1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Taylor Swift in Germany - die große Unbekannte

18. Juli 2024

Taylor Swift, der Megastar aus den USA, startet seine "Eras Tour" in Gelsenkirchen. Der Hype ist groß. Die Ruhrgebietsstadt wandelt sich zu "Swiftkirchen".

https://p.dw.com/p/4iRjL
Die spärlich bekleidete Sängerin Taylor Swift streckt einen Arm in Richtung Publikum aus
Taylor Swift auf der Bühne in GelsenkirchenBild: dpa/picture alliance

Es ist eine ganz spontane Entscheidung gewesen, Jasmin ist ohnehin schon tätowiert - warum also nicht die Signatur der Lieblingssängerin als nächstes Körperkunstwerk? Die 29-Jährige grinst, während ihr ein Tätowierer die Unterschrift von Taylor Swift auf den Arm sticht. 100 Euro kostet das die Oldenburgerin, die angereist ist, um den Megastar live zu sehen. Die erste von Swifts Stadionshows in Deutschland hat am Mittwoch in Gelsenkirchen stattgefunden, zwei weitere folgen. Mehr als 180.000 Menschen wollen den Deutschlandstart von Swifts "Eras Tour" erleben.

Eine junge Frau im Tätowierstudio, neben ihr ein männlicher Tätowierer
Jasmin aus Oldenburg lässt sich den Namen Taylor Swift auf den Arm tätowierenBild: Sebastian Scherer/DW

Der Tätowierstand ist Teil des Fanfests auf dem Heinrich-König-Platz. "Taylor Town" nennt sich das Areal. Fans basteln und tauschen Armbänder, das ist üblich unter den "Swifties", machen Fotos mit den vielen Swift-Aufstellern und tanzen zur Musik eines DJs, der zehn Stunden lang die Diskografie zusammen mischt, die sie an diesem Abend auch live präsentieren wird. 

Das Pop-Phänomen Taylor Swift

Taylor Swift ist das wohl größte Popphänomen unserer Zeit. 2006 erschien ihr Debütalbum, kreativ "Taylor Swift" betitelt, in den USA. Countrymusik der reinsten Sorte, immerhin auf Platz fünf der amerikanischen Charts gelandet. 2012 schwenkte sie auf Popmusik um und verärgerte damit Teile der konservativen Branche. Swift bewies aber, zumindest karrieretechnisch, den richtigen Riecher.  

Die 34-Jährige wirkt nahbar, klinisch rein ist ihre Show. Wenn sie auf den aktuellen Alben mal ein Schimpfwort in den Mund nimmt, sorgt das immer noch für Erstaunen. Ihr Image wirkt so sauber, dass sie von der amerikanischen Rechten als Postergirl vereinnahmt wurde: blond, weiß, freundlich. Doch politisch ist sie offenbar anders eingestellt: Sie setzte sich für den Equality Act, die Einführung des Juneteenth als nationalen Feiertag und die Entfernung der Konföderiertenstatuen in ihrer Heimat Tennessee ein, unterstützte zudem die erfolgreiche Kandidatur des Demokraten Joe Biden bei den Präsidentschaftswahlen 2020. Bei den anstehenden US-Präsidentschaftswahlen könnte sie den Demokraten sogar zum Sieg verhelfen, vermutete Kulturwissenschaftler Jörn Glasenapp unlängst im Deutschlandfunk. Etwa wenn sie in den Swingstates nur wenige Tausend ihrer Millionen Fans an die Wahlurnen bringe. Bisher hält Swift sich zurück. 

Taylor-Swift-Fans bilden lange Warteschlangen vor dem Stadion in Gelsenkirchen
Massenandrang mit langen Wartschlangen vor der Gelsenkirchener "Veltins-Arena"Bild: Christoph Reichwein/dpa/picture alliance

In Deutschland blieb das Interesse wohl auch wegen der Country-Roots lange überschaubar. Zwar liefen Singles wie "Shake It Off" und "Blank Space" auch hier im Radio. Von den Singles der insgesamt elf Studioalben landeten aber bis heute nur sieben überhaupt in den Top 10. Das ist im internationalen Vergleich wenig, aber eben doch genug, um sechs Stadionkonzerte - nach Gelsenkirchen geht es nach München und Hamburg - in wenigen Stunden auszuverkaufen.  

Mega-Star mit politischem Einfluss

Das Phänomen Taylor Swift ist mit dem Talent der Sängerin, die ihre Songs überwiegend selbst schreibt und komponiert, nicht allein zu begründen. Vor allem strahlt Taylor Swift eine Natürlichkeit aus, die vielen als Projektionsfläche dient: Ihr Songwriting bezieht sich vor allem auf Alltägliches, auf gebrochene, pochende und beinahe explodierende Herzen. Immer verarbeitet sie darin ihre Beziehungen. Zeitweise war ein Running Gag der Popmusik, wie häufig Swift Beziehungen beginnt und beendet, die prominenteste wohl mit dem britischen Sänger Harry Styles. 

Zwei Taylor-Swift-Fans tragen bedruckte T-Shirts
Gelsenkirchen ist überall - Taylor-Swift-Fans tragen bedruckte T-ShirtsBild: Sebastian Scherer/DW

Doch diesen Spieß drehte Taylor Swift um: Aus den Scherzen machte sie feministische Kritik - daran, dass Männer durch die Betten turnen dürfen, Frauen sich aber bitte zurückhalten sollen. Und hatte so das nächste Thema für einige Songs. Gleichzeitig rätseln ihre Fans mit größter Begeisterung, welche Zeilen welchem Verflossenen gewidmet sind. Immer wieder versteckt sie zudem Hinweise auf zukünftige Projekte in ihren Musikvideos und Fotoshootings. "Easter Eggs" für die Fans, die sich belohnt sehen, wenn sie recht hatten. Kundenbindung ist alles. Dass sich die Fans als besonders freundliche und offene Community verstehen, wen wundert‘s? 

Wenig Gegrummel, viel Begeisterung

In Gelsenkirchen, der großen Unbekannten in dieser Tour-Rechnung, hat Swift auch einen Merchandise-Stand aufgebaut, die Schlangen wollen nicht enden. Doch nicht alle teilten die Begeisterung. In einem Kiosk findet die Verkäuferin das "Getue" überzogen, "für Rammstein machen die das nicht”, sagt sie. "So eine Scheißmusik", flucht ein älterer Herr im Vorbeigehen. Es wird auch schon mal genörgelt.

Auf einem gefakten Ortsschild steht Swiftkirchen
Gelsenkirchen wird für kurze Zeit "Swiftkirchen" - Fans haben entsprechende Schilder aufgestelltBild: Bernd Thissen/dpa/picture alliance

Gelsenkirchen ist kurzzeitig "Swiftkirchen", davon zeugen über die ganze Stadt verteilte Straßenschilder, die ein Fan organisiert hat. Eine Eisdiele verkauft die Sorte "Swiftkirchen" (Erdbeer-Sahne), hinter dem nahegelegenen Rathaus malte eine Künstlerin ein großes Bild auf das Straßenpflaster. Die Filiale einer globalen Sandwichkette hat Pappaufsteller der Sängerin ins Fenster gestellt. Und wer aus dem Bahnhof tritt, wird von Wimpeln und laut aufgedrehten Songs der Popqueen begrüßt. Zum Stadion geht es dann in einer mit Swift-Fotos beklebten Tram. 

Der Megastar selbst ist im eher schickeren Düsseldorf abgestiegen. Doch kann das vom Strukturwandel gebeutelte Gelsenkirchen die Steuereinnahmen, die die Swift-Konzerte generieren, gut gebrauchen. Viele Fans sind sogar - wegen der billigeren Tickets - aus den USA angereist. "Gelsenkirchen ist einmal um die Welt gegangen", freut sich ein Stadtsprecher. Sogar Jasmin, die junge Frau aus Oldenburg weiß jetzt, wo "Swiftkirchen" liegt.

Sebastian Scherer
Sebastian Scherer Social-Media-Koordinator für Life & Style