1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Tadschikistan führt Änderungen in der Strafgesetzgebung ein

16. April 2004

Experten sehen Umsetzung mit Skepsis

https://p.dw.com/p/4uvw

Bonn, 16.4.2004, DW-RADIO, Vladimir Essipov

Unter dem Druck von Menschenrechtlern aus dem In- und Ausland hat Tadschikistan seine Strafgesetzgebung humanisiert. Das Parlament in Duschanbe hat am Mittwoch (14.4.) zahlreiche Änderungen zum Strafgesetzbuch verabschiedet. Ihr Ziel ist es, vor allem minderjährige Straftäter vor zu harten Freiheitsstrafen zu schützen. Vladimir Essipov berichtet:

Das tadschikische Strafgesetzbuch wird schon seit längerem von internationalen Menschenrechtsorganisationen kritisiert - zu harte Haftstrafen, zudem miserable Haftbedingungen. Mehr als 300 Artikel besagter Gesetzesregelungen wurden nun auch vom tadschikischen Parlament geändert, in den meisten Fällen wurden die Längen der Haftstrafen verkürzt - vor allem für Frauen und Jugendliche. Und auch für Schwerstverbrechen soll es nun mildere Haftstrafen geben. Abdumannon Cholikow, der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Gesetzgebung:

"Wir haben aus der Kategorie der Schwerverbrechen solche Verbrechen ausgeschlossen, die aus Fahrlässigkeit begangen wurden. Früher zählten sie zu Schwerstverbrechen. Wir haben die Haftstrafen für Minderjährige verringert. Wir haben Freiheitsstrafen gegen Jugendliche im Fall von leichten und mittelschweren Verbrechen verboten."

Das tadschikische Strafgesetzbuch wird bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres geändert. So hat das Parlament im vergangenen Sommer die Anwendungsbereiche für die Todesstrafe eingegrenzt. Für weibliche Straftäter wurde die Todesstrafe ganz abgeschafft. Die Zahl der schweren Verbrechen, für die die Todesstrafe vorgesehen war, wurde von 15 auf fünf verringert - darunter Mord, Terrorismus und Vergewaltigung.

Im Mittelpunkt der jetzigen Reform stehen vor allem Kinder und Jugendliche. Tadschikische und ausländische Menschenrechtler haben zahlreiche Fälle von illegalem Druck der Ermittler auf junge Täter entdeckt, unbegründete Festnahmen oder Verletzungen der Strafprozessordnung bei den Gerichtsverhandlungen. Eine speziell eingesetzte Expertengruppe hat monatelang die Gesetze sowie Gerichtsurteile untersucht.

Weiterhin bleiben jedoch unmenschliche Haftbedingungen ein großes Problem. Bis zu zehn Prozent der Häftlinge sind nach Angaben von internationalen Organisationen wegen Unterernährung und Krankheiten vom Tode bedroht.

Die Abstimmung im Parlament ist nur der erste Schritt zur Verbesserung der Lage in Tadschikistan. Bleibt die Realität der Gerichtssäle als zweite Herausforderung - denn tadschikische Richter entscheiden sich oft für die höchsten Haftstrafen. Der Stellvertretende Vorsitzende des Obersten Gerichtes in Duschanbe, Mahmadi Watanow, erklärt diese Härte als Folge des Bürgerkriegs, der nach dem Zerfall der Sowjetunion in dieser ärmsten asiatischen Republik fünf Jahre lang tobte:

"In der Tat sind heute die Freiheitsstrafen am meisten verbreitet... Etwa 70 Prozent aller Urteile in Tadschikistan sind Freiheitsstrafen. Vielleicht ist es mit unserer Nachkriegs-Psychologie verbunden, die in allen tief sitzt."

Werden die tadschikischen Richter von dieser gängigen Praxis absehen können? Die Anwältin Mahubat Dschurajewa von der Vereinigung der Anwältinnen Tadschikistans ist skeptisch. Ihrer Meinung nach ist nicht der Bürgerkrieg allein Ursache für das harte Durchgreifen der Richter:

"Unter unseren Richtern ist die Meinung verbreitet: wenn jemand festgenommen wird, muss er zu einer Haftstrafe verurteilt werden. Denn die Richter haben Angst, dass ihre Urteile in den höheren Instanzen als zu weich, zu human bewertet werden. Die Richter denken so: wenn ich zu human urteile, dann könnte die höhere Instanz meine Entscheidung für ungültig erklären - also als Fehlleistung bewerten."

Im Februar nächsten Jahres wird in Tadschikistan ein neues Parlament gewählt. Die Beobachter erwarten weitere Änderungen vor dieser Wahl. Die Frage bleibt aber offen, wie die Änderungen in der Praxis umgesetzt werden. (TS)