieren manche einen Zwischenhändler, der die Tiger in ihre Einzelteile zerlegt und international zu hohen Preisen vermarktet. Einer der berüchtigtsten dieser Tigerhändler war Leuthai Diewchareon.

Unter dem Spitznamen "der Dicke" war Diewcharoen jahrzehntelang der Hauptakteur eines südostasiatischen Wildereisyndikats. Viermal wurde er wegen Wilderei und illegalen Handels mit Wildtieren verurteilt. In seinem Schlachthaus im Westen Bangkoks türmten sich in der Hochphase Tigerknochen, Fleisch, Felle und Organe. In kleinen Quetschkäfigen hielt er ein halbes Dutzend lebende Tiger, die auf ihre Schlachtung warteten.

Heute lebt er in einem verkommenen Hinterhof in der Altstadt Bangkoks, wo ihn die DW in einer fensterlosen Unterkunft findet. Er sei "gesundheitsbedingt nicht mehr aktiv", sagt der beinamputierte Mann. Wie er sein Bein verlor, möchte er nicht verraten.

Über die düsteren Praktiken des südostasiatischen Tigerhandels gibt er aber unverhohlen Auskunft. Sein Geschäftsmodell sei einfach gewesen. Sobald ein Wilderer ein Tiger erlegte oder ein Zoo neugeborene Welpen zu veräußern hatte, war "der Dicke" mit seinem Geländewagen und einer Kühltruhe zur Stelle.

Ein gezielter Schuss mit einem Betäubungspfeil, dann wurde das Tier getötet und in alle Teile zerlegt. "Da darf man nichts verschwenden”, mahnt Leuthai. Die Haut, das Skelett, die Krallen und Zähne seien allesamt hoch vermarktbare Produkte. "Sogar für eine Gallenblase kriegte ich 4000 Baht", sagt der 63-Jährige. Das entspricht circa 100 Euro.

Pro Tier habe er insgesamt rund 10.000 Euro Profit gemacht. Ein Tiger, ausgewachsen und in seine Einzelteile zerlegt, kostet gemäß Tierschützern aktuell zwischen 25.000 bis 50.000 Euro.

China dominiert die Pharmamärkte

Hauptabsatzmarkt China

Die hohen Preise sind auf die große Nachfrage aus Vietnam und insbesondere China zurückzuführen. Im Reich der Mitte, wo die Unterart des Tigers nach Einschätzung der Tierschützer bereits ausgerottet ist, werden den Raubkatzen magische Heilkräfte zugeschrieben.

Die Körperteile werden als Aphrodisiakum oder als vermeintliches Heilmittel gegen Arthritis und andere Krankheiten eingesetzt. Tiger-Skelette beispielsweise habe Leuthai durch seine Kontakte in Laos weiterverarbeiten lassen, wo die Knochen "zu einer klebrigen Masse verkocht werden". Danach wird die Tigerpaste in Kapseln abgefüllt und auf dem chinesischen Schwarzmarkt für stolze 260 Euro pro Pille verkauft.

Die Felle landen meist als prestigeträchtige Bettvorleger oder Wandschmuck in wohlhabenden Haushalten. Klauen und Zähne werden zu Amuletten verarbeitet, die als Glücksbringer auch auf dem thailändischen Markt begehrt sind.

Unterdessen geht der Kampf gegen den illegalen Wildtierhandel im Königreich unaufhörlich weiter. Zuletzt hat die thailändische Polizei vor rund drei Wochen eine Razzia in einer Vorstadtsiedlung nördlich von Bangkok durchgeführt. Hinter der unauffälligen Fassade eines Reihenhauses fanden die Ermittler über 500 Tierkadaver, darunter zerstückelte Überreste von Tigern, Panthern und asiatischen Goldleoparden. Dem verhafteten Händler drohen wegen unerlaubten Handels und Besitzes geschützter Wildtiere bis zu zehn Jahre Haft.