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Der Kampf um die Euro

Jannis Papadimitriou22. Juni 2012

Im EM-Viertelfinale trifft Deutschland auf Griechenland. Manche Griechen sehen in diesem Duell nicht nur ein sportliches Ereignis, sondern die Chance einer Revanche für Angela Merkels Spardiktat.

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Eine Frau mit einer Griechenlandfahne auf der Wange bei einem Fußballspiel (Foto: EPA/VASSIL DONEV)
Bild: picture-alliance/dpa

In froher Erwartung titeln die griechischen Sportzeitungen: "Bringt uns die Merkel" oder sogar "Wir geben alles für eine Nacht mit Merkel". "Wir gehören zur G8 des europäischen Fußballs", schreibt ein Sportjournalist in patriotischer Euphorie. "Schmeißt die Deutschen aus der Euro", heißt es auf einer anderen Titelseite in völliger Umkehrung der Realitäten. Immerhin zehn verschiedene Sportzeitungen erscheinen im Elf-Millionen-Land Griechenland und liefern sich täglich eine Schlacht um die schärfste Schlagzeile. Böse Zungen behaupten, da würde der eine oder andere Möchtegern-Verleger offenbar Geld waschen. Andere wiederum meinen, die publizistische Überproduktion sei auf die Selbstausbeutung der Redakteure zurückzuführen, die gerne umsonst arbeiten, weil sie die Sportberichterstattung als Einstieg in den Journalismus betrachten.

Wie auch immer: Politik und Sport sollten getrennt bleiben, glaubt Dimitris Kanellos, Redakteur der Athener Tageszeitung "Eleftheros Typos", die einen seriösen Sportteil führt. Kanellos, der in Österreich Journalismus studierte und die deutsche Sportpresse aufmerksam verfolgt, ist der Meinung, beide Seiten seien mitverantwortlich für das gegenseitige Sticheln. "Nach dem Qualifikationssieg gegen Russland waren wir Griechen die ersten, die das Ganze hochpuschten mit Schlagzeilen wie ‛Bringt uns die Merkel!'. Doch dann haben die Deutschen überreagiert und einzelne Spieler persönlich angegriffen. Spielführer Karagounis wurde in einem ironischen TV-Video sogar als Schauspieler gebrandmarkt", moniert Kanellos. Aber das seien nur Medien-Scharmützel. Die beiden Mannschaften hätten damit nichts zu tun und sähen das Ganze absolut sportlich, glaubt der Athener Sportjournalist.

Dimitris Kanellos, Redakteur der Athener Tageszeitung "Eleftheros Typos“
Dimitris Kanellos: "Sport und Politik trennen"Bild: Jannis Papadimitriou

Wenn der Nationalstolz verletzt wird

Für Aufregung sorgte am Vortag des Spiels ein weiterer ironischer Bericht der BILD-Zeitung: Die Fußballer aus Hellas würden die ganze Zeit nur fluchen und rauchen, berichtet ein BILD-Spion aus dem Hotel der griechischen Nationalmannschaft in Warschau. Bei eingehender Lektüre erweist sich jedoch nur Nationaltrainer Fernando Santos als Raucher - und der kommt bekanntlich aus Portugal. Der Sportkommentator Antonis Panoutsos empfiehlt Gelassenheit: "Liebe Landsleute, unser Nationalstolz sollte nun wirklich nicht davon abhängen, ob Karagounis mit dem Ball umgehen kann", schreibt der phlegmatische Mann im Fußballblatt "Sportday".

Auch der Sportsfreund Konstantinos Pavlou sieht das ähnlich. Der Vater von zwei Kindern verfolgt die EM-Spiele am liebsten bei einem Gläschen Ouzo in seiner Athener Stammkneipe. Auch er fühlt sich von der Krise betroffen und hat Mühe, über die Runden zu kommen, zumal seine beiden Töchter weit weg von Athen studieren und Geld von Zuhause bekommen. Aber das alles habe mit dem Spiel nichts zu tun, verkündet der Mann entschieden, ja fast trotzig. "Wollen Sie mit mir über das reden, was außerhalb des Spielfeldes passiert? Nein, kommt nicht in Frage. Was Griechenland oder die Merkel oder der Samaras wollen ist die eine Sache, Fußball ist eine ganz andere Geschichte. Fußball ist Lebensfreude, die lassen wir uns nicht vermiesen", sagt Pavlou.

Konstantinos Pavlou Familienvater und Fußballfan aus Athen
Konstantinos Pavlou: "Fußball ist Lebensfreude"Bild: Jannis Papadimitriou

David gegen Goliath

Rein sportlich gesehen sei die Rollenverteilung eindeutig, findet der fußballbegeisterte Grieche: Die Deutschen seien Goliath, die Griechen David, aber auch David hat durchaus Chancen gegen den Favoriten. "Ich wünsche mir, dass Griechenland gewinnt, aber logisch betrachtet wissen wir doch, dass Deutschland die bessere Mannschaft hat", sagt Pavlou. Die Deutschen seien besser als die Russen, da brauche man gar nicht drumherum reden. Er sehe nur eine Chance für Griechenland: tapfer verteidigen, sich nicht aus der Fassung bringen lassen, möglichst in die Verlängerung gehen.

Wie in Deutschland lassen sich auch in Griechenland immer mehr Frauen für Fußball begeistern. Maria Konstantinou hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und betreibt einen Fußball-Lottoladen im Athener Stadtviertel Maroussi, unweit vom Olympiastadion. Am Freitagabend werde sie auf jeden Fall vor dem Fernseher mitfiebern, erzählt Konstantinou. "Klar gewinnen wir gegen Deutschland und stehen am Mittwoch im Halbfinale. Alle, die hierher kommen, wetten doch auf einen Sieg der griechischen Nationalmannschaft", sagt die herzlich lachende Frau.

Maria Konstantinou Betreiberin eines Fußball-Lottoladens im Athener Stadtviertel Maroussi, unweit vom Olympiastadion (Foto: Jannis Papadimitriou)
Maria Konstantinou: "Alle wetten auf Sieg der griechischen Mannschaft"Bild: Jannis Papadimitriou

Bekannte Gesichter auf beiden Seiten

Zu den Merkwürdigkeiten dieses Spiels gehört auch, dass neun griechische Fußballspieler schon in der Bundesliga gespielt haben oder heute noch tätig sind - wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Allein schon aus diesem Grund hätten die beiden Mannschaften voreinander nichts zu verbergen, glaubt Fußball-Experte Dimitris Kanellos. "Beide Teams spielen mit offenen Karten", sagt der Athener Sportredakteur. Die Griechen wüssten, dass die Deutschen zu den Favoriten für den EM-Titel gehören und die Deutschen würden erwarten, dass der Gegner auf Abwehrarbeit setzt. Deutschland müsste die griechische Mauer knacken, um den Sieg heimzufahren. Und die Griechen hätten ja nichts zu verlieren, sagt Kanellos abschließend auf Deutsch.

Dass die Kicker aus Hellas bei dieser EM keine hohen Ambitionen pflegen, zeigt sich an der Terminplanung des Nationalspielers Jannis Maniatis: Eigentlich hatte der Rechtsverteidiger von Olympiakos Piräus seine Hochzeit für den 1. Juli geplant, den Vorabend des EM-Finales. Die nach Polen mitgereisten Journalisten wollten wissen, ob es zu Terminproblemen käme, falls die griechische Auswahl das Spiel gegen Deutschland gewinnt. Das Wort ergriff ungebeten der für seine Bartwuchsdichte berühmte Mitspieler Grigoris Makos. "Kein Problem", erklärte er auf der Pressekonferenz. "Die Braut kommt hierher und ich werde die beiden trauen, einen Vollbart habe ich schon", sagte Makos in Anspielung auf das typische Erscheinungsbild orthodoxer Priester.

Drei Fußballspieler auf dem Feld, zwei Griechen, ein Tscheche (Foto:Antonio Calanni/AP/dapd)
Steht Jannis Maniatis (l.) am 1. Juli im Finale oder vor dem Traualtar?Bild: dapd