Tansanias kompromissloser Reformer
9. September 2017Im ostafrikanischen Tansania sorgen sich die Menschen mehr und mehr über das politische Klima. Einer der prominentesten Regierungskritiker im Land ist nach einem Attentat am Freitag in Nairobi, der Hauptstadt des Nachbarlandes Kenia, not-operiert worden. Der Oppositionsführer Tundu Lissu befand sich nach einer Parlamentssitzung auf dem Heimweg, als bewaffnete Männer zahlreiche Schüsse auf seinen Wagen abfeuerten. Der 49-jährige Chef der "Partei für Demokratie und Fortschritt" (Chadema) wurde bei dem Angriff schwer verletzt. Die Attentäter sind unbekannt.
Präsident John Magufuli erklärte, er sei schockiert über das Attentat auf Lissu und versprach eine zügige Aufklärung des Verbrechens. Doch Kritiker des Regierungsstils von Magufuli sehen sich bestätigt. Seit langem werfen Menschenrechtler der Regierung vor, immer autoritärer zu regieren und massiv gegen Andersdenkende vorzugehen: Regierungsmitglieder hetzten gegen schwangere Jugendliche, Homosexuelle und andere Minderheiten. Mehrere Radiostationen und Zeitungen sind geschlossen worden. Bei weiten Teilen der Bevölkerung kommt die Beschneidung der Medienfreiheit nicht gut an.
Druck auf beide Parteien
Die Regierung steht unter Druck. Einer, der dazu beigetragen hat, ist der freimütige Kritiker Lissu, der sich von Präsident Magufuli nicht einschüchtern ließ. Er sprach sich nach Verhaftungen durch die Polizei weiter gegen die Regierung aus. Im Juli nannte er den Präsidenten einen Diktator. Magufuli ließ ihn dafür einsperren. Lissu beschuldigte die Regierung, das Wirtschaftswachstum zu vernachlässigen und die Arbeitslosigkeit der Menschen zu verschlimmern. Insgesamt sei der Jurist in diesem Jahr sechs Mal verhaftet worden, berichten tansanische Medien.
"Die Opposition befindet sich in einer ernsten Lage", sagt Rebekka Rumpel, Afrika-Expertin bei der Denkfabrik Chatham House in London. Auch andere Oppositionsvertreter seien in jüngster Zeit verhaftet worden. Ein erfahrener Berater der Chadema-Partei, Ben Saanane, ist seit November 2016 verschwunden. "Die Angst im Land nimmt zu, die Situation wird sich verschärfen", sagt Rumpel. Der Präsident habe einige besorgniserregende Dinge gesagt. Zum Beispiel betonte er, die Medien müssten aufpassen – sie würden ihre Freiheiten zu weit auslegen.
Rumpel sieht eine über die Jahre gewachsene Nervosität bei der Regierungspartei CCM. Die "Partei der Revolution" hat die Politik des Landes seit ihrer Gründung 1977 dominiert, doch ihre Unterstützung schwindet: Wurde die Präsidentschaftswahl 2005 noch mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen, waren es fünf Jahre später nur 63 Prozent. John Magufuli kam 2015 mit 58 Prozent der Stimmen an die Macht. Der autoritäre Ton des Präsidenten sei in diesem längerfristigen Kontext der wachsenden Opposition zu sehen, sagt Rumpel. Gesetze zur Beschneidung der Opposition seien schon vor seinem Amtsantritt verabschiedet worden.
Kampf gegen Korruption
Dass Magufuli überhaupt die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der CCM gewann, war eine Überraschung. Auch Parteikollegen bekamen danach seinen kompromisslosen Führungsstil zu spüren. "Er musste sich innerhalb der Partei durchsetzen und hat gleich diejenigen in höheren Positionen gefeuert, die ihn nicht genügend unterstützt haben", sagt Rempel. "Der Präsident handelt mit Nachdruck, wenn Leute anderer Meinung sind."
Richard Shaba von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tansanias Wirtschaftshauptstadt Daressalam sieht Magufuli dennoch nicht als Diktator. "Das wäre überzogen. Parlament und Justiz funktionieren. Er hat die Opposition und Medien beschränkt, das allein macht ihn nicht zum autoritären Herrscher". Magufuli habe drastische Entscheidungen gefällt, aber viele seiner Schritte, wie der Kampf gegen Korruption, gingen in die richtige Richtung. Zum Beispiel entließ Magufuli seinen erklärten Freund, den Bergbauminister Sospeter Muhongo, nachdem dieser nicht energisch genug gegen illegale Mineralexporte vorgegangen war.
Tansania gilt als eines der stabileren Länder in Ostafrika. Die Regierungspartei werde weiterhin versuchen, die Politik des Landes zu dominieren. "Präsident Magufuli bleibt trotz aller Kritik populär und wird sicher versuchen, die nächsten Wahlen in drei Jahren zu gewinnen. Fragt sich nur, wie weit er dafür gehen wird."