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Stichwort: "Arisierung" und Enteignung

André Moeller14. Juni 2002

"Arisierung" beschreibt nicht nur die Überführung jüdischen Eigentums in die Hände der so genannten "arischen Volksgemeinschaft", sondern auch die Verdrängung von Mitbürgern jüdischen Glaubens aus dem Wirtschaftsleben.

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Die Angst um das Leben und um den BesitzBild: AP

Der Begriff entstammt dem völkischen Antisemitismus der zwanziger Jahre im 19. Jahrhundert. Er wurde sehr bald zum Schlagwort nationalsozialistischer Propaganda und fand ab 1933 Einzug in den Sprachgebrauch der Behörden. Hinter dem Begriff "Arisierung" verbirgt sich unter anderem die zunächst gesetzlich ungeregelte und später vom Staat betriebene rassistisch begründete Enteignung jüdischen Vermögens in der NS-Zeit. Spätestens ab 1938 wurden die Enteignungsmaßnahmen durch zahlreiche Gesetze, Erlasse und Verordnungen begleitet.

Die Plünderung jüdischer Bürger und ihre Verdrängung aus dem Berufs- und Gesellschaftsleben zielte von Anfang an auf die Verwertung und Verteilung der geraubten Besitztümer. Mit den Einnahmen aus "Reichsfluchtsteuer", "Sühneleistung" und der Vermögensverwertung geflohener, deportierter und getöteter Juden sollten Aufrüstung und Kriegsfolgen finanziert werden.

Auch Privatpersonen zählen zu den Gewinnlern

Durch Gerichtsverfahren um Entschädigungsforderungen von NS-Zwangsarbeitern stehen vor allen Dingen Großunternehmen in der öffentlichen Diskussion. Doch auch Kleinunternehmer und Privatpersonen zählen zu den Gewinnlern von Judenverfolgung und Enteignungen. Schnell wird verdrängt, dass große Teile der Gesellschaft aus der Entrechtung, Vernichtung oder Vertreibung von Juden durch die Nationalsozialisten materielle Vorteile gezogen haben. Zum Beispiel konnten Hausrat, Möbel und Schmuck auf öffentlichen Versteigerungen erworben werden oder wurden in anderen Fällen von den Nachbarn geplündert. Wertvollere Gegenstände wie Antiquitäten oder Bilder ließ der NS-Staat über den Handel verkaufen.

"Unrechtseigentum" wird vererbt

Auch Häuser, Grundstücke oder Wohnungen mussten die Betroffenen oft unter Androhung von Gewalt für einen Bruchteil ihres Wertes veräußern. Die so liquidierten Besitztümer flossen entweder den Parteifunktionären persönlich zu oder konnten von der Reichsfinanzverwaltung günstig weiterverkauft werden.

Viele profitierten von den Berufsverboten, die bereits ab 1935 verhängt wurden. "Ich ersuche um Mitteilung, wie ich zu einem jüdischen Geschäft komme", zitieren Historiker einen Brief aus der damaligen Zeit. Meist wurden solche, aus dem NS-Unrecht gezogene, Vorteile an die Erben weiter gegeben.