Sport im Konzentrationslager: Folter und Hoffnung
24. Januar 2025Gab es tatsächlich regelmäßige Sportaktivitäten in Konzentrationslagern?
Die Konzentrationslager der Nationalsozialisten waren Orte des Grauens und des Todes, der Folter und Demütigung der Häftlinge. Zu diesem Zweck wurden vom Wachpersonal auch regelmäßig sportliche Übungen eingesetzt.
"Die Aufseher haben befohlen, Liegestütze oder Bocksprünge zu machen, oder so lange zu laufen, bis die Häftlinge vor Erschöpfung zusammengebrochen sind", sagt Sporthistorikerin Veronika Springmann im Gespräch mit der DW. Sie ist Autorin des Buchs "Gunst und Gewalt - Sport in nationalsozialistischen Konzentrationslagern". Wer am Boden lag, sei von den Wärtern meist noch getreten und beschimpft worden. "Das wurde Tag für Tag wiederholt. Das war tatsächlich wie ein Alltagsritual."
Neben diesem gewaltsam erzwungenen Sport gab es aber auch sportliche Aktivitäten, die von einem Teil der Häftlinge mehr oder weniger selbstbestimmt durchgeführt wurden.
Welche Häftlinge nahmen an diesen selbstbestimmten Sportaktivitäten teil?
Die meisten der KZ-Häftlinge waren aufgrund der unmenschlichen Bedingungen im Lager, infolge harter Zwangsarbeit oder als Opfer medizinischer Experimente nicht in der Lage, Sport im Sinne einer Freizeitaktivität auszuüben. Geschweige denn, dass der Lageralltag dafür überhaupt Platz geboten hätte. Die Insassen waren in der Regel unterernährt, litten aufgrund der prekären hygienischen Bedingungen oft unter Flöhen, Läusen und Krätze oder an schwereren Krankheiten wie Tuberkulose oder Typhus.
Das System in den Lagern war zudem hierarchisch organisiert, die Häftlinge wurden in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe entschied zu einem großen Teil auch über die Haftbedingungen und damit die Überlebenschancen. So waren politische Häftlinge oder Berufsverbrecher meist bessergestellt als beispielsweise jüdische Insassen, Homosexuelle oder sogenannte "Asoziale".
Die Zugehörigkeit war durch farbige Stoffkennzeichen (Winkel) auf der Kleidung für jeden auf den ersten Blick erkennbar. Wer weiter oben in der Hierarchie war, wurde von den Wärtern weniger drangsaliert, bekam bessere Arbeit, eine bessere Unterbringung, wärmere Kleidung, Zugang zu mehr Lebensmitteln und war daher auch in besserer körperlicher Verfassung und in der Lage, Sport zu treiben. Insgesamt war der Anteil der Häftlinge, auf die das zutraf, aber gering.
Zu den besser gestellten Insassen gehörten auch die sogenannten Funktionshäftlinge. Sie wurden von den Wachmannschaften eingesetzt, um ihre Mitgefangenen zu beaufsichtigen und für Ordnung zu sorgen. Viele von ihnen wurden in ihrer privilegierten Rolle zu Mittätern, einige machten sie sich aber auch zunutze, um andere Häftlinge zu schützen.
Welche Sportarten wurden im KZ ausgeübt?
Innerhalb der Lagermauern wurden regelmäßig Fußballspiele und Boxkämpfe durchgeführt. Mit längerer Dauer des Zweiten Weltkriegs nahm die Anzahl der Fußballspiele zu, weil sich die Haftbedingungen nach 1942 für einige Häftlinge veränderten.
"Man brauchte die Arbeitskraft der Häftlinge in den Konzentrationslagern für die Rüstungsindustrie", erklärt Springmann. "Alle Rüstungsfirmen haben in Konzentrationslagern oder in den Außenlagern produzieren lassen. Dort wurden dann Anreize und Angebote geschaffen. Häftlinge, die besonders gut gearbeitet haben oder als Funktionshäftlinge eingesetzt waren, durften Fußballspiele organisieren."
Die Teams waren meistens nach Nationen zusammengestellt, hatten in der Regel aber weniger als elf Spieler. Die Häftlinge versuchten für diese Spiele sogar, Fußballtrikots zu organisieren. Im KZ Dachau bei München ist ein hölzerner Pokal erhalten und wird dort in der KZ-Gedenkstätte ausgestellt. Die Organisation der Spiele hatte für die Häftlinge auch etwas mit Hoffnung zu tun. "Planen ist immer in die Zukunft gerichtet. Das heißt, ich hoffe darauf, dass ich morgen, übermorgen, nächsten Sonntag noch am Leben bin", sagt Sporthistorikerin Springmann. "Das stärkt und gibt Hoffnung. Und Hoffnung ist eine wichtige Ressource für das Überleben."
Allerdings dürfe man dabei nie vergessen, dass nur ein sehr kleiner Anteil der Insassen an den Spielen teilnehmen konnte oder durfte. Zudem fanden sie in einer Umgebung statt, in der zeitgleich weiterhin gefoltert, gemordet und gestorben wurde.
Haben auch weibliche KZ-Häftlinge sportliche Aktivitäten organisiert und durchgeführt?
Während es von männlichen KZ-Häftlingen und -Überlebenden zahlreiche Quellen zu Sport im Konzentrationslager gibt, ist das bei weiblichen Insassen nicht der Fall. Möglicherweise, weil Sport für ihr Leben damals keine so große Rolle spielte oder weil ihnen andere Dinge im Lageralltag wichtiger waren.
"Frauen hatten damals sehr viel weniger die Möglichkeit, Sport zu machen als Männer", erklärt Springmann. "Sport als alltägliche Praxis war für Frauen zu dieser Zeit gar nicht vorgesehen. Ich würde aber davon ausgehen, dass beispielsweise im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück weibliche Häftlinge vielleicht ab und zu Gymnastik gemacht haben, aber sie haben nicht darüber geschrieben."
Hatten berühmte Sportler im KZ Vorteile?
Da Sportler damals in den Medien noch nicht so präsent waren wie heute, wurden sie von den KZ-Wächtern oftmals gar nicht als solche erkannt. Julius Hirsch war am Anfang des 20. Jahrhunderts einer der besten Fußballer Deutschlands, zweimal deutscher Meister und zwischen 1911 und 1913 Nationalspieler. Weil er Jude war, wurde er im März 1943 nach Auschwitz deportiert und starb auch dort. Es ist allerdings nicht überliefert, dass er dort als ehemaliger Fußball-Star identifiziert wurde oder gar selbst Fußball spielte.
Boxen war bei den Nationalsozialisten ein wichtiger und populärer Sport. Von einigen Boxern weiß man, dass sie im Lager erkannt wurden oder sich meldeten, als die KZ-Wachen unter den Häftlingen nach talentierten Kämpfern für Boxkämpfe suchten, die sie zu ihrer Unterhaltung veranstalteten. Das traf zum Beispiel auf den Polen Antoni Czortek und den Tunesier Victor Perez zu. Czortek hatte 1936 noch bei den Olympischen Spielen in Berlin geboxt. Perez war von 1931 bis 1932 Weltmeister im Fliegengewicht.
Beide kamen 1943 als jüdische Häftlinge nach Auschwitz und mussten dort immer wieder zu Boxkämpfen gegen andere Häftlinge antreten. Teilweise ging es dabei buchstäblich um Leben und Tod. Während der Sieger ein Brot oder Kleidungsstück als Preis bekam, wurde der Verlierer direkt erschossen oder in die Gaskammer geschickt und dort ermordet.
Auf makabre Weise rettete das Boxen Czortek, Perez und einigen anderen im Lager so ihr Überleben. Czortek starb erst 2003 im Alter von 89 Jahren. Perez überlebte zwar Auschwitz, aber nicht den Holocaust. Er wurde im Januar 1945 auf einem der Todesmärsche erschossen, auf denen in den letzten Kriegsmonaten KZ-Häftlinge aus Lagern, die nahe der heranrückenden Front lagen, in andere Lager getrieben wurden.
Johann "Rukeli" Trollmann brachten seine Boxkünste keinen Vorteil im KZ. Der ehemalige deutsche Meister im Mittelgewicht war Sinto und ab 1942 im KZ Neuengamme bei Hamburg inhaftiert. Weil seine Vergangenheit als herausragender Boxer bekannt war, wurde er besonders häufig und grausam von den Wächtern verprügelt.
Trollmann starb 1944 im KZ-Nebenlager Wittenberge. Nachdem er gegen einen der Aufseher (Kapo) hatte boxen müssen und diesen besiegt hatte, wurde er wenig später bei einem Arbeitseinsatz vom selben Kapo hinterrücks erschlagen.