1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Chinas Wirtschaft im Zeichen der Schlange oder des Donald?

29. Januar 2025

China läutet das Jahr der Schlange ein, die für scharfsinnigen Verstand und strategisches Denken steht. Beides werden Pekings Entscheidungsträger brauchen, denn der Gegenwind für Chinas Geschäftsmodell wird stärker.

https://p.dw.com/p/4pn54
Dekorationen zum Neujahrsfest mit einer Schlangenfigur, roten Lampions und dem chinesischen Gott für Wohlstand, repräsentiert durch die Figur eines älteren sitzenden, bärtigen Manns
Dekorationen zum Jahr der Schlange in Chengde in der Provinz HebeiBild: Kevin Frayer/Getty Images

Chinas Wirtschaft wächst seit dem Ende der Pandemie alles andere als dynamisch und hat mit vielen Problemen zu kämpfen. Im Inland halten die Menschen ihr Geld zusammen, die seit Jahren schwelende Immobilienkrise hat viele nicht nur ärmer gemacht, sondern auch tief verunsichert. Trotzdem ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt in vielen Bereichen weiter auf dem Vormarsch - vor allem bei den Exporten.

Nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus strotzt Donald Trump vor Selbstbewusstsein und die Welt verfolgt gebannt, wie radikal seine Strafzoll-Politik ausfallen wird. Die offiziellen Wirtschaftsdaten von Chinas Statistikern für 2024 könnten Trumps Zorn auf Peking weiter anheizen, denn sie enthalten mehr als nur die Bestätigung, dass die von der Staats- und Parteiführung angepeilten fünf Prozent Wirtschaftswachstum erreicht wurden.

Volker Baur, Devisenanalyst bei der Commerzbank, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der chinesischen Wirtschaft. Ihn hat die Punktlandung nicht überrascht. "Es ist definitiv ein Schmunzeln wert, wenn man sich morgens, wenn die Daten rauskommen, das anguckt. Weil man vorher gedacht hat: Das werden die niemals wieder erreichen. Und dann 'schwuppdiwupp' sind es doch wieder ganz genau die Wachstumswerte, die man sich am Jahresanfang gewünscht hat."

Donald Trump unterzeichnet nach seiner Amtseinführung Erlasse im Oval Office
Gleich am ersten Tag im Amt unterzeichnete Donald Trump reihenweise PräsidialerlasseBild: Jim Watson/AFP/Getty Images

Chinesen spüren das Wachstum kaum

Die reine Wachstumszahl falle besser aus, als es sich für die meisten Chinesen anfühlen dürfte, meint auch Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. "Zu einer deutlichen Verbesserung der gefühlten wirtschaftlichen Situation kam es nämlich nicht." Die Immobilienkrise sei immer noch zu spüren, die privaten Haushalte seien stark verunsichert und die chinesische Wirtschaft kämpfe mit strukturellen Schwierigkeiten wie großen Überkapazitäten, die man ins Ausland exportiert.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Allein der Export steuerte 1,5 Prozent zum chinesischen Wachstum bei. "Das heißt, die heimische Nachfrage, also was in China selbst konsumiert oder investiert wurde, ist nur um 3,5 Prozent gewachsen im Vergleich zum Vorjahr (2023, d. Red.)", erklärt Baur im Interview mit der DW.

Das sei - mit Ausnahme der Pandemie-Jahre - der schwächste Wert seit Jahrzehnten. "Allein 30 Prozent des Wachstums entstehen durch diese externe Nachfrage. So abhängig von den Exporten war Chinas Wachstum zuletzt in den 1990er Jahren", unterstreicht Baur.

Exportüberschuss in Rekordhöhe

Beim Handelskrieger Donald Trump dürfte es nicht gut angekommen sein, dass China das Jahr 2024 mit einem Handelsüberschuss in Höhe von fast einer Billion US-Dollar abgeschlossen hat. "Das sind noch mal 150 Milliarden mehr als im bisherigen Rekordjahr 2022 und auch mehr als je ein anderes Land dieser Welt geschafft hat", so Volkmar Baur.

Jacob Gunter von der China-Denkfabrik MERICS sieht die Unwucht in Chinas Volkswirtschaft ebenfalls als Problem. "2024 brach Chinas Handelsüberschuss erneut Rekorde, das Wachstum des Konsums im Inland war erneut schwach, die Rentabilität der Unternehmen nahm weiter ab und die von Beijing ergriffenen Konjunkturmaßnahmen konzentrierten sich erneut auf die Produktion und nicht die Ankurbelung des Konsums", fasst er die Lage zusammen.

Weil die Haushaltseinkommen in China im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung eher niedrig sind, halten die Menschen ihr Geld zusammen (siehe Grafik)
 

Fallende Preise bei Exportgütern

Peking zahlt einen hohen Preis für seinen Exportboom. Denn die Preise für Chinas Exportgüter sind rückläufig. Der Export von Stahlprodukten ist 2024 um 20 Prozent gestiegen, aber die Exportpreise sind seit zwei Jahren negativ. Dazu kommt, dass rund ein Drittel der chinesischen Stahlunternehmen Verluste macht. Und Jahr für Jahr werden es mehr.

Beim Export von PKWs ist das Bild ähnlich: 2024 wurden 24 Prozent mehr Autos in alle Welt verschifft, allerdings ebenfalls bei fallenden Exportpreisen. Laut Baur macht ungefähr ein Viertel der chinesischen Autobauer Verluste.

Andrew Wang, dessen Firma in Xiamen Ladeinfrastruktur für E-Autos anbietet, sagte gegenüber Reuters, sein Umsatz sei im vergangenen Jahr um 16 Prozent gesunken. Er habe deshalb Stellen abbauen müssen und werde dies wohl bald wieder tun. "Die von China veröffentlichten Daten unterschieden sich von dem, was die meisten Leute wahrgenommen haben", sagte Wang und verglich den Ausblick mit dem Steigern des Schwierigkeitsgrades auf einem Laufband: "Wir müssen schneller laufen, um dort zu bleiben, wo wir sind."

Sinkende Löhne auch in Topbranchen

Immer wieder machen Berichte aus China die Runde, dass Beschäftigte monatelang keine Gehälter gezahlt bekommen und von ihren Ersparnissen leben müssen. Wie häufig Löhne nicht gezahlt werden, ist schwer zu überprüfen. Aber insgesamt verdienen die Menschen eher weniger als mehr. Eine Umfrage zu den Einstiegsgehältern bei Unternehmen der New Economy scheint diesen Abwärtstrend zu belegen. Die New Economy umfasst nach chinesischem Verständnis die dynamisch wachsenden Industrien des Landes mit hohen Forschungsausgaben - meist aus dem Technologiesektor.

"Und hier scheinen die Einstiegsgehälter in den letzten Monaten um acht Prozent im Jahresvergleich gefallen zu sein", so Baur. "Wenn selbst in so dynamischen Industrien, die die Politik im Fokus hat, die Einstiegsgehälter fallen, dann kann man sich ausrechnen, wie es um die Löhne in anderen Bereichen bestellt ist."

Studenten sitzen an einem Tisch auf einer Jobmesse der Universität Zhengzhou in der Provinz Henan
Wenige Jobs für junge Leute: Jobmesse der Universität Zhengzhou in der Provinz Henan Bild: Avalon.red/Imago Images

To-Do-Liste für Pekings Entscheider wird immer länger

Immer mehr unrentable Unternehmen, fallende Gehälter, steigende Arbeitslosigkeit und wenig Konsum - das sind nur einige der Herausforderungen, vor denen die Staats- und Parteiführung im Jahr der Schlange steht. Und wie lange China sich aus seiner Krise noch "herausexportieren" kann, hängt davon ab, wie stark US-Präsident Trump die handelspolitischen Daumenschrauben anzieht. Nicht nur die angedachte erste Runde von Zöllen in Höhe von zehn Prozent würde China spüren. Auch drohende Schritte gegen Online-Händler wie Temu, Shein und AliExpress in den USA könnten Wachstum kosten.

Bislang sind in den USA Warensendungen aus dem Ausland bis zu einem Wert von 800 US-Dollar zollfrei. Wenn Donald Trump diese Zollbefreiung kippt, wie in Washington diskutiert wird, hätte das spürbare Folgen.

Nach Berechnungen der japanischen Bank Nomura droht damit eine Verlangsamung des chinesischen Exportwachstums um 1,3 Prozentpunkte. Das Wirtschaftswachstum könnte um 0,2 Prozent gedämpft werden. Und die Auswirkungen wären noch deutlich größer, wenn Europa und südostasiatische Länder, wo es ähnliche Zollregelungen gibt, genauso handeln.

 

Thomas Kohlmann
Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.