Studienfach "Schulgarten"
8. November 2013Der Kofferraum von Rebecca Eberts kleinem Auto ist bis unters Dach gefüllt. Sie hat alte Schilfrohrmatten dabei, große und kleine Holzklötze und einen Eimer voller Lehm. Es sind Materialien, aus denen die 30-jährige Studentin ein Insektenhotel bauen möchte. Ihre Kommilitoninnen helfen ihr bei dieser Seminaraufgabe.
Später sollen in dem Hotel Bienen und Wespen wohnen, direkt auf dem Erfurter Campus, in einer Ecke des Schulgartens. Der ist 300 Quadratmeter groß, hat mehrere Beete und eine kleine Streuobstwiese. Johannes- und Stachelbeeren wachsen hier und ein paar Kletterpflanzen. Rebecca studiert an der Universität Erfurt Pädagogik der Kindheit und Mathematik, sie ist im 7. Semester, wird bald Grundschullehrerin sein und als ausgebildete Expertin auch das Fach Schulgarten unterrichten.
Schüler kennen die Natur kaum
In der Natur arbeiten, Großstadtkindern wieder beizubringen, wo ein Apfel oder eine Birne tatsächlich herkommen, darauf freut sie sich. "Die wissen ja kaum noch etwas über Gemüse- und Obstsorten, kennen das alles nur aus dem Supermarkt. Das ist schön, das dann im Schulgarten weiterzugeben", meint die Studentin. Doch bevor die praktische Seminararbeit im Garten losgehen kann, muss Rebecca noch ihr Referat halten. Das geschieht im Geräteschuppen gleich neben den Beeten. Die Erfurterin hat mehrere Schaubilder und Texte vorbereitet, die sie herumreicht.
14 Studentinnen sitzen am Tisch, Männer sucht man hier vergeblich. Neben Rebecca sitzt Tina Wrobel, sie leiten das Seminar zusammen. Die 22-Jährige hat eine sehr persönliche Motivation, das Fach Schulgarten zu studieren. "Ich habe eine kleine Tochter, der möchte ich das alles beibringen", erzählt sie. "Kinder, die in der Stadt leben, sind heute zu selten draußen und kennen unsere Pflanzen und Tiere überhaupt nicht mehr", so die Studentin.
Wenig Theorie, viel Praxis
Interessiert hört auch Katy Wenzel zu. Sie ist die Dozentin, hat selbst an der Uni Erfurt studiert, ist ausgebildete Grundschullehrerin und betreut das Fach Schulgarten. Es ist angebunden an den Lehrstuhl Sachunterricht, den es regulär schon in der DDR-Lehrerausbildung gab. "Das hat man nach der Wende über alle Strukturen hinweg gehalten, wer heute Germanistik und Mathematik als Nebenstudienrichtung wählt, macht automatisch Werken oder Schulgarten", erklärt Katy Wenzel. In wenigen theoretischen und vielen praktischen Modulen lernen die Studierenden alles über Gartenpraxis und Gartenbau, schreiben Hausarbeiten, besuchen Vorlesungen, sind aber hauptsächlich im Projektgarten. "Die Studierenden gehen hier als Experten raus", betont Wenzel.
Die meisten Schüler in Deutschland wissen heute kaum noch, wo die Lebensmittel in den Supermarktregalen herkommen und was an heimischen Bäumen alles wächst. Der Schulgartenunterricht soll ihnen das beibringen, als obligatorisches Fach wird es an allen Thüringer Grundschulen unterrichtet. Für Katy Wenzel ist wichtig, "dass Bildungsinstitutionen diese Aufgabe übernehmen."
Schulgärten sind wieder gefragt
Nach 20 Minuten Referat über Bauweisen und Bestückung verschiedener Arten von Insektenhotels geht es mit dem Material aus Rebeccas Auto, ein paar Sägen und Bohrmaschinen raus in den Schulgarten. Das alte Hotel wird entkernt, mit neuem Holz, Stroh und Lehm bestückt. Trotz Nieselregen und kühlem Wind sind alle eifrig bei der Sache. Es sind übrigens nicht nur diese 14 Studentinnen, die hier im Fach Schulgarten ausgebildet werden, fast 200 studieren es derzeit in Erfurt.
In anderen Bundesländern ist die Ausbildung größtenteils in den Sachkundeunterricht integriert, ein Fach, in dem Schüler ganz unterschiedliche Themenbereiche streifen, von Geografie über Geschichte bis Physik und Technik. Je nach Lehrplan ist Schulgartenunterricht dort nur ein kleiner Teilbereich, der gern unter den Tisch fällt. Gerade setzte allerdings ein Umdenken ein, beobachtet Auguste Kuschnerow von der Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten. Viele Schulen in Deutschland begännen wieder, Schulgartenprojekte zu starten und mit den Schülern in die Natur zugehen.
Aber, so bedauert Kuschnerow, "fast alle Bundesländer haben die explizite Ausbildung zum Schulgartenlehrer abgeschafft". Gerade deshalb sei das Thüringer Modell wichtig, meint sie. Es passe in eine Zeit, in der vor kurzem sogar die Kultusministerkonferenz - zuständig für Fragen der Schulbildung in Deutschland - forderte, Schüler im Unterricht wieder mehr für nachhaltigen Konsum und Verbrauch zu sensibilisieren. In Thüringen passiert das bereits, eben im Fach Schulgarten.