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Syrien: NGOs stoppen Arbeit mit UN

Stephanie Höppner, Carla Bleiker11. September 2016

Wie viel Einfluss hat die Assad-Regierung auf die Vereinten Nationen? Eindeutig zu viel, finden 73 Hilfsorganisationen, die nicht länger in einem wichtigen Kommunikationsprogramm der UN mitarbeiten wollen.

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Hilfskonvoi für syrische Madaja kommt an. Foto: LOUAI BESHARA/AFP/Getty Images), Getty Images/AFP/L. Beshara
Bild: Getty Images/AFP/L. Beshara

Der Vorwurf wiegt schwer: Die Weltorganisation soll für den Tod von Hilfsbedürftigen in Syrien mitverantwortlich sein, weil sie zu spät oder gar nicht auf entsprechende Schreiben von Hilfsorganisationen reagierte. Das geht aus einem Brief an die UN hervor, den 73 Nichtregierungsorganisationen (NGO) unterschrieben haben.

Zu den aufgezählten Fällen gehört die mangelnde Versorgung der siamesischen Zwillinge Moaz und Nawras Hashash, die im besetzten Ghuta zur Welt kamen. Auf konstanten Druck von Hilfsorganisationen wurden die Kinder nach Damaskus verlegt, wo sie darauf warteten, für eine Operation ins Ausland gebracht zu werden. Die Vereinten Nationen hätten jedoch nicht auf entsprechende Nachrichten syrischer NGOs reagiert. Schließlich seien die Kinder gestorben, ohne dass ihnen geholfen wurde.

Auch den Tod von 65 Menschen mitten im syrischen Krisengebiet Madaya klagen die Hilfsorganisationen an. Der ehemalige Ferienort ist 40 Kilometer von Damaskus entfernt und seit 2014 von der Hisbollah besetzt. Die Menschen dort seien von einer dringend benötigten Hilfslieferung abgeschnitten worden und jämmerlich verhungert. Wie auch schon in anderen Fällen, hätten die Vereinten Nationen ineffizient reagiert, heißt es in dem Schreiben. Den Grund vermuten die Organisationen in einer Nähe zum Assad-Regime: "Es ist vielen Organisationen klar geworden, dass die syrische Regierung in Damaskus einen signifikanten und substanziellen Einfluss auf die Vereinten Nationen und ihre Partner" hat.

Ein neuer Hilfskonvoi rollt an. Foto: picture-alliance/dpa/Y. Badawi
Hilfe in Madaya - für viele Menschen ist sie zu spät gekommenBild: picture-alliance/dpa/Y. Badawi

Millionen Dollar gezahlt

Dieser Vorwurf ist nicht ganz neu. Kürzlich erst hatte die britische Tageszeitung "Guardian" berichtet, dass seit Beginn des Konflikts dutzende Millionen Dollar von UN-Organisationen an Institutionen aus dem Umfeld des Assad-Regimes geflossen seien. Zu den Begünstigten gehörten sowohl Geschäftsleute, die gerade von der EU und der USA sanktioniert werden, als auch Regierungsstellen oder Wohltätigkeitsorganisationen - unter anderem eine, die von Assads Ehefrau Asma al-Assad ins Leben gerufen wurde.

Laut "Guardian" zahlte etwa die Welternährungsorganisation (FAO) mehr als 13 Millionen Dollar (11,6 Millionen Euro) für die Entwicklung der Landwirtschaft an die syrische Regierung, obwohl die EU Sanktionen gegen die betroffenen Ministerien verhängt hatte.

Syriens Präsidentenehepaar Asma Assad und Bashar Assad. Foto: Thibault Camus, File/AP/dapd
Gefährliche Nähe zu Assads Umfeld?Bild: dapd

"Klare Entscheidung"

Die Vereinten Nationen verteidigen die Kooperation mit Organisationen aus dem Umfeld Assads. Die sei notwendig, um in dem Bürgerkriegsland die notleidende Bevölkerung zu erreichen. "Wenn es darum geht, zu wählen, Güter oder Dienstleistungen über Unternehmen bereitzustellen, die mit der Regierung verbunden sein könnten, oder die Zivilisten ohne die lebensnotwendige Hilfe zu lassen, ist die Entscheidung klar", sagte ein UN-Sprecher der Nachrichtenagentur Agence France-Presse.

Die syrische Regierung entscheide, mit wem die UN-Organisationen zusammenarbeiten dürften, sagte der Sprecher. Würden die Vereinten Nationen dies nicht akzeptieren, könnte sie nicht so viele Leben in Syrien retten. Ein anderer UN-Vertreter gestand aber ein, dass es innerhalb der UN-Organisationen Unbehagen darüber gebe, dass die syrische Regierung Teile der internationalen Hilfslieferungen kontrolliere.

Für die Unterzeichner des Schreibens, wie etwa die "Syrian American Medical Society" (SAMS) und den "Syrischen Zivilschutz", ist hier nun eine Grenze erreicht. Sie kündigten an, sich teilweise aus der Zusammenarbeit zurückzuziehen. Künftig wollen sie sich an einer Kommunikationsplattform der UN nicht mehr beteiligen. In dem sogenannten "Whole of Syria"-Programm tauschen sich Hilfsorganisationen darüber aus, wo welche Hilfe benötigt wird und wie die - oft schwierig gelegenen Gegenden - am besten erreicht werden können. So kann die Hilfe für Syrien deutlich effizienter gestaltet werden.

Milliardenprogramm

Nun soll damit Schluss sein, obwohl dies aus Sicht der Vereinten Nationen unverständlich ist, da es sich aus ihrer Sicht um relativ kleine Geldsummen handelt. Jens Laerke, Sprecher des United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) , sagte der DW: "Sie müssen die Dinge mit einer gewissen Perspektive betrachten. Wir operieren mit einem 3,8 Milliarden Dollar-Budget in Syrien." Die Vereinten Nationen würden nicht von der Regierung kontrolliert. "Aber wir müssen uns eben ans Völkerrecht halten", so Laerke.

Jens Laerke - Sprecher des UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs OCHA. Foto: UN
UN-Sprecher Laerke: "Es geht nur um humanitäre Bedürfnisse."Bild: UN

Dies bedeute, dass auch mit allen Parteien zusammen gearbeitet werden müsse, inklusive der Regierung. "Wir können keine UN-Leute in irgendwelche Länder schicken, ohne ein Visum im Pass." Zudem seien die Vereinten Nationen "unparteiisch".

"Es geht weder darum, wo Menschen leben, mit welcher Konfliktseite sie sympathisieren, welche ethnische Zugehörigkeit sie haben, noch irgendetwas anderes, es geht nur um ihre humanitären Bedürfnisse. Das ist das Prinzip, was nicht verhandelbar ist", sagte der OCHA-Sprecher.

Ständiger Dialog

Auch andere Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz müssen mit der Assad-Regierung zusammen arbeiten. Deren Sprecherin Krista Armstrong sagte der DW, dass auch ihre Organisation zwangsläufig mit allen Parteien kooperiere. "Wir stehen im ständigen Dialog und versuchen daran zu erinnern, dass das humanitäre Völkerrecht respektiert werden muss und dass betroffene Gegenden einen Zugang brauchen." Wichtig sei volle Transparenz über das eigene Vorgehen.

Ob dies bei den Vereinten Nationen gegeben war, ist unklar. Sprecher Laerke hofft in jedem Fall auf eine schnelle Wiederkehr der anderen Hilfsorganisationen in das Informationsaustausch-Programm. Man stehe mit den abgesprungenen NGOs bereits wieder in Kontakt.