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Glaube

Starke Worte

13. August 2021

Worte haben Macht. Sie können Situationen retten oder eskalieren lassen, Menschen aufrichten oder herunter putzen. Ralph Frieling ist überzeugt: Heilende Worte kann jede und jeder sagen.

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Symbolbild | Wort der Woche | Sprachrohr
Bild: Matthias Stolt/McPHOTO/imago images

„Ihr Junge ist ein Genie“

Von Thomas Edison, dem Erfinder der Glühbirne, gibt es folgende Geschichte:

Thomas kam eines Tages von der Schule nach Hause und gab seiner Mutter einen Brief: „Mein Lehrer hat mir diesen Brief gegeben“, sagte er. „Ich soll ihn nur dir zu lesen geben.“

Die Mutter fing an zu weinen, als sie ihrem Sohn den Brief vorlas: „Ihr Junge ist ein Genie! Unsere Schule ist viel zu klein für ihn. Sie verfügt nicht über die Lehrer, die gut genug wären, ihn zu unterrichten. Bitte, unterrichten Sie ihn von nun an selbst!“ So geschah es dann auch. Die Mutter gab ihrem Sohn Unterricht. Und das mit großem Erfolg. Aus Thomas Edison wurde ein kluger Mann.

Jahre später – die Mutter war schon lange tot – suchte Edison etwas in einer alten Schublade. Er fand ein Blatt Papier – den Brief, den sein Lehrer damals geschrieben hatte. Edison fing an zu lesen: „Ihr Sohn ist geistig behindert. Wir können und möchten ihn nicht länger auf unserer Schule unterrichten. Behalten Sie ihn zu Hause.“ Jetzt war es Edison, der Tränen in den Augen hatte.  Das Vertrauen seiner Mutter hatte den Ausschlag gegeben, dass er ein so großer Erfinder wurde.

Auch wenn sich die Geschichte nicht ganz so zugetragen hat, macht sie doch eine Wahrheit sehr deutlich:

Worte haben Macht.

Das gilt für aufrüttelnde, offene und deutliche Worte. Das gilt leider für niedermachendes, kränkendes Gerede. Aber auch für heilende, aufbauende Worte.

Im Alten Testament, in der Bibel, steht dieser Satz: Wer unvorsichtig herausfährt, sticht wie ein Schwert; aber die Zunge der Weisen ist heilsam. (Sprüche 12,18) Wohl wahr.

Worte haben Macht

Wer solche heilenden Wort alles brauchen kann:

  • Der Witwer, allein in der Wohnung, die Ehefrau ist seit einem halben Jahr tot. Aus der Traum vom gemeinsam verbrachten Lebensabend. Sein unwiderstehliches Lachen ist verstummt. Er hat kaum Lust raus zu gehen, den ganzen Tag sitzt er zu Hause. Besuch bekommt er selten. Für die Freundschaftspflege war seine Frau zuständig gewesen: Gibt es eine Zukunft und eine Aufgabe für ihn?
  • Die junge Frau, früh mit 18 das Kind das Kind gekriegt, sitzengelassen von ihrem Freund, überfordert als alleinerziehende Mutter: Wer wird sie unterstützen?
  • Der ausgezehrte Mann im Zug, Mitte 20, der leer vor sich hin stiert: Drogen genommen, Ausbildungsplatz verloren, kein Geld, keine Wohnung, der Gedanke „Keiner will mich, keiner braucht mich.: Gibt es für ihn eine zweite Chance?
  • Die Geschäftsfrau, ohne Aufträge. Der Kredit gekündigt, das Unternehmen insolvent, arbeitslos: Kommt sie alleine wieder hoch?

 

So manche Menschen sind ratlos, traurig, aufgewühlt. Sie haben die Orientierung und ihren Lebenssinn verloren. Es ist notwendig, dass sie jemand anspricht.

Menschen in ihrer Krise aufzusuchen, nach ihnen zu schauen, nach zu fragen, wie es ihnen geht, kostet meistens Kraft, Geduld und Ausdauer. Und leicht ist es oft nicht, sich diese Extrazeit für den anderen zu nehmen, herauszufinden was er oder sie braucht: Das kann ein langes Gespräch sein, oder auch einfaches Zuhören. Eine Therapie oder auch Geld und eine professionelle Beratung.

 

„Wie geht es dir?“

Wobei machtvolle Worte nicht nur von Experten und Therapeutinnen kommen. Sie sind nicht einmal nur Erwachsenen vorbehalten.

Im Schulgottesdienst in Oestinghausen bat ich die neun-, zehnjährigen Kinder, einen Brief zu gestalten, malen, zeichnen, schreiben, mit fetter Ölkreide oder Bleistift, an eine Person, die sie mögen. Marie schrieb ihrer 15jährigen Schwester, die 10 Kilometer weiter wohnt bei ihrem Vater und die sie selten sieht. Jan malte ein dickes, fettes rotes Herz und steckt das Blatt in den Umschlag für: Papa. Alice schrieb ihrer Lieblings-Cousine. Madar schrieb seiner Tante: Wie geht es dir? Mir geht es gut. Kommst du uns bald besuchen?

Auch die Worte und Bilder der Kleinen haben Macht. Zu trösten, aufzuheitern, zu lieben, zu besuchen.

 

 

Ralph Frieling (Jahrgang 1966) ist Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde Weslarn in Westfalen.

Nach dem Abitur machte er ein längeres Volontariat in Nes Ammim (Israel) und studierte evangelische Theologie in Heidelberg und Melbourne (Australien). Ende der Neunziger Jahre folgte das Vikariat in Berlin und Brandenburg; dort hat er auch angefangen, regelmäßig Radiosendungen zu machen. Anschließend war er vier Jahre lang Studienleiter in der Evangelischen Akademie Iserlohn im »Institut für Kirche und Gesellschaft« der Evangelischen Kirche von Westfalen. 2004 wechselte er als Pfarrer in die Gemeinde, zuerst im Kirchenkreis Hamm, dann ab 2008 in den Kirchenkreis Soest.