Soll die fossile Energieindustrie für Klimaschäden zahlen?
19. November 2024Durch den Anstieg von CO2 in der Atmosphäre heizt sich unser Klima auf. Das stammt zu fast 90 Prozent aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas. Darum fordern Umweltschützer und Experten, dass fossile Unternehmen Verantwortung übernehmen und Entschädigungen für ihre Verantwortung an der Klimakrise zahlen sollen.
"Rund 70 Prozent der weltweiten Emissionen gehen auf etwa 100 große fossile Brennstoffunternehmen zurück", sagt Marco Grasso, Professor für politische Geographie an der Universität Mailand-Bicocca, der auch über Klimagerechtigkeit schreibt.
Grasso verfasste mit Kollegen 2023 eine bahnbrechende Studie dazu. Sie rechneten aus, dass 21 Öl-, Kohle- und Gaskonzerne, darunter Saudi Aramco, ExxonMobil, Shell und BP, zwischen 2025 und 2050 gemeinsam 209 Milliarden Dollar (193 Milliarden Euro) an Reparationszahlungen pro Jahr aufbringen müssten. Grundlage für die Berechnung sind die historischen Emissionen der von den Firmen geförderten Brennstoffe.
Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie hätten eine "moralische Verantwortung" für Klimaschäden aufzukommen, so Grasso, da sie seit langem "um den Zusammenhang zwischen der Verbrennung ihrer Produkte und den Auswirkungen auf das Klimasystem wissen".
Dennoch hätten einige Unternehmen ihr Verhalten "in keiner Weise" geändert und stattdessen Klimaleugnungs- und Desinformationskampagnen "finanziert und orchestriert".
Ein im April veröffentlichter Bericht des US-Kongresses mit dem Titel "Denial, Disinformation, and Doublespeak: Big Oil's Evolving Efforts to Avoid Accountability for Climate Change" (Leugnen, Desinformation und Doppelzüngigkeit: Die Bemühungen von Big Oil, sich der Verantwortung für den Klimawandel zu entziehen), kommt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung: "Die Unternehmen für fossile Brennstoffe bestreiten nicht, dass sie seit mehr als 60 Jahren wissen, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe den Klimawandel verursacht - und haben dennoch jahrzehntelang daran gearbeitet, das öffentliche Verständnis zu untergraben und die zugrunde liegende Wissenschaft zu leugnen."
Umweltverschmutzer zur Kasse bitten
Es gibt eine lauter werdende Debatte über mögliche rechtliche oder regulatorische Mechanismen, mit denen Öl-, Gas- und Kohlekonzerne gezwungen werden könnten, sich an der Finanzierung der Folgeschäden zu beteiligen.
Bei den Rekordüberschwemmungen in Pakistan im Jahr 2022 beispielsweise, die nach Angaben der World Weather Attribution (WWA) wahrscheinlich durch den Klimawandel verschlimmert wurden, kamen mindestens 1700 Menschen ums Leben. Hinzu kamen Schäden und wirtschaftliche Verluste in Höhe von rund 30 Milliarden US-Dollar. Die WWA ist eine Initiative internationaler Wissenschaftler, sie untersuchen den Einfluss der Erderwärmung auf Extremwetter.
In neueren Studien haben Wissenschaftler und Regierungsvertreter eine Klimaschadenssteuer auf die Öl- und Gasproduktion in den größten Volkswirtschaften der Welt vorgeschlagen. Die Steuer wäre eine Abgabe von fünf Dollar pro Tonne CO2, die Kohle-, Öl- und Gasunternehmen bei der Förderung fossiler Brennstoffe zu entrichten hätten.
Ziel ist es, bis zum Jahr 2030 insgesamt 720 Milliarden Dollar zur Unterstützung klimagefährdeter Gemeinschaften zu generieren. Das Geld soll in den Verlust- und Schadensfonds fließen. Letztes Jahr wurde dieser auf der UN-Klimakonferenz in Dubai eingerichtet, um Ländern nach Klimakatastrophen zu helfen.
Bereits eine "kleine Steuer" für sieben der weltgrößten Fossil-Konzerne würde die Mittel im Fonds für Schäden und Verluste verzwanzigfachen, so eine neue Analyse der Umweltorganisation Greenpeace. Die Organisation fordert eine langfristige Steuer auf die Öl- und Gasförderung, die im Laufe der Zeit steigen soll, ebenso wie Steuern auf Übergewinne.
Die Analyse untersuchte die Schadenshöhe verschiedener Extremwetterereignisse, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind. Alleine eine Steuer auf das von Shell im Jahr 2023 geförderte Öl "könnte beispielsweise einen Großteil der Schäden durch den Taifun Carina abdecken". Der Taifun traf im Juli 2024 die Philippinen, China, Taiwan und Nordkorea und verursachte Schäden in Höhe von 2,49 Milliarden Dollar.
Bislang leisten die großen Ölkonzerne nur "einen sehr geringen Beitrag" zu den bestehenden Klimafonds, die überwiegend aus öffentlichen oder staatliche Mittel finanziert werden, sagt Carl-Friedrich Schleussner.
Schleussner ist wissenschaftlicher Berater der Berliner Denkfabrik Climate Analytics und verfasste mit Kollegen 2023 eine Studie zu den Gewinnen und Klimaschäden von 25 großen Öl- und Gaskonzernen. Zwischen 1985 und 2018 verdienten diese demnach 30 Billionen Dollar. Zugleich verursachten die von ihnen geförderten Brennstoffe jedoch Klimaschäden in Höhe von rund 20 Billionen Dollar durch den Verlust von Häusern, zerstörter Infrastruktur und verringerter Artenvielfalt.
Die Autoren argumentieren, dass die fossilen Konzerne es sich leisten könnten, diesen Betrag als Entschädigung zu zahlen und trotzdem einen Gewinn von 10 Billionen Dollar verbuchen.
"Sie haben das Geld", sagt Schleussner. Er fügt hinzu, dass die Rekordgewinne aus fossilen Brennstoffen, die nach der russischen Invasion in die Ukraine im Jahr 2022 erzielt wurden, wieder in Projekte für fossile Brennstoffe reinvestiert werden.
Einige Experten sind der Meinung, dass die Abschaffung der staatlichen Subventionen für fossile Brennstoffe eine bessere Umverteilung der Gewinne der großen Konzerne bewirken würde, um für die Klimaschäden aufzukommen.
Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) beliefen sich die weltweiten Subventionen für fossile Brennstoffe im Jahr 2022 auf sieben Billionen Dollar, was 7,1 Prozent des BIP entspricht. Dies ist ein Anstieg von zwei Billionen Dollar gegenüber 2020. Der Grund für die höhere Subvention von fossilen Brennstoffen liegt an gestiegenen Preisen für Öl-, Gas und Kohle durch den russischen Überfall auf die Ukraine.
Der Abbau solcher Subventionen und ihre Umleitung in Fonds für Verluste und Schäden wäre wirksamer als Gesetze, die große Ölkonzerne zur Zahlung von Entschädigungen zwingen, sagt Grasso.
Ölkonzerne schweigen zu Klimaentschädigungen
Die DW hat die beiden großen Mineralölkonzerne Shell und BP um eine Stellungnahme gebeten, ob sie bereit wären für die Klimaschäden zu zahlen, die durch die Verbrennung von Öl und Gas entstehen.
"Wir sind uns einig, dass die Welt dringende Klimamaßnahmen braucht", erklärt das niederländische Unternehmen Shell in seiner Stellungnahme.
"Shell spielt eine wichtige Rolle bei der Energiewende, indem es die heute benötigte Energie liefert und gleichzeitig dazu beiträgt, das kohlenstoffarme Energiesystem der Zukunft aufzubauen", heißt es in der Erklärung weiter.
Das Unternehmen gibt an, zwischen 2023 und 2025 zehn bis 15 Milliarden Dollar in "kohlenstoffarme Energielösungen" zu investieren. Dabei sieht Shell das Flüssiggas (LNG) als "kritischen Brennstoff", der notwendig für die Energiewende sei.
Laut der Umweltorganisation Global Witness hat Shell im Jahr 2021 nur rund 1,5 Prozent seiner Gesamtausgaben in erneuerbare Energien wie Wind- und Solarkraft investiert. Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels reagierte Shell nicht auf die DW-Nachfrage zu dieser Zahl.
Das britische Unternehmen BP lehnte eine Stellungnahme ab und äußerte sich nicht zu seiner Bereitschaft für Klimaschäden zu zahlen.
Der neue Klimafonds könnte "weit hinter den Erwartungen zurückbleiben"
In diesem Sommer stimmte der US-Bundesstaat Vermont dafür, Öl- und Gasunternehmen zu zwingen, Entschädigungen für ihre historischen Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase zu zahlen.
Einen Monat später initiierte Aserbaidschan, Gastgeber der Klimakonferenz, einen Aktionsfonds für die Klimafinanzierung in das große Ölunternehmen potentiell jährliche Beiträge zahlen.
"Dies wird der erste Fonds sein, an dem sowohl Länder, die fossile Brennstoffe produzieren, als auch Unternehmen aus den Bereichen Öl, Gas und Kohle beteiligt sind", erklärte der Chefunterhändler der COP29, Yalchin Rafiyev. Der Fonds wird Maßnahmen zur Eindämmung und Anpassung an den Klimawandel finanzieren und die Folgen klimabedingter Naturkatastrophen bekämpfen, fügt er hinzu.
Doch die Initiative, die auf freiwilligen Beiträgen beruht, sagt wenig darüber, wie die fossilen Brennstoffunternehmen davon überzeugt werden sollen, in den Fonds einzuzahlen. Und die Größenordnung sei "weit unterdurchschnittlich", kritisiert Schleussner.
Rafiyev räumte bei einem Vorbereitungstreffen zur Klimakonferenz ein, dass der Fonds realistischerweise nur "Hunderte von Milliarden" zur Bekämpfung der Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels aufbringen werde, obwohl jährlich Billionen von Dollar benötigt würden.
Um die notwendigen Mittel zur Bezahlung der Klimaschäden aufzubringen, fordern UN-Generalsekretär António Guterres und andere eine Sondersteuer auf die Gewinne der Ölkonzerne.
Die internationale Nichtregierungsorganisation Actionaid rechnete aus, dass 36 Unternehmen, darunter 14 Großkonzerne für Öl, Gas und Kohle in den zwei Jahren bis Juni 2023 zusätzlich zu ihren normalen Gewinnen noch 424 Milliarden US-Dollar (383 Milliarden Euro) an unerwarteten Gewinnen erzielt haben.
Eine Steuer von 90 Prozent auf diese unerwarteten Gewinne würde fast 382 Milliarden US-Dollar einbringen. Das wäre dem Bericht zufolge fast 20 mal mehr als das, was 2021 weltweit für die Anpassung an den Klimawandel ausgegeben wurde.
Ein Zwang zur Zahlung von Klimareparationen - auch über eine neue Steuer - könnte laut Schleussner die Ölindustrie davon abhalten in neue Öl- und Gasförderung zu investieren, die Klimaschäden weiter verstärken. "Wenn sie zahlen, könnte das die Gleichung ändern", sagt er.
Adaption aus dem Englischen: Gero Rueter
Redaktion: Tamsin Walker