Sofia - das Silicon Valley der Frauen
16. Mai 2018Ein Büro haben sie noch nicht - dafür dienen ihnen die Parkbänke in Sofia als Tische und Stühle. Angela Ivanova und Gergana Stancheva haben vor einem Jahr das Start-up Lam'on gegründet. Sie entwickeln eine umweltfreundliche und kompostierbare Laminierung für Papier, das auf Biopolymer basiert. "Unser Produkt wird von den gleichen Maschinen wie für reguläre Laminierfolien verwendet. Der Kunde merkt den Unterschied praktisch nicht. Die derzeit verwendeten Laminierfolien bestehen allerdings aus Polyethylen, was giftig für Umwelt und Mensch ist."
Über 80 Prozent der Start-ups entwickeln Produkte und Dienstleistungen in Bulgarien, die sie auf dem internationalen Markt platzieren. Auch Gergana Stancheva und Angela Ivanova wollen ihr Produkt in Bulgarien produzieren lassen, die Umgebung für Start-ups sei sehr wohlwollend. Doch als Absatzmarkt haben sie zunächst einmal Deutschland vor Augen. "Bulgarien hinkt in puncto Umweltschutz hinterher. Es gibt keine Politik dafür. Die meisten Menschen denken nicht daran, wie sie die Umwelt schützen können. Aber wir merken so langsam ein Umdenken bei den Menschen um uns herum." Zuerst hoffen sie, auf dem deutschen Markt Fuß fassen zu können, bevor sie es auf dem bulgarischen versuchen.
Frauen in Technologieberufen
Wenn man den Statistiken Glauben schenkt, dann stehen die Chancen dafür auch sehr gut: "Durch Frauen geführte Unternehmen erzielen 63 Prozent positivere Ergebnisse, als Unternehmen, die von Männern geführt werden", so die bulgarische EU-Kommissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Mariya Gabriel, im DW-Interview. Gabriel will sich aktiv für die Förderung von Mädchen und Frauen in der Technologiebranche einsetzt.
Im Informations- und Kommunikationstechnologiesektor ist Bulgarien in Europa führend, was den Anteil der Frauen angeht. So sind knapp 26,6 Prozent weiblich. Weit vor Deutschland, das einen Frauenanteil von 16,6 Prozent hat. "Der IT-Sektor entwickelte sich in Bulgarien in den 60er Jahren, es gab viele Unternehmen für Elektronik und Software, in denen Frauen und Männer gearbeitet haben", sagt Sasha Bezuhanova, Gründerin des bulgarischen Zentrums "Frauen in der Technologie". Aufgrund dieser Tradition und der Vorbilder für Frauen in Ingenieurberufen und der Wissenschaft, treten in Bulgarien die Mädchen von heute in die Fußstapfen ihrer Mütter. "Das ist einer der Gründe, wieso der Anteil der Frauen in diesen Berufen so hoch ist", so Bezuhanova.
Stereotype brechen
Sie ist seit über 20 Jahren in der IT-Branche in Bulgarien aktiv und Vorbild für viele Frauen. Doch so vorbildlich die Lage in Bulgarien auch sei, sagt sie, "können wir uns nicht auf diesen Ergebnissen ausruhen. In Europa gibt es einen Mangel an 350.000 Ingenieuren, 2020 werden 500.000 Tech-Spezialisten fehlen. Dieses Problem lässt sich am einfachsten und schnellsten lösen, wenn gebildete Frauen aktiv beteiligt werden - wenn sie Hand in Hand mit Männern ohne Vorurteile und abgesteckten Territorien, die leider immer noch existieren, arbeiten."
Anna Radulovski, Mitte 20, spricht auf Konferenzen über Diversität im Technologiesektor, gerade ist sie aus Luxemburg zurückgekommen. "Es gibt Stereotype, die bereits in der Kindheit beginnen - zum Beispiel mit den Spielsachen, die die Kinder bekommen. Die Mädchen kriegen rosa Puppen, die Jungs Lego und Autos." Ohne es zu merken, vererbe man Stereotype, es handele sich dabei um ein sogenannten Priming, das die zukünftige berufliche Richtung vorgibt.
Vor einem Jahr hat sie "Coding Girls" gegründet - und seitdem hat sie viel zu tun. Sie organisiert Workshops rund ums Programmieren. Die Lehrer sind weiblich wie männlich. Genauso wie die Teilnehmer, doch Vorrang haben Mädchen. "Der Andrang ist groß. Als wir den ersten Kurs organisiert haben, haben sich so viele gemeldet, dass wir zwei Kurse daraus machen mussten."