Streit in polnischer Regierung um geplantes Asylgesetz
16. Oktober 2024"Wenn jemand illegal die polnische Grenze überquert, der von belarussischen Diensten dorthin gebracht wurde, wenn es sich um ein Element der hybriden Kriegsführung handelt, dann ist der polnische Grenzschutz nicht verpflichtet, Asylanträge dieser Personen anzunehmen." Das ist der Text des geplanten Gesetzes von Ministerpräsident Donald Tusk. Er hatte am Wochenende auf einem Parteitag seiner liberalkonservativen Bürgerkoalition angekündigt, sein Land plane die vorübergehende Aussetzung des Asylrechts.
Migrationsbegrenzung oder Menschenrecht
Für Tusk ist die Aussetzung des Asylrechts an der Grenze eine geeignete Maßnahme, um illegale Grenzübertritte aus Belarus zu verhindern. Sein Vorwurf: Belarus und Russland holten Geflüchtete aus Asien und Afrika nach Belarus und versuchten, sie nach Polen einzuschleusen, um das Land zu destabilisieren. Das Asylrecht werde in "diesem Krieg instrumentalisiert" und habe nichts mit Menschenrechten zu tun, sagte Tusk.
Offenbar traten aber während der Kabinettssitzung Spannungen zwischen den Koalitionspartnern von Tusks Mitte-Links-Bündnis in der Asylfrage zutage. Die vier Minister des Linksbündnisses Lewica hätten eine abweichende Meinung formuliert, sagte Digitalisierungsminister Krzysztof Gawkowski dem Portal Onet.pl. "Wir halten die Verschärfung der Verfahren für illegale Migranten für nötig, aber wir wollen nicht, dass Elemente wie die Aussetzung des Asylrechts in der Strategie auftauchen." Damit ist offen, ob für die geplante Änderung der Migrationspolitik im Parlament eine Mehrheit zustande kommt.
Kontrolle des Gesetzes
Neben der Linkspartei hat ein weiterer Juniorpartner von Tusks Bürgerplattform Vorbehalte gegen den neuen Kurs: die liberale Partei Polen 2050. Sie setzte nach eigenen Angaben durch, "dass die vorübergehende Aussetzung der Bearbeitung von Asylanträgen in einer Situation ernsthafter Bedrohung nur unter parlamentarischer Kontrolle erfolgt". Es gehe um Sicherheit für Kinder, schwangere Frauen und andere schutzbedürftige Personen, schrieb Regionalministerin Katarzyna Pelczynska-Nalecz auf X.
Bedenken gegenüber dem geplanten Gesetz haben auch die EU-Kommission und Menschenrechtsorganisationen geäußert. Auch die EU beschuldigt Russlands Präsidenten Wladimir Putin und seinen Verbündeten, den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen, um Druck auf den Westen auszuüben.
Irreguläre Migration
Trotz des Baus eines mehr als fünf Meter hohen Zaun und eines elektronischen Überwachungssystems versuchen Migranten täglich, irregulär die Grenze zu überqueren. Seit Beginn des Jahres hat der Grenzschutz knapp 28.000 solcher Versuche registriert. Deutschlands östliches Nachbarland hat rund 37 Millionen Einwohner.
Dies wirkt sich auch auf die an sich positive Statistik der europäischen Grenzsschutzorganisation Frontex aus. In den ersten neun Monaten dieses Jahres haben demnach 166.000 Menschen versucht, auf irreguläre Weise in die EU zu gelangen. Das waren 42 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum, wie Frontex in Warschau mitteilte. Stark zugenommen hat allerdings die Zahl der versuchten unerlaubten Einreisen über die östliche Landgrenze der EU, also der Route über Belarus nach Polen und Litauen. Hier wurde ein Anstieg von 192 Prozent registriert.
Vorbild Finnland
Bei seinem Vorstoß hatte Tusk auf Finnland verwiesen, das seine Grenze zu Russland für Migranten geschlossen habe. Das Parlament in Helsinki hatte im Juli ein für ein Jahr befristetes Gesetz angenommen, wonach Sicherheitskräfte an der Grenze zum östlichen Nachbarland alle Asylsuchenden zurückweisen sollen. "Es ist unser Recht und unsere Pflicht, die polnischen und europäischen Grenzen zu schützen", betonte der 67-Jährige am Montag. Seine Regierung werde diese Aufgabe erfüllen und mit niemandem über die Grenzsicherung verhandeln. Das Recht auf Asyl ist in der polnischen Verfassung verankert. In Artikel 56 heißt es: "Ausländer genießen in Polen gemäß den im Gesetz bestimmten Grundsätzen das Asylrecht."
fab/kle (dpa, kna)