Showdown am Templiner See
17. Oktober 2017Es ist ein offener Machtkampf, den sich die Linke am Dienstag bis in die späten Abendstunden auf ihrer Fraktionsklausur in Potsdam liefert: "Parteispitze gegen Fraktionsspitze" heißt der inoffizielle Titel des Stücks, das in der Landeshauptstadt Brandenburgs südwestlich von Berlin gegeben wird. Es endet mit der Wiederwahl der seit 2015 amtierenden Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht (75 Prozent) und Dietmar Bartsch (80 Prozent). Es hätte aber auch mit einem großen Knall enden können, denn vorher war von "Intrigen" die Rede und einem "penetranten Kleinkrieg".
Diese Worte stammen aus einem Brief, den Wagenknecht kurz vor der Klausur am idyllischen Templiner See an die Fraktion verschickte. Darin stellte sie ihren Verzicht auf den Fraktionsvorsitz in Aussicht, wenn sich die seit 2012 amtierenden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger mit ihren Vorstellungen durchsetzen sollten. Die beiden, ebenfalls Abgeordnete im Bundestag, reklamierten für sich mehr Mitspracherechte im Parlament - und das im Sinne des Wortes.
Im Kern ging es um die Frage, wer im Bundestag wann worüber reden darf. Üblicherweise ist es das Privileg der Fraktionsvorsitzenden, bei wichtigen Themen und Anlässen als erste das Wort zu ergreifen. Dazu zählt beispielsweise die Erwiderung auf eine Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel oder die sogenannte Generaldebatte, wenn es um die Grundlinien der deutschen Politik im In- und Ausland geht.
Wer darf Angela Merkel Paroli bieten?
Als die Linke in der vergangenen Legislaturperiode Oppositionsführerin war, füllten Wagenknecht und Bartsch diese Rolle aus. Im neu gewählten Bundestag, der sich am 24. Oktober konstituieren wird, wollten ihnen Kipping und Riexinger das erste Zugriffsrecht streitig machen. Und das scheint ihnen nach dem Showdown in einem Hotel am idyllischen Templiner See auch gelungen zu sein. Denn nach rund neun Stunden Debatte in großer Runde mit allen Abgeordneten und einer Aussprache zu viert einigten sich die zerstrittenen Lager auf einen Kompromiss. Demnach bekommen die beiden Parteichefs ein erweitertes Rederecht.
Damit sicherte sich das Duo Kipping/Riexinger zumindest theoretisch einen größeren Einfluss bei wichtigen Bundestagsdebatten. Praktisch werden die beiden allerdings auf die Zustimmung der Fraktion angewiesen sein. Denn die Abgeordneten stimmen letztlich darüber ab, wer zu welchem Thema reden soll. Dass die frisch im Amt bestätigten Fraktionsvorsitzenden Wagenknecht und Bartsch im neuen Bundestag weniger zu Wort kommen werden als bislang, ist damit aber sicher.
Mehr Fraktionen = weniger Redezeit
Das liegt auch daran, weil sich die Linke die gesamte Redezeit im Bundestag mit fünf statt bisher drei anderen Fraktionen teilen muss. Keine guten Aussichten für Wagenknecht und Bartsch, die den Machtkampf nur teilweise gewonnen haben. Denn die ohnehin knapper werdende Redezeit auf der wichtigen Bühne namens Bundestag müssen sie sich demnächst mit ihren innerparteilichen Rivalen Kipping und Riexinger teilen.
Nach dem erbittert geführten Duell zwischen Partei- und Fraktionsspitze geht die Linke angeschlagen in den neuen Bundestag. Dort wird sie die zweitkleinste unter sechs Fraktionen sein. Zwar hat sie sich bei der Bundestagswahl am 24. September um 0,6 Prozentpunkte auf 9,2 Prozent verbessert. Aber ihren Status als dritte Kraft und Oppositionsführerin hat die 2007 gegründete Partei verloren. Sollte es zu einer Jamaika-Koalition zwischen Konservativen (CDU/CSU), Freien Demokraten (FDP) und Grünen kommen, wäre die Linke künftig kleinste Oppositionsfraktion.
Zwischen SPD und AfD bleibt wenig Platz für die Linke
Schon am Wahlabend reklamierte sie für sich die Rolle der "sozialen Opposition". Den gleichen Anspruch erhebt aber auch die SPD. Wie sich die Linke zwischen ihr und der rechtspopulistischen AfD (Alternative für Deutschland) positionieren will, darum sollte es auf der Klausur in Potsdam auch gegen. Doch für inhaltliche Fragen war am ersten Tag wegen des Führungsstreits überhaupt keine Zeit.
Dabei gibt es neben Personalfragen auch programmatische Streitpunkte. So werfen Wagenknechts Kritiker der wiedergewählten Fraktionschefin schon länger vor, mit Kritik an Angela Merkels Flüchtlingspolitik auf Stimmenfang am rechten Rand zu gehen. Aus Wahlanalysen geht hervor, dass die Linke im Osten Deutschlands ihren Status als Protest- und Kümmerpartei an die AfD verloren hat. Und im Westen stagniert die Partei - abgesehen von Großstädten - fast flächendeckend. Erst am vergangenen Sonntag verpasste sie bei der Landtagswahl in Niedersachsen mit 4,6 Prozent erneut den Sprung ins Parlament.