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Politik

Studie: Flächendeckender Missbrauch im Bistum Münster

13. Juni 2022

Das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs im katholischen Bistum Münster ist deutlich größer als bisher bekannt. Aktenkundig sind 610 Fälle. Die Dunkelziffer dürfte acht- bis zehnmal so groß sein.

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Forscher konnten jahrzehntelanges Versagen in der Bistumsleitung und auch Strafvereitelung nachweisen (Symbolbild)Bild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Ein fünfköpfiges Forscherteam der Universität Münster kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis, dass es von 1945 bis 2020 rund 200 Kleriker und 610 bekannte minderjährige Opfer von sexuellem Missbrauch gab. Sie seien zwischen zehn und 14 Jahre alt gewesen, ein Viertel von ihnen Mädchen, erklärten die Forscher bei der Vorstellung ihres Berichts. Über Tätigkeiten als Messdiener oder bei Kinder- und Jugendfreizeiten sei es zu den Taten gekommen. Die Dunkelziffer ist erheblich höher. Die Forscher gehen von 5000 bis 6000 Opfern aus. Das Team um die Professoren Thomas Großbölting und Klaus Große Kracht hatte die Untersuchung im Oktober 2019 begonnen.

Deutschland I Studienergebnisse zum Missbrauch im Bistum Münster
Studienleiter Thomas Großbölting (l.) und Klaus Große Kracht: Mitunter zwei Missbrauchstaten durch Priester pro WocheBild: Guido Kirchner/dpa/picture alliance

Der Historiker Großbölting widersprach ausdrücklich der Schilderung des 2008 verstorbenen Bischofs Reinhard Lettmann, der seinerzeit von Einzelfällen gesprochen hatte. Missbrauchsfälle habe es flächendeckend in allen Dekanaten des Bistums Münster gegeben und viele Menschen hätten davon gewusst, sagte Großbölting und sprach von Vertuschung.

Nachweisen konnten die Forscher jahrzehntelanges Versagen in der Bistumsleitung und Strafvereitelung in verschiedenen Fällen. Dem aktuellen Bischof Felix Genn werfen die Forscher vor, in den vergangenen Jahren gegenüber Tätern nicht die nötige Strenge als Vorgesetzter gezeigt zu haben, wenn diese Reue geäußert hätten. In einer ersten Stellungnahme räumte Genn Mitverantwortung für das Leid der Opfer ein. Am Freitag will er sich ausführlich zu der Studie äußern.

Im Unterschied zu Studien anderer Bistümer wie zuletzt etwa Köln sowie München und Freising sind die Wissenschaftler keine Juristen, sondern Sozialanthropologen und Historiker. Studienleiter Großbölting sagte, dadurch erhoffe er sich, einen besseren Blick auf die Zusammenhänge von Missbrauchstaten hergestellt zu haben. Dem Bistum bescheinigte Großbölting, dass es die Forscher "gut unterstützt" habe.

An den 610 namentlich bekannten Opfern seien von annähernd 200 Klerikern mindestens 5700 Delikte sexuellen Missbrauchs verübt worden. Es handele sich damit keineswegs nur um Einzeltaten - fünf Prozent der pädophilen Priester seien Serientäter mit mehr als zehn Opfern. Über 90 Prozent der pädophilen Täter seien strafrechtlich ungeschoren davongekommen.

In der Hauptphase der Taten - den 60er und 70er Jahren - habe es in den Gemeinden des Bistums Münster im Durchschnitt zwei Missbrauchstaten durch Priester pro Woche gegeben. "Die Ermöglichungstendenz für sexuellen Missbrauch hat die katholische Kirche zur Täterorganisation werden lassen", erklärte Großbölting.

uh/jj (dpa, afp, epd)