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So beeinflusst Sex die Leistung im Sport

28. Juni 2024

Sex ist zwar gesund - kann aber auch anstrengend sein. Deshalb galt unter Sportlern lange: vor dem Wettkampf lieber enthaltsam bleiben und auf den Bett-Sport verzichten. Ist das tatsächlich sinnvoll? Nein!

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Jogger am Morgen
Euphorie, weniger Angst und Schmerz und innere Ruhe - das sogenannte Runners High könnte auch beim Sex eine Rolle spielenBild: Florian Gaul/greatif/picture alliance

Kein Sex vor dem sportlichen Wettkampf! Diese Devise galt lange im Profisport. Die Annahme: Die durch die sexuelle Enthaltsamkeit angestaute Energie und Aggression entlädt sich beim Sport und die Chancen auf den ersten Platz steigen.

Sportlern - wie beispielsweise den Spielern der Europameisterschaft - nun jede sexuelle Aktivität zu verbieten, ergibt allerdings keinen Sinn. Denn Sex hat extrem positive Wirkungen auf Körper und Psyche und kann die sportlichen Leistungen durchaus steigern.

Was passiert beim Sex im Körper?

Sex bringt das Herz-Kreislaufsystem in Schwung, regt die Durchblutung an, wirkt stress- und schmerzlindernd und ist eine wunderbare Einschlafhilfe. An all diesen physischen und psychischen Vorgängen ist eine Vielzahl von Hormonen beteiligt.

Wie das genau funktioniert, erforscht Michael Siebers. Er ist Assistenzarzt für Psychiatrie und Psychotherapie und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Forensische Psychiatrie und Sexualforschung Essen. 

In den 1960er Jahren entwickelte das US-amerikanische Forscherpaar William Masters und Virginia Johnson ein Vier-Stufen-Modell der sexuellen Reaktion, das auch in der aktuellen Forschung noch angewendet wird:

  • Erregungsphase
  • Plateauphase 
  • Orgasmus
  • Rückbildungsphase

Jede dieser Phasen ist durch die Dominanz bestimmter Hormone gekennzeichnet. In der Erregungsphase lasse Adrenalin den Blutdruck steigen, so Siebers. Dopamin sorge für Vorfreude und Euphorie und Testosteron und Östrogen für die Lust auf Sex.

In der sogenannten Plateauphase komme Oxytocin ins Spiel, während die Adrenalin- und Dopaminspiegel kaum weiter steigen, sagt Siebers. "Oxytozin ist das Kuschelhormon. Es sorgt für Nähe und Bindung." In der Orgasmusphase erreiche das Oxytocinlevel seinen Höhepunkt.

Nach dem Orgasmus schließlich tritt das Prolaktin auf die Bühne. "Es ist unter anderem das Entspannungs- und Sättigungshormon, das uns signalisiert, dass wir jetzt keinen Sex mehr wollen", sagt Siebers. Prolaktin könnte im Sport eventuell zum Problem werden.

Das passiert beim Sex im Körper

Ist Sex vor dem Sport schlecht?

"Das Prolaktinlevel ist bis zu eine Stunde nach dem Sex erhöht", sagt Siebers und verweist auf eine Studie, die die komplexe Wirkung des Prolaktins auf die menschliche Sexualität untersucht hat. Die beruhigende Wirkung des Hormons könnte im sportlichen Wettkampf durchaus hinderlich sein. Ein Orgasmus kurz vor dem Anpfiff oder Startschuss ist also vielleicht nicht die beste Idee.

Abgesehen davon gebe es aber keinen Grund, weshalb Sex beispielsweise in der Nacht vor einem Wettkampf problematisch sein sollte, meint Siebers. Einzelne Untersuchungen zum Einfluss von Sex auf die sportlichen Leistungen kommen zwar zu dem Ergebnis, dass Sex die Beinmuskeln schwächt und die Sportler dadurch langsamer sind.

In der aktuellsten Metaanalyse zum Thema Sport und Sex aus dem Jahr 2022, in der die Ergebnisse vieler Einzelstudien ausgewertet wurden, heißt es allerdings: Sex hat keine negativen Wirkungen auf die Leistungsfähigkeit von Athleten. Im Gegenteil. Michael Siebers vermutet, dass Sex sogar für bessere sportliche Leistungen sorgen könnte. 

Ist Sex leistungsfördernd?

"Sex ist eine körperliche Aktivität und kann deshalb natürlich die körperliche Fitness steigern", sagt Siebers. Und auch die Wirkungen auf die Psyche seien immens. Hier haben Sport und Sex möglicherweise etwas entscheidendes gemeinsam: das High-Gefühl.

Dazu forscht Michael Siebers - genauer: zum sogenannten "Runners High". "Das Runners High ist ein Gefühl während des Ausdauersports, das einhergeht mit Euphorie, weniger Angst, weniger Schmerzen und Beruhigung. Das Gedankenkreisen hört also auf", sagt Siebers. 

"Auslöser für dieses High-Gefühl sind wahrscheinlich die sogenannten Endocannabinoide", sagt Siebers. Das sind Cannabis-ähnliche Substanzen, die der Körper selbst produziert. Sie sind Teil des körpereigenen Cannabinoid-Systems, das wiederum ein Teil des Nervensystems ist. Es spielt unter anderem eine Rolle bei Lern- und Bewegungsprozessen.

Siebers geht davon aus, dass dieses Cannabinoid-System nicht nur beim Laufen, sondern auch beim Sex aktiviert wird. Weitere Studien sollen Klarheit bringen.

"Endocannabinoide, Oxytozin und Prolaktin wirken alle beruhigend und stressreduzierend auf den Körper. Das wiederum ist gut für die Gesundheit", sagt Siebers. Die Schlafqualität nehme zudem ebenfalls deutlich zu. Und ausreichend guter Schlaf ist gerade für Sportler besonders wichtig. Schmerzen und Angst nehmen ab, die Euphorie zu.

Nach bisherigen Erkenntnissen spricht also wenig gegen Sex - auch nicht vor dem Wettkampf.

Quellen:

The influence of sexual activity on athletic performance: a systematic review and meta-analyses (2022), Nature https://www.nature.com/articles/s41598-022-19882-2

Prolaktin und Sexualität (2017), Gynäkologische Endokrinologie https://link.springer.com/article/10.1007/s10304-017-0147-x 

 

Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.