1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Taliban krempeln das Bildungssystem nach ihrer Ideologie um

28. November 2024

Inhalte in Lehrbüchern, die der Weltanschauung der radikalislamischen Taliban widersprechen, werden gezielt entfernt. Religiöse Schulen werden ausgebaut.

https://p.dw.com/p/4nUW4
Afghanistan | Schule in Kabul
Ein Mädchenschule in der Hauptstadt Kabul Bild: Ebrahim Noroozi/AP/picture alliance

"Die Taliban haben in den letzten drei Jahren grundlegende Änderungen an den Lehrplänen der Schulen und Universitäten des Landes vorgenommen", berichtete die afghanische Menschenrechtsorganisation Rawadari kürzlich. Diese Organisation, gegründet von Shahrzad Akbar, der ehemaligen Leiterin der Unabhängigen Menschenrechtskommission Afghanistans, dokumentiert Menschenrechtsverletzungen im Land. Unter der Herrschaft der Taliban wurde Mädchen und Frauen nicht nur der Zugang zu weiterführenden Schulen ab der sechsten Klasse und zu Universitäten verboten, sondern "alle Themen, die mit Menschenrechten und Frauenrechten in Verbindung stehen, wurden aus den Lehrplänen der Schulen und Universitäten gestrichen". Das bedeutet Themen wie Gleichberechtigung, Freiheitsrechte, Wahlen und Demokratie, die der Ideologie der Taliban widersprechen.

Und die Eingriffe gehen noch weiter: Inklusive und diskriminierungsfreie Ansätze im Bildungssystem, die gerade in einem Land mit zahlreichen ethnischen und religiösen Minderheiten von Bedeutung wären, werden ebenfalls gezielt eliminiert. Laut Rawadari wurde "der Unterricht in den Muttersprachen sowie Themen zu Religion, Kultur und Geschichte für Schüler dieser Minderheiten stark eingeschränkt. Auch der Zugang von Mädchen mit Behinderungen zu Alphabetisierungs- und Berufsbildungsprogrammen wurde erheblich eingeschränkt."

Afghanistan | Bildung  - Schulstart 2024
Nur Jungen dürfen weiterführende Schulen besuchen und später studieren Bild: WAKIL KOHSAR/AFP/Getty Images

"Bis jetzt haben die Taliban viele Inhalte aus den Lehrbüchern entfernt", bestätigt Sardar Mohammad Rahimi, der bis zur Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 stellvertretender Bildungsminister Afghanistans war. Heute lebt Rahimi im Exil in Frankreich und arbeitet als Gastprofessor an der INALCO-Universität. "Die Taliban haben jedoch noch nicht die Kapazitäten, neue Inhalte zu erstellen. Ihnen fehlen sowohl die Experten als auch die technischen Mittel, um Lehrpläne vollständig neu zu konzipieren und zu veröffentlichen. Für eine grundlegende Umgestaltung des Bildungssystems würden sie etwa fünf Jahre benötigen."

Zahlreiche Intellektuelle und Akademiker haben seit der Machtübernahme der Taliban das Land verlassen. Zudem haben die Taliban in den letzten drei Jahren zahlreiche Dozenten und Professoren aus Schulen und Universitäten entlassen. An ihrer Stelle setzen sie vorwiegend Absolventen religiöser Schulen ein, die die Ideologie der Taliban vertreten. "Derzeit konzentrieren sich die Taliban auf die Ausweitung ihrer religiösen Schulen, der sogenannten Madrassas. Das ist eine gefährliche Entwicklung", warnt Rahimi.

Die Förderung religiöser Schulen

Madrassas, das heißt religiöse Schulen, die in vielen islamischen Ländern existieren, werden in Afghanistan von den Taliban kontrolliert. Sie sollen eine strikte Interpretation des Islams fördern und eine religiös geprägte Erziehung der nächsten Generation sicherstellen. Die Taliban vertreten eine extrem konservative Auslegung des sunnitischen Islams, die die Einführung der Scharia (islamisches Recht) in allen Lebensbereichen einfordert und eine rigide soziale Ordnung propagiert. Sie lehnen Werte wie Frauen- und Menschenrechte ab und betrachten die westliche Welt als bedrohlichen Einfluss auf die islamische Gesellschaft. Seit ihrer Machtübernahme haben sie die in den letzten zwei Jahrzehnten erzielten Fortschritte in Bezug auf Frauenrechte vollständig rückgängig gemacht.

Afghanistan Frauen Mädchen Symbolbild
Frauen müssen ihr Gesicht und Körper in der Öffentlichkeit verhüllen und dürfen ihre Stimme erheben Bild: AHMAD SAHEL ARMAN/AFP

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International berichten regelmäßig über die brutalen Strafen, denen Frauen und Mädchen für vermeintlich "unislamisches Verhalten" ausgesetzt sind, darunter Inhaftierung, sexuelle Gewalt in der Haft und öffentliche Auspeitschungen. Viele Mädchen, die nicht mehr zur Schule gehen dürfen, werden zwangsverheiratet.

Indoktrinierung der nächsten Generation

"Die Taliban haben das Land in eine Hölle der strukturellen Unterdrückung und systematischen Gewalt gegen afghanische Frauen und Mädchen verwandelt", so Maryam Marof Arwin, eine afghanische Frauen- und Menschenrechtsaktivistin, anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen am 25. November. Sie warnt eindringlich vor den Folgen der Kriminalisierung des weiblichen Geschlechts in Afghanistan und verweist auf die von den Taliban eingeführten Gesetze, die weitreichende Beschränkungen für Frauen und Mädchen mit sich bringen.

Diese Gesetze verpflichten Frauen nicht nur, Gesicht und Körper in der Öffentlichkeit zu verhüllen, sondern untersagen ihnen sogar ihre Stimme außerhalb des Hauses zu erheben. Die Durchsetzung dieser Vorschriften übernehmen junge Männer, die als Sittenpolizei fungieren und Frauen streng überwachen. Mit der Anpassung der Schulbücher an ihre Ideologie legitimieren die Taliban nicht nur Gewalt gegen Mädchen und Frauen sowie die Unterdrückung abweichender Meinungen in der Gesellschaft. Sie streben danach, Generationen zu erziehen, die ihrer extrem konservativen Auslegung des Islams folgen, um ihre Macht langfristig zu sichern.

"Wir brauchen dringend einen koordinierten Plan für Online-Bildungsangebote für alle Schulkinder in Afghanistan", fordert Rahimi, der ehemalige stellvertretende Bildungsminister Afghanistans. "Es gibt derzeit zahlreiche vom Ausland gesteuerte Projekte, die insbesondere Mädchen, die keinen Zugang zu weiterführenden Schulen haben, mit Lehrmaterial unterstützen. Wenn diese Projekte besser koordiniert würden, könnten sie einen wesentlichen Beitrag zur Bildung aller Kinder in Afghanistan leisten."

Neues Leben für Frauen aus Afghanistan in Schottland