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"Heute müssen wir uns selbst befreien"

8. Mai 2020

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg - und mit ihm die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus. Der Bundespräsident mahnt: Wer einen Schlussstrich fordere, der verleugne den Wesenskern unserer Demokratie.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede vor der Neuen Wache in Berlin (Foto: Reuters/H. Hanschke)
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede vor der Neuen Wache in Berlin Bild: Reuters/H. Hanschke

"Der 8. Mai war das Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, das Ende von Bombennächten und Todesmärschen, das Ende beispielloser deutscher Verbrechen und des Zivilisationsbruchs der Schoah", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der zentralen Gedenkveranstaltung in Berlin.

Steinmeier erinnerte an die 1985 vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker geprägte Formel "Tag der Befreiung" für den 8. Mai 1945. "Damals wurden wir befreit, heute müssen wir uns selbst befreien", mahnte das Staatsoberhaupt: "von der Versuchung eines neuen Nationalismus, von der Faszination des Autoritären, von Misstrauen, Abschottung und Feindseligkeit zwischen den Nationen." Auch Hass und Hetze, Fremdenfeindlichkeit und Demokratieverachtung seien "nichts anderes als die bösen alten Geister in neuem Gewand".

"Mit gebrochenem Herzen lieben"

Am 75. Jahrestag des Kriegsendes rief Steinmeier die Deutschen zu einem selbstkritischen und geschichtsbewussten Patriotismus auf. "Man kann dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben", sagte er in seiner Ansprache an der Neuen Wache. "Die deutsche Geschichte ist eine gebrochene Geschichte - mit der Verantwortung für millionenfachen Mord und millionenfaches Leid", so Steinmeier. "Das bricht uns das Herz."

Kranzniederlegung in der Neuen Wache in Berlin, der zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Foto: Reuters/H. Hanschke)
Kranzniederlegung in der Neuen Wache in Berlin, der zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft Bild: Reuters/H. Hanschke

Wer das Eingeständnis der Schuld nicht ertrage, wer einen Schlussstrich fordere, der verdränge nicht allein "die Katastrophe von Krieg und NS-Diktatur", warnte der Präsident. "Der entwertet auch all das Gute, das wir seither errungen haben - der verleugnet den Wesenskern unserer Demokratie." Nicht das Bekenntnis zur Verantwortung sei eine Schande - "das Leugnen ist eine Schande"

 

In Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Präsidenten des Bundestages, des Bundesrats und des Bundesverfassungsgerichts, Wolfgang Schäuble, Dietmar Woidke und Andreas Voßkuhle, sagte Steinmeier, man habe sich nach 1945 geschworen: "Nie wieder." Dieser Satz gelte nirgendwo so sehr wie in Europa - auch in und nach der Corona-Pandemie. "Wir müssen Europa zusammenhalten." Deutschland sei nach dem Zweiten Weltkrieg von einem Gefährder der internationalen Ordnung zu einem ihrer Förderer geworden. "Also dürfen wir nicht zulassen, dass diese Friedensordnung heute vor unseren Augen zerrinnt."

"Damals waren die Deutschen allein"

Wegen der Corona-Krise wurde die Gedenkzeremonie in Berlin im Umfang stark reduziert. Statt des geplanten Staatsakts, zu dem Tausende Jugendliche aus Europa hätten kommen sollen, wurde lediglich ein Kranz an der Neuen Wache in Berlin niedergelegt, der zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Die Pandemie zwinge Deutschland, "allein zu gedenken - getrennt von denen, die uns wichtig und denen wir dankbar sind", sagte Steinmeier. "Vielleicht versetzt uns dieses Alleinsein noch einmal zurück an jenen 8. Mai 1945: Denn damals waren die Deutschen tatsächlich allein."

jj/sti (dpa, afp, rtr, epd, kna)

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