1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikSyrien

Syrien-EU: Assad würde von Normalisierung profitieren

31. Juli 2024

Mehrere EU-Länder setzen sich dafür ein, Europas Beziehungen zu Syrien zu verbessern und Flüchtlinge dorthin zurückzuschicken. Dem syrischen Machthaber käme eine politische Aufwertung seines Regimes durchaus gelegen.

https://p.dw.com/p/4iuNZ
Ein Mann mit einem automatischen Gewehr in der einen und einem Kind in der anderen Hand steht im Gegenlicht
Rückführungen in ein umkämpftes Land? Angehöriger einer oppositionellen syrischen Miliz mit Kind im Arm in der Provinz AleppoBild: AFP

Acht Staaten der EU sind sich einig: Für sie ist die Zeit reif, ihre Strategie gegenüber Syrien zu ändern. Anfang vergangener Woche erklärten die Außenminister Italiens und Österreichs, Kroatiens, der Tschechischen Republik, Zyperns, Griechenlands, Sloweniens und der Slowakei ihre Bereitschaft, die Beziehungen zum syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auf eine neue Grundlage zu stellen.

In einem gemeinsamen Schreiben schlugen sie die Schaffung des Postens eines EU-Syrien-Beauftragten vor. Dieser hätte die Aufgabe, wieder einen syrischen Botschafter in Brüssel einzusetzen und zehn so genannte "sichere Zonen" in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zu benennen. In diese könnten in Europa lebende syrische Migranten zurückgeschickt werden, so die Minister.

Zwar gehört Deutschland nicht zu den Unterzeichnern. Doch in der vergangenen Woche erklärte das Oberverwaltungsgericht Münster in einem Urteil, es sehe für Asylbewerber aus Syrien keine pauschale Gefahr durch einen Bürgerkrieg mehr

Dagegen argumentieren Menschenrechtler und nicht wenige politische Analysten, dass Syrien weder für die Bevölkerung noch für zurückkehrende Flüchtlinge sicher sei. Ähnlich sieht es auch der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen. "Syrien befindet sich weiterhin in einem Zustand tiefgreifender Konflikte", erklärte der UN-Sondergesandte kürzlich vor dem UN-Sicherheitsrat. Die Lage sei komplex. "Das Land ist durchsetzt von bewaffneten Akteuren, als Terrororganisationen gelisteten Gruppen und ausländischen Militärs." Zudem sei es von zahlreichen Frontlinien durchzogen. "Die Zivilbevölkerung leidet weiterhin unter Gewalt und weitreichenden Menschenrechtsverletzungen." Nach wie vor habe sie mit den Folgen von Vertreibung sowie schlimmen humanitären Bedingungen zu kämpfen.

Umgeben von mehreren Personen umarmt ein mit Kopftuch eine abgedeckte Leiche auf einem offenen Lastwagen
Opfer eines Angriffs syrischer Regierungskräfte in einem Dorf nahe AleppoBild: Kasim Ramah/Anadolu/AP/picture alliance

"Syrien ist weiterhin zersplittert"

"Eine Erneuerung der Beziehungen zu Europa würde Assads Legitimität als Machthaber stärken und seine Behauptung stützen, Syrien sei ein sicheres Land", sagt die Nahost-Expertin Kelly Petillo vom Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR) im DW-Gespräch. "Allerdings hat Assad den Krieg noch längst nicht gewonnen. Denn Syrien ist territorial und politisch weiterhin zersplittert. Es ist keineswegs sicher, dass das Assad-Regime die Macht über das gesamte syrische Territorium zurückgewinnen wird."

Zwar haben Assads Streitkräfte mit Hilfe Russlands und des Iran etwa 60 Prozent des Landes zurückerobert. Doch der Nordosten des Landes steht weiterhin unter kurdischer Herrschaft, während der Nordwesten die letzte Bastion der syrischen Opposition ist, die heute zu einem Großteil aus islamistischen Milizen besteht. In der ersten Jahreshälfte 2024 haben sich zudem die Angriffe der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) in Syrien verdoppelt.

Allerdings würde eine Normalisierung der Beziehungen nicht nur eine politische Wende seitens anderer Länder bedeuten. "Umgekehrt erfordert diese auch diplomatisches Entgegenkommen von Assad", sagt Petillo. Dieser fürchte die Rückkehr von Millionen von Flüchtlingen, die sich gegen ihn stellen könnten. Wegen der desolaten wirtschaftlichen Lage des Landes wäre es für den syrischen Staat zudem sehr schwierig, für diese vielen Menschen zu sorgen.

Baschar al-Assad mit Wladimir Putin auf einem Straßenplakat in Damaskus
Mit Hilfe Russlands und des Iran an der Macht gehalten: Syriens Präsident Assad, hier auf einem Plakat mit Wladimir Putin in DamaskusBild: Louai BESHARA/AFP/Getty Images

Ende der Sanktionspolitik? 

Eine Normalisierung der Beziehungen zu Europa und die Ausweisung sicherer Zonen für Rückkehrer - wenn es denn tatsächlich bald dazu kommen sollte - würde wohl auch ein Ende der weitreichenden europäischen Sanktionen gegen Syrien bedeuten. Eine Aussicht, die Betroffene durchaus auch positiv sehen könnten, denn die Sanktionen verschärfen die wirtschaftliche Lage seit Jahren.

Laut dem jüngsten Syria Economic Monitor der Weltbank erschweren die anhaltenden Finanzierungsengpässe und der eingeschränkte Zugang zu humanitärer Hilfe die Fähigkeit vieler syrischen Haushalte, die Grundbedürfnisse der Menschen inmitten einer anhaltenden Inflation zu befriedigen.

Jede Initiative zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der syrischen Bevölkerung führe einen Schritt weg von der anhaltenden Notlage", sagt Nanar Hawach, leitende Analystin für Syrien bei der International Crisis Group. Eine stärkere Wirtschaft würde auch die Abhängigkeit der Bevölkerung von politischen Einheiten sowie die Bereitschaft, bewaffneten Gruppen beizutreten, verringern. Bislang sicherten sich viele Menschen in Syrien auch mit deren Hilfe ihren Lebensunterhalt.

Die Vorteile einer Lockerung oder Beendigung der Sanktionen wären jedoch nicht im ganzen Land spürbar. "Werden die Beziehungen zum Assad-Regime normalisiert, wird die Hilfe ausschließlich über die Kanäle des Regimes laufen", prophezeit Expertin Petillo. Dadurch würde sich die Lage in den Gebieten, die nicht unter der Kontrolle des Regimes stehen, weiter verschärfen.

Rauchwolken über Häusern in der Region Aleppo
Rauchwolken über Häusern in der Region Aleppo: Syrien ist fragmentiert und bis auf Weiteres ohne Aussicht auf Frieden und territoriale EinheitBild: Bekir Kasim/Anadolu/picture alliance

Gefahren für Rückkehrer

"Die Idee sicherer Zonen ist ohne sinnvolle Sicherheitsgarantien nicht akzeptabel", sagt Julien Barnes-Dacey, Direktor des Nahost- und Nordafrika-Programms beim ECFR. Das Regime sei nicht bereit, Garantien zu geben. "Wir sehen, wie Syrer, die in ihr Land zurückkehren, verschwinden und sogar getötet werden."

Derzeit befinde sich die europäische Politik in einem Schwebezustand, analysiert Barnes-Dacey. Darum sei trotz der Gefahren in den vom Regime kontrollierten Gebieten eine Neuausrichtung der europäischen Politik gegenüber Syrien durchaus notwendig. Denn der derzeitige Kurs der EU habe keinerlei strategische Ausrichtung und sei auch nicht in der Lage, die Situation zu verbessern. Umgekehrt werde auch Assad den Europäern keinerlei bedeutende Zugeständnisse machen. "Es gilt also nach Ausweichmöglichkeiten zu suchen", so Barnes-Dacey.

"Es geht darum, unsere Karten so einzusetzen, dass sich zumindest ein gewisser Spielraum für die Verbesserung der Sicherheitslage und der Wirtschaft für die Syrer vor Ort auftut." Das bringe mehr, so der Nahost-Forscher, als einen dramatischen politischen Wandel erzwingen zu wollen, der auf die derzeit diskutierte Weise ohnehin ganz klar nicht eintreten werde.

Syrien: Ein Jahr nach dem Erdbeben

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Jennifer Holleis
Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.