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Studiogast: Prof. Henrik Walter, Charité Berlin

Suryo Buono14. August 2011

"Es ist nicht so, dass die Hirnforschung tatsächlich versucht, den Willen zu beeinflußen. Sie mißt ihn, sie versucht, ihn sozusagen zu erfassen, zu verstehen. Aber natürlich ist da Schluß wo man versucht, Menschen zu manipulieren, etwas zu tun was sie selber nicht wollen."

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DW-TV: Wollen wir gleich mal ganz groß anfangen, Herr Walter. Darf denn Hirnforschung am freien Willen herumdocktorn?

Henrik Walter: Naja, wenn sie versucht ihn wieder herzustellen oder zu verbessern... Warum nicht?

Wird sie es denn jemals überhaupt können? Es ist ja ein weiter Weg von dem Bewegen kleiner Pünktchen auf dem Bildschirm bis zum Herumdoktern am freien Willen.

Es ist nicht so, dass die Hirnforschung das tatsächlich versucht, den Willen zu beeinflußen. Sie mißt ihn, sie versucht, ihn sozusagen zu erfassen, zu verstehen. Es geht ja nicht um eine direkte Manipulation des Willens, sondern es geht ja vor allen Dingen um Bewegungssteuerung. Zum Beispiel Zittern bei Parkinsonpatienten das man versucht zu verbessern.

Aber es wird ja doch versucht. Die Hirnforschung möchte ja auch immer weiter kommen. Das ist ja sicherlich auch interessant für den Hirnforscher.

Ja, man versucht es natürlich zu verstehen. Die tiefe Hirnstimulation wird ja schon seit Jahren, seit Jahrzehnten an neurologischen Patienten angewandt. Aber in den letzten Jahren versucht man, es auch bei hoffnungslosen psychiatrischen Erkrankungen einzusetzen. Und da geht es zum Beispiel auch um Willenslosigkeit, wenn zum Beispiel Depressive nur im Bett liegen und zu gar nichts mehr motiviert sind. Da gibt es inzwischen Verfahren wie man sie wieder motivieren kann.

Würden Sie sagen es ist richtig den Willen künstlich zu erzeugen? Und die Gefahr kann man vernachlässigen?

Gefahren kann und soll man nicht vernachlässigen. Und der Wille wird ja nicht erzeugt, sondern er wird ermöglicht.

Wo ist denn da der Unterschied?

Der Unterschied ist, dass man sich das nicht so vorstellen darf, das man auf einen Knopf drückt und dann bewegt man die Hand. Sondern es ist ja eher so, was die Depression zum Beispiel angeht, implantiert man Elektroden in Hirnregionen, die motivationale Zentren sind. Und dann passiert es zum Beispiel, das Patienten, die Jahrzehnte lang zu nichts mehr Lust hatten, sich zu nichts mehr aufraffen konnten, plötzlich sagen: Ich hatte heute mal Lust, zum Kölner Dom zu gehen. Dieses Wollen wird sozusagen durch die Stimmulation ermöglicht, aber nicht ganz direkt, kausal erzeugt.

Es ist ja immer eine Frage der Grenzen: Wo, würden Sie denn sagen, Hier ist definitiv Schluß?

Also natürlich ist da Schluß wo man versucht, Menschen zu manipulieren, etwas zu tun was sie selber nicht wollen.

Aber das ist ja genau das Problem. Weil diese Grenze ist ja sehr fließend.

Nein, es ist eben nicht so dass man so ein Spiel-pad hätte und damit Patienten steuern könnte, sondern es wird ja dem Patienten praktisch implantiert und nur an einer Stelle eine Stimmulation erzeugt. Ein chronischer Patient kann selbst mitentscheiden, und tut es auch, ob und wie dort dauerhaft stimmuliert wird.

Würden Sie denn sagen, in der Hirnforschung wird ethisch genug gearbeitet, oder sehen Sie da Handlungsbedarf?

Es wird zunehmend ethisch gearbeitet. Und gerade was die tiefe Hirnstimmulation angeht, die ja bei Bewegungsstörungen eingesetzt wird, wo man sofort einen tollen Effekt sieht: Die Leute können nicht richtig laufen, zittern, sie haben eine Elektrode und dann geht alles besser. Dann denkt man, es ist alles ganz toll. Jetzt hat man aber in den letzten Jahren, weil man genug Patienten so behandelt, über 10 000 inzwischen weltweit, festgestellt, dass es eben auch Nebenwirkungen gibt, die nicht unerheblich sind und die jetzt zunehmend Beachtung finden.

Interview: Daniela Levy