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Streit zwischen Russland und Weißrussland über Erdölpipelines

22. Juli 2002

– Versucht Weißrussland, sich russisches Staatseigentum anzueignen?

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Moskau, 22.7.2002, KOMMERSANT, russ., aus Minsk

Das Oberste Wirtschaftsgericht Weißrusslands hat die Registrierung des privaten Einheitsbetriebes "Sapad-Transnefteprodukt" annulliert, der Teil der russischen Staatlichen Gesellschaft "Transnefteprodukt" (russische Abkürzung: TNP – MD) ist und dem das ganze System der Erdölpipelines in Weißrussland gehört. Dieses Urteil ist der erste Schritt zur Enteignung russischen Eigentums, das sich auf dem Territorium Weißrusslands befindet. Das Außenministerium Russlands hat bereits eine entsprechende Note an die weißrussischen Machthaber vorbereitet. Die Frage über die russische Erdölpipeline wird bei dem für den 25. Juli in Moskau geplanten Treffen der Präsidenten Russlands und Weißrusslands erörtert werden.

Die Gesamtlänge der weißrussischen Abschnitte von "Transnefteprodukt" übersteigt 1100 Kilometer. Im letzten Jahr wurden darüber 4,07 Millionen Tonnen Erdölerzeugnisse Richtung Hafen Ventspils gepumpt. Eine weitere Million Tonnen wurde aus Russland über das Tankterminal Gomel transportiert. In den Jahren 2002 bis 2005 wollte TNP die weißrussische Erdölpipeline gründlich modernisieren.

Die Erdölpipelines waren nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht unter den GUS-Staaten aufgeteilt worden. Begründet wurde das damit, dass die Erdölpipelines bis zum Zerfall der UdSSR dem Staatlichen Komitee für Erdölproduktion der RSFSR unterstanden. Gemäß dem Bischkeker Abkommen der GUS-Mitgliedsstaaten vom Oktober 1992 sind die weißrussischen Abschnitte, wie auch die ukrainischen und kasachischen, Eigentum Russlands. Sie gehören "Transnefteprodukt", dem Nachfolger des Staatlichen Komitees für Erdölproduktion.

In den fast zehn Jahren, die seit der Unterzeichnung des Bischkeker Abkommens vergangen sind, fand sich Weißrussland damit ab, dass auf seinem Territorium ausländische Pipelines verlaufen, mit denen es nichts außer den etwa fünf Millionen Dollar Steuereinnahmen jährlich verdient hat (nach Einschätzung des Konzerns "Belneftechim" könnten das 20 bis 25 Millionen US-Dollar im Jahr sein). Weißrussland hat aber auch nicht anerkannt, dass diese Pipelines russisches Eigentum sind. Die Rechte auf die Pipelines waren nicht dokumentarisch festgehalten. Diese Ungewissheit konnte nicht ewig andauern.

Am 5. Juli reichte das Wirtschaftsministerium Weißrusslands Klage beim Obersten Wirtschaftsgericht ein. Es will erreichen, dass die Gründungsdokumente von "Sapad-Transnefteprodukt", dem das ganze weißrussische Eigentum von "Transnefteprodukt" gehört, für ungültig erklärt werden. (...) Am 17. Juli kam das Oberste Wirtschaftsgericht Weißrusslands der Klage des Ministeriums nach. Heute wird dem Direktor von "Sapad-Transnefteprodukt" Nikolaj Alchimowitsch das Gerichtsurteil übergeben. Ab diesem Moment hört der Betrieb, an dessen Spitze er steht, auf zu existieren. (...)

Weißrussland benötigt das Gerichtsurteil, um Verhandlungen über die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens mit Russland auf der Basis von "Sapad-Transnefteprodukt" mit gleichen Anteilen am Grundkapital aufzunehmen. Indirekt bestätigte das Oleg Melnikow, Leiter der Abteilung für die Verwaltung des Staatseigentums beim Wirtschaftsministerium Weißrusslands. Seiner Ansicht nach zeuge das Gerichtsurteil davon, dass Weißrussland und Russland "gemeinsam nach Kompromissen suchen müssen: Wenn unklar ist, wem die Pipeline gehört, muss man sich festlegen". Andere Quellen aus der Regierung Weißrusslands behaupten, dass die Republik 19 Milliarden weißrussische Rubel (zehn Millionen US-Dollar) als ihren Anteil am Grundkapital beisteuern könnte. Bemerkenswert ist, dass sich allein in diesem Jahr die Investitionen von "Transnefteprodukt" in die Modernisierung der weißrussischen Abschnitte gemäß dem "Programm zur Erhöhung der Sicherheit der Erdölpipelines" auf 18 Millionen US-Dollar belaufen sollten (70 Millionen US-Dollar bis 2005). Solange "Sapad-Transnefteprodukt" nicht registriert ist, kann jedoch keine Rede von Investitionen seitens Russlands sein.

Der Präsident von "Transnefteprodukt" Sergej Maslow erklärte gegenüber "Kommersant", dass seiner Ansicht nach "in Weißrussland zielgerichtete Arbeit zur Enteignung russischer Erdölpipelines durchgeführt wird, was den Bischkeker Abkommen widerspricht". Deren Initiatoren seien "einige eifrige Beamte des Wirtschaftsministeriums der Republik". Maslow zufolge ist Michail Kassjanow bereits über den Vorfall in Kenntnis gesetzt worden. Das russische Außenministerium habe eine Note vorbereitet, die noch in dieser Woche von der russischen Botschaft in Minsk an das Außenministerium Weißrusslands überreicht werde. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es dazu am 25. Juli kommen, für diesen Tag ist ein Besuch von Aleksandr Lukaschenka in Moskau vorgesehen. Sergej Maslow zufolge ist die Frage über das Schicksal des russischen Staatseigentums in Weißrussland bereits in die Tagesordnung des Treffens zwischen Wladimir Putin und Aleksandr Lukaschenka aufgenommen worden. (lr)