1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Syphilis: Dank Christoph Kolumbus von Amerika nach Europa?

2. Januar 2025

Die sexuell übertragbare Krankheit lässt sich auf einen 8000 Jahre alten Bakterienstamm in Amerika zurückführen. Ihre weltweite Verbreitung könnte die Syphilis den Kolonialisten des 15. Jahrhunderts zu verdanken haben.

https://p.dw.com/p/4ogd6
Medizinische Zeichnung zweier Männer, die Symptome von Syphilis haben
Vor der Erfindung von Antibiotika im Jahr 1943 konnten Syphilis-Infektionen die Menschen schwer entstellenBild: Gemini Collection/IMAGO

Was haben die Syphilis und Christoph Kolumbus gemeinsam? Beide landeten Ende des 15. Jahrhunderts auf neuen Kontinenten. Und beide kolonisierten die Bevölkerung: Kolumbus die amerikanischen Ureinwohner, Syphilis die Europäer. Außerdem suchten beide einen Weg nach Asien.

Die Syphilis brach in Europa erstmals 1494 in einem französischen Heerlager aus - ein Jahr nachdem Kolumbus von einer Reise nach Amerika zurückgekehrt war. Die entstellende Krankheit infizierte Soldaten und ihre Sexualpartner und verursachte Wunden an den Genitalien, im Enddarm oder im Mund. Innerhalb von nur fünf Jahren hatte sich die Syphilis in ganz Europa ausgebreitet. Bald darauf erreichte sie auch Indien, China und Japan. Die Übertragung erfolgt durch direkten Kontakt mit einer infizierten Person, meist beim Geschlechtsverkehr.

Geschlechtskrankheiten auf dem Vormarsch

So entstand die sogenannte "kolumbianische Hypothese": Die Syphilis war ein Mitbringsel der Seefahrer, die von ihrer Kolonisierung der amerikanischen Ureinwohner nach Europa zurückkehrten. Auf diesem Weg wurden nicht nur Waren, sondern auch Krankheiten zwischen Europäern und Amerikanern ausgetauscht: Schießpulver gegen Tomaten, Pocken gegen Syphilis. Eine im Dezember 2024 in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlichte Studie untermauert diese Hypothese.

Kirsten Bos ist Anthropologin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Mitautorin der Studie. Die Forschenden untersuchten fünf in Chile, Argentinien, Peru und Mexiko gefundene Skelette. Ihre Analysen weisen darauf hin, dass ein Vorläufer der Bakterien, die Syphilis verursachen, vor 8000 Jahren in Amerika zirkulierte. "Vier der fünf Skelette sind auf die Zeit vor 1492 datiert, was bedeutet, dass diese Erregervielfalt bereits zum Zeitpunkt des Kolumbienkontakts in Amerika vorhanden war", so Bos.

Die Syphilis tauchte vor knapp 600 Jahren auf

Die von Bos und ihrem Team untersuchten Bakterienproben enthielten drei Unterarten der Treponemen-Bakterienfamilie. Eine der Unterarten, T. pallidum, verursacht die moderne Syphilis. Bos verglich die genetischen Unterschiede älterer Treponemen-Unterarten mit modernen Syphilis-Proben. Anhand dieser Daten konnte das Team die Zeit berechnen, in der sich die Bakterien weiterentwickelten - und schätzen, wann der Erreger entstanden ist.

Die Analyse weist darauf hin, dass sich das Syphilis verursachende Bakterium T. pallidum um die Zeit von Kolumbus aus einem 8000 Jahre alten Vorläufer entwickelt hat. "Unser Modell deutet darauf hin, dass die Syphilis vor etwa 500 oder 600 Jahren zum ersten Mal auf der Bildfläche erschien, entweder in Amerika oder in Europa (oder anderswo) durch einen [bakteriellen] Stamm, der aus Amerika eingeführt wurde", so Bos.

Wie verbreitete sich die Syphilis in der Welt?

Die Studie liefert zwar überzeugende Hinweise darauf, dass T. pallidum vor der Ankunft von Kolumbus aus dem Europa der Renaissance auf dem amerikanischen Kontinent weit verbreitet war. Sie beweist jedoch nicht eindeutig, dass die Syphilis aus Amerika nach Europa gebracht wurde. 

"Sie zeigt, dass Amerika als Reservoir fungierte, in dem [Syphilis verursachende Bakterien] weit verbreitet waren. Es könnte immer noch von anderswo nach Europa gekommen sein oder sich bereits dort befunden haben", sagte Mathew Beale, ein Genomik-Experte am Wellcome Sanger Institute in Cambridge, UK. Beale war nicht an der Studie beteiligt.

Mythen über sexuell übertragbare Krankheiten

Studien zeigen, dass Infektionen mit Treponemen in Nordeuropa etwa zur gleichen Zeit wie Kolumbus' Reisen oder möglicherweise sogar schon früher endemisch gewesen sein könnten. Die genauen Ursprünge der Syphilis lassen sich nur schwer zurückverfolgen, so Kerttu Majander, Archäogenetiker an der Universität Basel in der Schweiz. Eine Hypothese lautet, dass es die Treponemen-Infektionen schon immer gab. Vor etwa 12.000 Jahren könnten sie erstmals auch Menschen befallen haben, als diese von Asien nach Amerika wanderten.

"Eine andere Theorie besagt, dass sie zoonotisch sind, was bedeutet, dass [Vorläufer der Syphilis] von Tieren auf Menschen in Amerika übergesprungen sind. Aber wir haben noch keine Beweise für [einen derart frühen Befall von] Tiere[n] mit Treponemose gefunden", sagt Majander. Wie es dazu gekommen ist, dass die moderne Syphilis vor 500-600 Jahren als hochgradig sexuell übertragbare Infektion auftrat, ist bisher ebenfalls unklar. "Es könnte sein, dass irgendetwas dazu geführt hat, dass sich treponemale Bakterienarten neu kombiniert und aggressivere Formen der Syphilis verursacht haben, aber das wissen wir nicht", so Majander.

Die Spurensuche wird außerdem dadurch verkompliziert, dass Syphilis und Gonorrhö in historischen Aufzeichnungen oft verwechselt wurden. Erst vor etwa 200 Jahren wurden sie offiziell als eigenständige Krankheiten anerkannt. Es gebe immer noch Debatten darüber, ob der im 15. Jahrhundert beschriebene Ausbruch von Syphilis "wirklich durch T. pallidum verursacht wurde", so der Genomik-Experte Beale.

Antibiotikaresistente Syphilis-Stämme sind heute ein Problem

Unbehandelt entstellte die Syphilis einst die Körper der Menschen und verursachte heftige Schmerzen, Lähmungen, Blindheit und sogar den Tod. Erst mit der Entwicklung des Antibiotikums Penicillin im Jahr 1943 wurde den gefährlichen Symptome der Syphilis ein Ende bereitet.

Die Syphilis selbst gibt es weiterhin. Acht Millionen Menschen infizieren sich jährlich über sexuellen Kontakte. Die angeborene Syphilis verursacht etwa 200.000 Totgeburten pro Jahr. Unter jungen Erwachsenen steigt die Zahl der Syphilis-Fälle. Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Zunahme ungeschützten Geschlechtsverkehrs der Grund dafür ist. Antibiotika-Resistenzen kommen erschwerend hinzu. Manche Stämme von T. pallidum sind bereits antibiotikaresistent und verhelfen tödlicheren Syphilis-Infektionen somit zur Rückkehr.

Deshalb seien Studien wie diese wichtig, so Majander. "[Die Studie zeigt], dass die Syphilis die Fähigkeit hat, sich an jede Umgebung anzupassen. Sie wirft die Frage auf, ob es vorher bereits andere Treponemen-Krankheiten gab und ob es in Zukunft neue, aggressivere geben könnte."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.

Quellen:

Barquera, R., et al. Ancient genomes reveal a deep history of Treponema pallidum in the Americas. Nature (2024).

Majander, K., et al. Redefining the treponemal history through pre-Columbian genomes from Brazil. Nature 627, 182–188 (2024).