Kohls Abschied: Staatsaffäre statt Staatsakt
30. Juni 2017Eine verstorbene Polit-Ikone, eine junge Witwe, entfremdete Kinder, kontroverse Protegés und ein Kampf um Deutungshoheiten und Erbschaften - all das könnte einem Schauspiel aus der Feder Shakespeares entsprungen sein: Um die letzte Ehre für den verstorbenen Altkanzler Helmut Kohl ist ein Streit ausgebrochen, der politisch und emotional nicht aufgeladener sein könnte.
Da ist etwa "sein Mädchen", wie Angela Merkel einst von Kohl genannt wurde - eine Bezeichnung, die heute deshalb so oft zitiert wird, weil sie als Inbegriff der komplizierten Beziehung zwischen den beiden gilt.
Merkel und Kohl, eine komplexe Beziehung
"Das Mädchen" - heute die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland und Vorsitzende seiner Partei CDU - solle nicht auf der Trauerfeier sprechen, berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".
Das Verhältnis zwischen Merkel und dem Altkanzler war nach seinem Rückzug aus der Politik 2002 deutlich abgekühlt. Im Zuge der CDU-Spendenaffäre soll Merkel mit ihren Worten "die von Helmut Kohl eingeräumten Vorgänge haben der Partei Schaden zugefügt" das Ende der Ära Kohl eingeläutet, sagen Kenner heute. Nur wenig später übernahm sie selbst den Vorsitz der Partei und wurde schließlich die erste Bundeskanzlerin der Republik.
Obwohl sie ihn 2010 zu seinem 80. Geburtstag noch besuchte und ihm öffentlich für seine Verdienste dankte, ohne die "das Leben von Millionen Menschen, die wie ich bis 1990 in der DDR gelebt haben, völlig anders verlaufen" wäre, habe Kohl ihr nie verziehen. Für seine nachtragende Art bekannt, hatte er seiner Witwe zufolge mehrfach den Vorschlag abgelehnt, dass Angela Merkel auf seiner Beerdigung eine Rede halte.
Maike Kohl-Richter, Verwalterin des Erbes
Es war nicht die einzige Aufsehen erregende Entscheidung, mit der Maike Kohl-Richter im Namen ihres Mannes für Kontroversen um das öffentliche Gedenken des Altkanzlers sorgte. 34 Jahre jünger als ihr verstorbener Mann, hatte sie Helmut Kohl in seinen letzten Regierungsjahren im Kanzleramt kennengelernt.
Das Paar hatte 2008, wenige Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau Hannelore geheiratet, unter Ausschluss seiner Familie und mit dem Medienunternehmer Leo Kirch und dem damaligen Bild-Chef Kai Diekmann als Trauzeugen. Seit einem Unfall vor einigen Jahren, der Kohl an den Rollstuhl fesselte und ihn kaum noch sprechen ließ, übernahm sie die Artikulation und Umsetzung seiner Interessen.
Kohl-Richter und Merkel - die eine Hüterin über die Deutungshoheit seines politischen Erbes, die andere Nachfolgerin, Restauratorin und Architektin einer Politik, dessen Fundament sein größter Erfolg, die Wiedervereinigung ist.
In diesem ersten Kräftemessen mit der deutschen Politik scheint Kohl-Richter verloren zu haben. Merkel darf in ihrer Rolle als deutsche Regierungschefin auf den Festakt sprechen, auf dem auch der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der ehemalige US-Präsident Bill Clinton Trauerreden halten werden.
Victor Orban, ein widersprüchlicher Protegé
Ein anderer Wunschredner der Witwe und - nach ihrem Verlauten - auch Helmut Kohls darf dagegen nicht sprechen: Der ungarischen Premierminister Viktor Orban, den Kohl nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als jungen Politiker mit liberalen Ideen kennen lernte und förderte, und mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband.
Der selbe Orban wird derzeit aber für die autoritären Züge seiner Politik kritisiert und gilt damit als offener Widerspruch zu Kohls geistigem Vermächtnis. Mit seiner offenkundigen Anti-EU-Haltung und unkooperativen Flüchtlingspolitik steht er in starkem Kontrast zu dem Europa-Gedanken, den die Gedenkfeier in Straßburg nach eigener Aussage der Mitinitiatorin Kohl-Richter eigentlich vermitteln soll.
Beisetzung auf neutralem Boden
Ob mit oder ohne Viktor Orban, auch die Örtlichkeiten der Feier sorgten für Erstaunen: Als erster Bundeskanzler Deutschlands wird Kohl statt mit einem traditionellen Staatsakt der Bundesrepublik Deutschland am 1. Juli in einer europäischen Gedenkfeier geehrt. Die bislang einzigartige Zeremonie soll der Erinnerung an seine Verdienste für ein geeintes Europa dienen, von der deutschen Wiedervereinigung bis zu seinen Bemühungen um die europäische Integration und die Gründung der Währungsunion.
Statt im Familiengrab neben seiner ersten Ehefrau beigesetzt zu werden, soll Kohl nach dem Gedenkakt in Straßburg für einen Trauergottesdienst in den Dom von Speyer überführt werden und im angrenzenden Friedhof beerdigt werden.
Auch wenn die Abweichung vom klassischen Zeremoniell von einigen als Affront gegenüber seiner Rolle als Altkanzler kritisiert wird, kommt die Wahl Speyers nicht von ungefähr: Nahe seiner Heimat Ludwigshafen pflegte er zu der Domstadt gute Beziehungen. Hier war er auch nach seinem Ausscheiden als Regierungschef 1998 mit einem Großen Zapfenstreich geehrt worden.
Familienfehden überschatten das letzte Geleit
Ob es auch familiäre Beweggründe gab, dass Kohl nicht neben seiner ersten Ehefrau Hannelore beerdigt werden soll, ist unklar. Sicher ist, dass das Verhältnis zu seinen Söhnen aus dieser Ehe als sehr angespannt galt. Auch die Witwe soll sich mit den Söhnen überworfen habe. Dem Älteste, Walter, wird vor laufender Kamera beim Besuch ihres Hauses der Eintritt verwehrt. Kohl-Richters Anwalt stritt diese Vorwürfe später ab.
"Ich kann nur meine tiefe Betroffenheit und meiner Trauer Ausdruck geben, dass er jetzt gestorben ist und dass das alles in dieser Weise passiert ist", sagte der Sohn später den anwesenden Journalisten. "Mein Vater hat ja allen Kontakt zu vielen Menschen in seinem Umfeld abgebrochen", klagte Kohl Junior, der mit seinem eigenen Sohn vorbeigekommen war. "Vor allem auch zu den Enkeln, die sehr darunter gelitten haben, dass ihr Großvater für sie nicht erreichbar war."
Letzte Ehre mit Distanz
Ob es sein letzter Wille war oder nicht, Kontroversen hatten immer schon einen Teil der Strahlkraft Kohls ausgemacht, erinnerte Bundestagspräsident Norbert Lammert in einer Gedenkfeier des Bundestags: "Legendär sind seine integrierende Kraft wie seine polarisierende Wirkung - im Übrigen zwischen den Parteien ebenso wie innerhalb der Union", sagte der CDU-Politiker über den Altkanzler. Das sei nicht ohne Schaden geblieben. "Kohls Weg säumten nicht zuletzt Verletzungen - die er selbst erlitt und die er anderen zufügte."
Dennoch müsse man den Politiker vor allem für seine politischen Verdienste würdigen."Wir verdanken es wesentlich ihm, dass sie heute Realität ist, die friedliche Einheit unseres Landes in einem freien und befriedeten Europa." Die Persönlichkeit Kohls lasse fast niemanden gleichgültig, erinnerte Lammert in Anwesenheit des amtierenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und seiner Vorgänger Joachim Gauck und Horst Köhler. So scheint zumindest sein Vermächtnis unanfechtbar zu bleiben.