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Glaube

Stolz und Dankbarkeit

5. Oktober 2024

Erntedank ist das Fest, um zu schauen: Was habe ich gesät und kann stolz darauf sein? Wofür danke ich Gott? Ein Beitrag der evangelischen Kirche.

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Erntedankfest
Bild: Sebastian Willnow/dpa/picture alliance

Was ich selbst leiste und was ich geschenkt bekomme.

„Wenn ich heute zurückblicke, erfüllt es mich mit Stolz und auch ‘ner Menge Dankbarkeit…“ Sagt Manuel Neuer, der Fußballtorwart, als er am 21. August 2024 seinen Abschied aus der deutschen Nationalmannschaft erklärt. Nach 15 Jahren, sieben davon als Kapitän, nach 124 Spielen, im Alter von 38 Jahren. Stolz und Dankbarkeit. Was jemand geschafft hat und was er oder sie geschenkt bekommen hat, gehen Hand in Hand. Wie gut also, beide in einem Atemzug zu nennen, wenn man auf ein ganzes Stück Leben zurückblickt.  

Erntedank 

Viele, die in dieser Jahreszeit auf ihre Ernte schauen und auf die Arbeit, die da drinsteckt, können das tun. Und wer in seiner Kirche Erntedank feiert, tut es in einem besonderen Bewusstsein, in Gemeinschaft, im Gegenüber zu Gott. Stolz und dankbar wird der Altar geschmückt, mit dem Riesenkürbis, mit Äpfeln und Trauben, Brot und Blumen. Dabei ist die Dankbarkeit deutlich größer als der Stolz. Man hat es ja mit der Natur zu tun, hier mit der Schöpfung. Wir können viel dafür tun, haben es aber letztlich nicht in der Hand, ob wächst und Früchte bringt, was wir gesät haben.  

In einem Kirchenlied heißt es: „Es geht durch unsere Hände, kommt aber her von Gott.“ (Evangelisches Gesangbuch, Lied 508, 2. Strophe) Ich singe diese Strophe mit besonderer Andacht an Erntedank. Aber auch darüber hinaus immer wieder mal im Jahr, wo ich den Normalbetrieb von Tag zu Tag mal unterbreche. Dann fällt ein anderes Licht auf das, was ich vor mir sehe oder worauf ich zurückschaue. Und mein Blick wird klarer und weiter. Was ging durch meine Hände: Was habe ich geleistet? Kommt aber her von Gott: Was hat Gott bewirkt? 

Ich ernte, wo ich nicht gesät habe 

Offenbar aus einer solchen Erfahrung heraus kommt in der Bibel der Apostel Paulus zu einer wunderbar radikalen Frage: „Was hast du, das du nicht empfangen hast?“ (1. Korintherbrief 4, Vers 7). Mit dieser Frage stellt er seinen und meinen Blick noch schärfer. 

So dass ich mir Folgefragen stelle wie diese hier: Was habe ich dafür getan, dass ich hier in diesem Land geboren bin; in dieser Phase der Geschichte; hinein in diese Familie?  

Wenn ich so frage, gewinne ich wahrscheinlich eine freiere Sicht auf andere Menschen, auf andere Lebensgeschichten und Lebenswelten. Ich nehme mich selbst mit anderen Augen wahr, werde ein Stück weniger stolz sein womöglich, dafür ein Stück mehr dankbar. Ich ernte, wo ich nicht gesät habe. 

Herzens-Sätze 

Und das gilt ja auch an vielen anderen Stellen. Dort zum Beispiel, wo ich schöne Gedanken oder gute Formulierungen aufnehmen kann, die andere neben mir oder vor mir in die Welt gesetzt haben. „Die Motivation für christliche Ethik ist stets die Dankbarkeit.“ (1) Diesen Satz hat Ende der 1970er der Theologe Willi Marxsen in Münster ausgesät - und sicher manchen ins Herz gepflanzt. Da ist er dann aufgegangen und hat Früchte getragen. Was fürs Leben sozusagen.  

Tatsächlich kann man sich von Sätzen dieser Art ein Leben lang ernähren und sie dann und wann aufs Neue richtig genießen. Sie sind oft verbunden mit Personen und Situationen. Sie werden Teil der persönlichen Erinnerungskultur und der eigenen Identität. Auch eine Art Erntedank: schauen, was meine Herzens-Sätze sind. Sätze, die mir helfen.  

Zufriedenheit 

Vor Kurzem hat ein anderer prominenter Fußballspieler öffentlich auf ein großes Stück Leben zurückgeblickt. Er ist gut doppelt so alt wie Manuel Neuer, eine ganz andere Generation also. Kurz vor seinem 80. Geburtstag sagt Günter Netzer: „Ich bin hochzufrieden. Zufriedenheit ist das, was ich immer erreichen wollte.“ (2) Das kommt ganz einfach daher, hat aber was. Zufriedenheit ist nicht geringzuschätzen. Im Gegenteil, sie kann viel bedeuten. Erst recht, wenn da noch mehr drinsteckt: eine Prise Stolz und eine Menge Dankbarkeit.     

 
(1) 
Willi Marxsen, Christologie – praktisch, Gütersloh 1978, S. 22 
 
(2) 
Tagesspiegel, 13.9.2024, S. 28        
 
 
Zum Autor:  

Reinhold Truß-Trautwein, geboren 1958 in Kassel, war von 2013 bis 2023 evangelischer Senderbeauftragter für Deutschlandradio und Deutsche Welle. Vorher war er 25 Jahre lang Gemeindepfarrer, zunächst in Laubach in Mittelhessen, danach in Frankfurt a.M.-Bockenheim. Seit 1989 gestaltet er Verkündigungssendungen im Hörfunk. Als Autor und ebenso als Hörer bzw. User hat er Freude an dieser Arbeit. Er ist verheiratet, Vater einer erwachsenen Tochter und lebt in Berlin. 

Reinhold Truß-Trautwein
Bild: Pressefoto der Evangelischen Kirche