Syrien: Gemischte Gefühle nach dem Sturz Assads
21. Dezember 2024Nur wenige Tage liegt der Sturz von Baschar al-Assad zurück, als wir Damaskus erreichen - Hauptstadt eines von rund 14 Jahren Krieg gezeichneten Landes, beherrscht von einem Regime, dessen Sturz lange Zeit undenkbar schien.
Dann die ersten Eindrücke: "Syrien heißt Sie willkommen", steht auf einem Schild bei der Einreise aus dem Libanon. Tatsächlich läuft der Grenzübertritt für uns ohne Probleme.
Die Straße in Richtung Damaskus säumen auf beiden Seiten verbrannte Militärfahrzeuge. Auch Militäruniformen sind zu sehen - von denen, die sie bis vor kurzem trugen, hastig abgestreift und weggeworfen. Ein verlassener Panzer steht ebenfalls am Wegesrand.
An einem ersten Kontrollpunkt werden wir freundlich von vier bärtigen jungen Männern begrüßt. Lächelnd winken sie uns durch. Unter Assad war dieser Kontrollpunkt berüchtigt für die Bestechungsgelder, die alle Reisenden dort zu zahlen hatten.
Träume von einer besseren Zukunft in Syrien
Das städtebauliche Erscheinungsbild von Damaskus hat sich seit Kriegsbeginn kaum verändert. Allerdings haben 14 Jahre Krieg die Menschen gezeichnet und erschöpft - das spricht auch aus vielen Gesichtern hier.
Und doch wirken viele sehr positiv und optimistisch gestimmt, als wir uns dem Umajaden-Platz im Zentrum der Stadt nähern. Sie feiern und freuen sich über den Sturz eines Regimes, das mehr als fünfzig Jahre lang mit eiserner Faust über sie geherrscht hat. Gelächter vermischt sich mit revolutionären Liedern, an den Masten hängen mehrere der neuen Nationalfahren, die zuvor von der syrischen Opposition benutzt worden waren. Junge Milizionäre bevölkern den Platz, einige machen Fotos mit den feiernden Landsleuten.
"Ich glaube an eine bessere Zukunft", sagt eine junge Syrerin, die sich das neue Flaggensymbol ins Gesicht gezeichnet hat und ausgelassen eine Flagge schwenkt. "Und ich kann endlich von einer besseren Zukunft träumen", wirft ihre Freundin ein.
Ein paar Meter entfernt steht der Student Nour. Er habe große Hoffnungen auf den Aufbau eines neuen Syriens, sagt er. "Die Lage ist derzeit viel besser, als wir erwartet hatten. Wir appellieren an die neuen Machthaber, sie aufrechtzuerhalten. Auch sollen sie die Minderheiten schützen."
Er und seine Freunde hätten trotz aller Freude auch Angst vor der Zukunft, sagt Nour. "Wir hoffen aber, dass die neuen Machthaber dazu keinen Anlass geben. Das Wichtigste ist jetzt, dass sich auch Intellektuelle und Säkulare am Aufbau des neuen Syrien beteiligen und das Feld nicht einer einzigen Partei überlassen."
Auch Sara, eine junge Frau, blickt mit gemischten Gefühlen Richtung Zukunft. Sorge verbinde sich bei ihr mit Hoffnung, sagt sie. "Die jungen Leute von heute haben ein schärferes Problembewusstsein als jene, die 2011 die Revolution gestartet haben", meint Sara. "Sie wollen eine Heimat für alle Syrer." Sie fragten sich aber auch, wie sich die Strukturen unter den neuen Machthabern entwickeln würden.
"Als Mitglieder der Freiheitsbewegung stehen wir hinter dem neuen Premierminister", betont Sara. "Aber wir bestehen auf unseren Freiheiten. Ich möchte mich auch als Frau ausdrücken können - so wie jeder sich ausdrücken können sollte, wie er es für richtig hält."
Der neue Interims- Regierungschef Mohammed al-Baschir wurde von den neuen Machthabern ernannt, die vielen Beobachtern als islamistisch gelten. Diese selbst betonen allerdings dieser Tage, für alle Syrer da sein zu wollen - einschließlich der ethnischen und religiösen Minderheiten.
Trauer um Ermordete in Syriens Gefängnissen
Szenenwechsel: Wir befinden uns vor dem Saidnaja-Gefängnis. Rund um den riesigen Bau stehen hunderte Menschen, um die Leichen ihrer Angehörigen zu identifizieren - viele davon gefolterte und später ermordete Regimegegner. Vor dem Krankenhaus sind die Bilder von 35 aufgefundenen Leichen ausgestellt. Angehörige laden Bilder ihrer Verwandten auf ihren Handys hoch, um sie mit den Fotos zu vergleichen - immer in der Hoffnung, dass ihre teils vor über zehn Jahren "verschwundenen" Angehörigen noch leben.
Im Leichenschauhaus sind einige teils verstümmelte Leichen aufgebahrt. Umm Ahmed hat unter ihnen ihren Sohn identifiziert. "Sie hatten mir damals gesagt, wir werden ihn töten und wegwerfen, und du wirst nicht wissen, wohin. Nun habe ich endlich seine Leiche gefunden", sagt die Frau unter Tränen. "Ich weiß nun zumindest, wo sein Grab ist und kann es besuchen."
Auch Abu Nidal weint vor den Bildern. Er sucht seinen Sohn, der vor zehn Jahren verhaftet wurde. 18 Jahre war er damals alt. Er wolle wenigsten die Gewissheit, dass sein Sohn tot sei, sagt er.
Syrien Minderheiten sorgen sich vor Extremismus
Während vor der Umajaden-Moschee viele Menschen Fahnen des neuen Syriens und zahlreiche Bilder des Anführers der dominierenden Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), Ahmed al-Scharaa, bekannt als Abu Muhammad al-Dschulani, schwenken, herrscht in den zwei christlich geprägten Vierteln Bab Touma und Bab Sharqi eine etwas andere Stimmung. Immer wieder kommen Gesprächspartner hier auf ihre Sorge darüber zu sprechen, dass HTS-Chef Al-Dschulani früher seine Loyalität zu Al-Kaida erklärt hatte - auch wenn später eine öffentliche Distanzierung erfolgte.
Doch nicht jeder hier hält diese für glaubwürdig, insbesondere die Minderheiten sind besorgt. Und so haben ungeachtet aller Zusicherungen der neuen Sicherheitsbehörden christliche Würdenträger den Gläubigen geraten, das Weihnachtsfest in diesem Jahr eher diskret zu feiern.
Auch Michel, Besitzer eines Importunternehmens für medizinische Geräte, verleugnet seine Angst nicht. Diese habe auch damit zu tun, dass Verwandte von ihm für das Regime tätig gewesen seien. "Aber auf persönlicher Ebene bin ich vorsichtig optimistisch, auch wegen des verbesserten Dollarpreises und mit Blick auf eine mögliche Aufhebung der Sanktionen."
Vor dem ehemaligen Gebäude des Geheimdienstes der Luftwaffe stehen junge Milizionäre. Sie bewachen die Zugänge, um dort lagernde Akten und Dokumente zu schützen - diese sollen später einmal Aufarbeitung der Assad-Ära dienen. Auch dieser Geheimdienst unterhielt Gefängnisse, aus denen viele Gefangene lebend nicht wieder hinauskamen.
Vor dem Eingang steht auch Ahmed, ein junger Mann in den Zwanzigern. Seine Familie sah sich 2017 gezwungen, Damaskus zu verlassen. Nach dem Ende der Kämpfe wolle er seine Waffe nun möglichst schnell aus der Hand legen, sagt er. Er wolle eine Arbeit finden und eine Familie gründen. Vorerst wolle er aber dazu beitragen, die Regime-Akten zu sichern.
Die große Frage: Wie geht es weiter in Syrien?
Neben religiös-politisch motivierten Milizen engagieren sich auch säkulare zivilgesellschaftliche Kräfte für den Neuanfang. Ihnen geht es vor allem darum zu verhindern, dass die Macht im Land monopolisiert wird. So organisiert der Anwalt Anas Yudeh dieser Tage bereits Seminare und Treffen, auf denen das weitere Vorgehen diskutiert wird. Die Art und Weise, in der die Übergangsbehörden derzeit arbeiteten, löse politische Sorgen aus, sagt uns der Anwalt. Umso mehr brauche es einen klaren Plan für den Übergang in die neue Zukunft des Landes.
Im Umkreis der bisherigen säkularen Opposition sei man besorgt angesichts der starken Rolle von HTS-Führer al-Scharaa, so Anas Yudeh. Praktisch führe dieser das Land und sei auch Ansprechpartner für ausländische Staats- und Regierungschefs. Dafür sei er letztlich aber gar nicht legitimiert.
Und wie geht es nun weiter? Im schlimmsten Fall könnte Syrien eine ähnliche Entwicklung nehmen wie der Iran nach dem Sturz des Schahs 1979, fürchtet die Feministin und Aktivistin Raja Tanjour. Dort war seinerzeit nach der Revolution ein islamistisches Regime entstanden. Aber immerhin könne man in Syrien nun frei auf den Straßen demonstrieren - und genau dies werde man auch tun. Eine andere Frau ergänzt: Sollten sich im neuen Syrien dennoch extremistische Kräfte durchsetzen, bleibe als letzte Option nur, das Land zu verlassen.
Aus dem Arabischen adaptiert von Kersten Knipp.