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Sheriff Tiraspol: Der Verein ohne Land

Matt Ford
29. September 2021

Mit dem Sieg bei Real Madrid schafft Sheriff Tiraspol aus Moldawiens Region Transnistrien den perfekten Start in seine erste Champions-League-Saison. Der Klubname weist auf eine düstere, aber erfolgreiche Historie hin.

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Spanien Fußball Champions League Sheriff Real Madrid
Abpfiff in Madrid und große Freude: "David" Sheriff Tiraspol hat "Goliath" Real Madrid besiegtBild: Jose Breton/AP Photo/picture alliance

Ein solches Tor schießt man wohl nur einmal oder zumindest ganz selten in seiner Karriere: Mit einem schulmäßigen Dropkick von der Strafraumgrenze, der wie an der Schnur gezogen ins linke obere Toreck einschlug, versetzte der Luxemburger Sebastien Thill dem Favoriten Real Madrid kurz vor Spielende den "Todesstoß". Der völlig überraschende 2:1-Auswärtserfolg des krassen Außenseiters im Champions-League-Gruppenspiel war bereits Sheriffs zweiter Sieg im zweiten Spiel der Königsklasse. Das erste hatte Tiraspol mit 2:0 gegen Schachtar Donezk aus der Ukraine gewonnen.

Technisch gesehen ist Sheriff Tiraspol der allererste Vertreter der Republik Moldau in der Champions League. Doch während die UEFA und die internationale Gemeinschaft die Stadt Tiraspol offiziell als moldawisch betrachten, würden die meisten Einwohner Tiraspols darauf bestehen, dass sie in der Hauptstadt Transnistriens leben. In der Euphorie nach dem Sieg in Madrid rückte diese Diskussion allerdings in den Hintergrund. Egal ob aus Moldawien oder Transnistrien - Sheriff war ganz offiziell im Traumland.

"Eine große Leistung"

Transnistrien ist ein schmaler Landstrich, der sich von Norden nach Süden über 400 Kilometer zwischen dem Fluss Dniester und der östlichen Grenze Moldaus zur Ukraine erstreckt. Es handelt sich um einen selbsternannten und international nicht anerkannten abtrünnigen Staat mit mehr als 450.000 Einwohnern. Seit der Erklärung seiner Unabhängigkeit von der Republik Moldau nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990 und einem kurzen, blutigen Krieg 1992 führt Transnistrien nach anhaltendem Waffenstillstand eine isolierte Existenz - mit eigener Regierung, Flagge, Militär, Währung und Postdienst. Und jetzt hat die Region mit Sheriff Tiraspol sogar eine eigene Champions-League-Mannschaft.

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Sheriff Tiraspol gegen Tottenham Hotspur in der Europa League 2013Bild: AFP via Getty Images

"Ich hätte nie geglaubt, dass der moldawische Fußball jemals eine Mannschaft in der Gruppenphase der Champions League haben würde", sagte Gavril Balint, Europapokalsieger mit Steaua Bukarest 1986 und Trainer von Sheriff Tiraspol in der Saison 2002/03, der DW vor dem Beginn der Champions-League-Saison. "Aber sie haben sich in vier sehr harten Qualifikationsspielen bewährt. Das ist eine große Leistung."

Das mächtige Unternehmen "Sheriff"

Ein Erfolg nicht nur für die Spieler und den derzeitigen Trainer Yuriy Vernydub, der selbst aus der benachbarten Ukraine stammt, sondern - wie alles, was in Transnistrien geschieht - auch ein Erfolg für das zwielichtige Unternehmen "Sheriff", das in fast allen Lebensbereichen der Region zu finden ist. Dem Unternehmen gehören Supermärkte, Tankstellen, Bauunternehmen, Hotels, ein Mobilfunknetz, Bäckereien, eine Brennerei sowie Fernseh- und Radiosender. Und es unterhält enge Verbindungen zur regierenden Partei Obnovlenie ("Erneuerung"), die seit 2005 die Mehrheit im Obersten Rat von Transnistrien hat.

"Sheriff ist eine zentrale Institution im Land", erklärt Sabine von Löwis vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin. Sie hat in Transnistrien geforscht. "Die finanzieren nicht nur diesen Fußballverein. Das ist eine Unternehmensholding, eine Unternehmensgruppe, die das Land wirtschaftlich und politisch kontrolliert."

Gefahr des Sportswashings

Tatsächlich exportieren transnistrische Unternehmen wie der Textilhersteller Tirotex und die Brennerei Kvint sowohl in die Europäische Union als auch nach Russland. Sie profitieren dabei von einem Assoziierungsabkommen zwischen Moldawien und der EU, das seit 2016 besteht. Andere Unternehmen sind jedoch weniger seriös. Und da die Republik Moldau ihre eigene Ostgrenze nicht kontrollieren kann, sind Schmuggel und Korruption weit verbreitet.

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Eine Lenin-Statue vor dem Parlamentsgebäude von Transnistrien in TiraspolBild: Getty Images/AFP/D. Mihailescu

Das US-Außenministerium führt in einem Bericht aus dem Jahr 2020 eine lange Liste von Menschenrechtsverletzungen in Transnistrien auf, darunter willkürliche Verhaftungen, Verschleppungen und Folter. Das sind Zustände, von der die Teilnahme des FC Sheriff an der Champions League möglicherweise ablenken könnte.

"Es gibt immer noch Menschenrechtsprobleme. Vielleicht erhöht sich die internationale Aufmerksamkeit durch die Teilnahme an der Champions League", sagte von Löwis von der ZOiS. "Es könnte auch eine Gelegenheit für Sheriff sein, sich von seiner besten, wohltätigen Seite zu zeigen, als Organisation, die den Sport fördert - gleichzeitig wird die ganze Politik und Wirtschaft von ihnen kontrolliert. Es gibt kaum Mitspracherecht. Das versuchen sie dann natürlich durch Sportswashing [Imagepolitur über den Sport - Anm. d. Red.] zu verstecken."

Mit weiteren Gruppenspielen gegen die europäischen Giganten Real Madrid und Inter Mailand hätte sich Sheriff keine bessere Plattform wünschen können, um sich der Welt zu präsentieren.

Eine Mannschaft mit Zukunft

Auf der UEFA-Website wird die einzigartige politische Situation in Transnistrien mit keinem Wort erwähnt. Vielmehr werden die Vorzüge von Sheriffs "multinationaler Mannschaft" gepriesen, zu der der griechische Torhüter Georgios Athanasiadis, die brasilianischen Außenverteidiger Cristiano und Fernando Constanza, der ghanaische Mittelfeldspieler Edmund Addo und der kolumbianische Stürmer und Kapitän Frank Castaneda gehören. Das ist ein großer Unterschied zu Gavril Balints Meistermannschaft in der Saison 2002/03, als die ausländischen Spieler allenfalls aus dem benachbarten Rumänien kamen.

"Es war immer der Traum des Besitzers, in der Champions League zu spielen. Aber rückblickend hätte sich die Mannschaft, die ich trainiert habe, nicht qualifizieren können", räumt Balint ein. "Es gab sogar die Idee, die Mannschaft in die Ukraine zu verlegen, um dort gegen stärkere Vereine anzutreten und bessere Spieler verpflichten zu können. Aber das hat sich nicht ergeben. Jetzt hat sich die Qualität des Teams verbessert. Sie haben Brasilianer, Portugiesen, viele Nationalspieler, viele lateinamerikanische Spieler mit guter Technik und unterschiedlichen Qualitäten gekauft."

Aus dem Englischen adaptiert von Melanie Last und am 29.09.2021 aktualisiert.