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Tadschikistan: Zehn Jahre seit der Unabhängigkeit

5. Dezember 2001

– Der Schaden des Landes durch den fünf Jahre andauernden Bürgerkrieg wird mit sieben Milliarden Dollar bewertet

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Moskau, 5.12.2001, NESAWISSIMAJA GASETA, russ., Wiktorija Panfilowa

Tadschikistan hat – im Unterschied zu den übrigen postsowjetischen Republiken - ein ganz besonderes Schicksal. Ein Teil der neuen unabhängigen Staaten hat sich nach einem "friedlichen Szenario" entwickelt, andere wurden in blutige zwischenethnische Konflikte einbezogen. In Tadschikistan verlief alles ganz anders.

Russland hatte anfänglich nicht vor, sich von hier zurückzuziehen. Eben deshalb hat es seine Waffen nicht verteilt, wie das der Fall in anderen Regionen der ehemaligen Sowjetunion war, aus denen ganz dringlich die russischen Truppen abgezogen wurden. Tadschikistan hat nichts bekommen, aber hier blieb die 201. Division (mot. Schützendivision der russischen Streitkräfte – MD) zurück. Diese Tatsache hat eine ganze Reihe von Besonderheiten der weiteren Entwicklung des Landes zur Folge gehabt.

Tadschikistan hat des Weiteren - was die Psychologie betrifft – durch die sowjetische Aggression in Afghanistan gelitten: viele Vertreter der lokalen Intelligenz waren zum Armeedienst einberufen und als Dolmetscher, Berater bei den Partei- und Komsomolorganen (Komsomol – Jugendorganisation in der UdSSR - MD) nach Afghanistan geschickt worden. Die sowjetischen Tadschiken haben gesehen, dass "internationale Hilfe" tatsächlich des Öfteren Völkermord an ihren afghanischen Landsleuten und Moslems insgesamt bedeutet. Der psychologische Stress hat die wichtigste und entscheidende Rolle bei der Bildung der demokratischen und islamischen Opposition in Duschanbe gespielt.

Große Veränderungen hat das traditionelle System der Formierung der Macht durchgemacht. Während der Sowjetzeit versuchten die Kommunisten, das Gleichgewicht bei der regionalen Vertretung in den führenden Organen zu bewahren. Und wenn der erste Sekretär (des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Tadschikistans – MD) stets aus dem Norden der Republik stammte, so wurden zu Vorsitzenden des Obersten Sowjets und der Regierung unbedingt Vertreter anderer Regionen ernannt. Das Gleichgewicht ermöglichte, Unzufriedenheit der Nomenklatura zu vermeiden. Unzufrieden war die Intelligenz, die begriff, dass sich die echte Macht jedenfalls in den Händen des Nordens befindet.

Im Jahr 1992 ist diese Konfiguration völlig zerstört worden. An die Macht kamen Vertreter der Stadt Kuljab (im Süden Tadschikistans – MD). Präsident Rachmonow begann zu verstehen, dass das ebenfalls eine negative Reaktion hervorrufen könnte. Man begann damit, ausgewogenere Ernennungen vorzunehmen, was auch heute noch ein wichtiges Element des innenpolitischen Lebens des Landes ist.

Das wichtigste Ereignis des Jahrzehnts ist der fünf Jahre andauernde Bürgerkrieg. Dieser begann mit der Amtsenthebung des ersten Präsidenten, Kahhor Machkamow, der seinen neuen Posten von den ehemaligen Machthabern "geerbt" hatte. Es kam zu Unruhen. Die Menschen verlangten demokratische Wahlen. Niemand hielt es für nötig, während der heißen Wahlkampagne herauszufinden, wieso Moskau - ein Teil der russischen Militärelite – daran interessiert war, dass Rachmon Nabijew und nicht der Intellektuelle Dawlat Chudonasarow Staatsoberhaupt wird. Auch Chudonasarow verfügte über eine mächtige Lobby in der Person von Aleksandr Jakowlew, Michail Gorbatschow und Gennadij Burbulis. Diese konnten sich jedoch mit dem Protege der Militärs nicht messen.

Kurz danach brach der Bürgerkrieg aus, bei dem nicht nur die Tadschiken, sondern auch die russischen Truppen hohe Verluste zu verzeichnen hatten. Es wird davon ausgegangen, dass Moskau den Verhandlungsprozess zwischen der bewaffneten Opposition und der Führung des Landes in Gang gebracht hat. Nur wenige erinnern sich jedoch daran, dass sich die Führer der Opposition mit Otochton Latifi an der Spitze 1993 an den UNO-Generalsekretär mit der Bitte gewandt hatten, solche Verhandlungen zu organisieren. Die Verhandlungen wurden im April 1994 in Moskau aufgenommen, erst 1997 ist es jedoch gelungen, Einvernehmen zu erzielen.

In Tadschikistan begann eine neue Etappe der politischen Entwicklung. Nach dem Bürgerkrieg, der 150 000 Leben gekostet hatte, kehrten die Führer der vereinigten islamischen Opposition, Said Abdullo Nuri, und dessen Anhänger nach Duschanbe zurück. Gemäß einem damals unterzeichneten Dokument wurden die einfachen Mudschaheddin in die Machtstrukturen Tadschikistans integriert. Die Feldkommandeure und die geistlichen Führer bekamen Ministerposten in der Regierung, Hunderttausende Flüchtlinge kehrten in ihre Heimat zurück. Die Islamische Partei der Wiedergeburt wurde zur legalen Partei erklärt und erhielt drei Sitze im Parlament der Republik. Zu Änderungen in Schlüsselämtern ist es jedoch nicht gekommen.

Heute sind übrigens sogar Vertreter der ehemaligen Opposition der Ansicht, dass es keine Alternative zu Präsident Emomali Rachmonow gibt, er ist der Führer der Nation, dem es gelungen ist, in den letzten Jahren eine gewisse Stabilität zu erzielen. Das wichtigste dabei ist jedoch, dass der Präsident Tadschikistans die volle Unterstützung Moskaus genießt, wo er als wichtigster Partner Russlands in Zentralasien betrachtet wird.

Ungeachtet der erzielten Stabilität bleibt die wirtschaftliche Lage des Landes sehr kompliziert. Der Verlust durch den Bürgerkrieg wird mit sieben Milliarden Rubel bewertet. Des Weiteren haben in den letzten zehn Jahren etwa eine Million Menschen, hauptsächlich russischsprachige Bürger, Tadschikistan verlassen. Gegangen sind Fachleute, Vertreter der schöpferischen und der wissenschaftlichen Intelligenz, Lehrer und Ärzte. Es ist ein Mangel an Fachleuten zu spüren.

Ungeachtet dessen hat das Land den schwierigen Prozess der wirtschaftlichen Reformen eingeleitet. Es ist mit der Errichtung solch großer Objekte wie der Eisenbahnlinie Kurgan-Tjube-Kuljab, des Wasserkraftwerks Sangtudin, des Autotunnels Ansob begonnen worden, breit entfaltet hat sich auch der Wohnungsbau.

Aber auch heute gibt es in Tadschikistan viele Probleme, die durch den Krieg in Afghanistan hervorgerufen worden sind. Das Land ist zu einer beliebten Zone für Drogenschmuggler geworden, die Duschanbe mit allen Kräften bekämpft: allein in diesem Jahr sind über fünf Tonnen Drogen beschlagnahmt worden, die Hälfte davon war Heroin. Andererseits hat die aktive Position von Präsident Rachmonow, der wertvolle Friedensinitiativen unterbreitet, sowie die bedeutende Rolle von Duschanbe im Prozess der Beilegung des interafghanischen Konfliktes das internationale Ansehen Tadschikistans wesentlich erhöht. Das kann ebenfalls zur Voraussetzung für die beschleunigte Entwicklung des Landes werden. (lr)