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Sexarbeitende bemängeln Prostitutionsschutzgesetz

Elliot Douglas
20. Oktober 2021

Vor fünf Jahren erließ die deutsche Regierung das Prostitutionsschutzgesetz. Ziel: Gefährdete Menschen schützen. Doch viele Sexarbeitende kritisieren, das Gesetz diskriminiere sie und erhöhe sogar die Risiken.

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Deutschland | Protest gegen Corona-Arbeitsverbot von Sexarbeiterinnen
Protest gegen Corona-Arbeitsverbot von Sexarbeiterinnen im August vergangenen JahresBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Seit fast zehn Jahren bietet die Berliner Prostituierte Olivia ihre Dienste an. Nach der Regulierung ihrer Branche gefragt, gibt sie sich pragmatisch: "Nicht umsonst heißt es, Prostitution sei der älteste Beruf der Welt", sagt sie und lächelt. "Die Menschen werden immer einen Weg finden, Sexarbeit auszuüben." Olivias Weg in die Prostitution war nicht geplant. Auf der Suche nach einem aufregenderen Leben zog sie aus einer Kleinstadt im Osten des Landes in die deutsche Hauptstadt. Sie arbeitete in Theatern und beim Tanz, verdiente aber nur wenig.

Auf Empfehlung eines Freundes begann sie sich zu prostituieren. Inzwischen ist Olivia Ende 20 und hat so ziemlich jede Art von Sexarbeit ausgeübt, die in Deutschland möglich ist: bei einem Luxus-Escortservice, als erotische Masseurin, in einem Bordell und als Selbstständige in ihrer eigenen Wohnung.

"Es gibt verschiedene Stufen", erklärt sie, "mit sehr unterschiedlichen Einkommen und Sicherheitsvorkehrungen." Wegen ihrer Arbeit hat sie sich Organisationen angeschlossen. Unter anderem dem "Black Sex Workers' Collective", einer in den USA gegründeten Initiative für People of Color. Sie ist auch Mitglied einer Sexarbeitergewerkschaft. Zugleich gehört Olivia zu den Hunderttausenden Prostituierten in Deutschland, die nicht registriert sind. Damit hat sie in den letzten fünf Jahren eine strafrechtliche Verfolgung riskiert, um weiter zu arbeiten.

Über 90 Prozent sind nicht registriert

Als Olivia mit Sexarbeit begann, galt noch das Prostitutionsgesetz von 2002. Es regelte formell die Sexarbeit und sollte Zugang zu Leistungen wie Gesundheitsversorgung und Arbeitslosenversicherung ermöglichen. Einige Politiker kritisierten das Gesetz allerdings als zu lasch. "Es gibt strengere Regeln für die Eröffnung eines Imbisses als für die Eröffnung eines Bordells in diesem Land", bemängelte die ehemalige Familienministerin Manuela Schwesig von der sozialdemokratischen SPD 2014 in der Wochenzeitung "Die Zeit". Ein Jahr später legte die Bundesregierung den Entwurf für ein neues Gesetz vor: Das verpflichtet alle Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, ihre Arbeit anzumelden. Verabschiedet wurde das Prostitutionsschutzgesetz vor fünf Jahren, am 21. Oktober 2016;  in Kraft trat es am 1. Juli 2017. 

Sexarbeit in Berlin | Olivia
Olivia, eine nicht registrierte Sexarbeiterin in Berlin, will anonym bleibenBild: Elliot Douglas

Seitdem müssen Prostituierte ihre Kontaktdaten und ihren richtigen Namen preisgeben und sich regelmäßig gesundheitlich untersuchen lassen. Diejenigen, die sich nicht registrieren lassen - manche aus Datenschutzgründen, andere, weil sie keine Adresse oder keinen legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland haben - verstoßen gegen das Gesetz und machen sich damit strafbar. Die Regelung schreibt auch vor, dass bei der Sexarbeit Kondome verwendet werden müssen. Sexarbeitsunternehmen und Bordellbetreiber müssen von den Behörden Genehmigungen einholen. 

Laut der letzten offiziellen Statistik aus dem Jahr 2019 sind in Deutschland etwa 40.000 Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter nach dem Prostitutionsschutzgesetz registriert. Inoffizielle Schätzungen gehen jedoch davon aus, dass ihre tatsächliche Zahl mehr als 400.000 beträgt. Sollte das stimmen, wären über 90 Prozent aller Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Deutschland unregistriert! Die überwiegende Mehrheit der legal registrierten Sexarbeiterinnen arbeitet in Bordellen. Im Umkehrschluss wird vermutet, dass die meisten der nicht registrierten Sexarbeiterinnen in privaten Wohnungen oder auf der Straße arbeiten.

Bedenken wegen Datenschutz

Das Prostitutionsschutzgesetz war von hehren Absichten geleitet: Es sollte generell die Bedingungen für Sexarbeiterinnen verbessern und vor allem Menschenhandel, Ausbeutung sowie Zwangsprostitution eindämmen. Doch Prostituierte kritisieren, dass ihre Lage eher prekärer geworden ist.

"Menschen, die keine Ahnung von Sexarbeit haben, sagen: 'Das ist doch nur ein Ausweis, das ist doch nicht so schlimm'. Aber Sexarbeit ist in Deutschland immer noch ein sehr stigmatisierter Beruf. Und das bedeutet, dass es sich viele Prostituierte nicht leisten können, sich zu outen oder dass ihre Daten erfasst werden", erklärt Ruby Rebelde, Sprecherin der Organisation Hydra. Die in Berlin ansässige Anwalts- und Beratungsstelle für Prostituierte wurde vor rund 40 Jahren gegründet und hatte sich von Anfang an gegen das Gesetz ausgesprochen.

Deutschland | Prostituierte protestieren gegen Prostituiertenschutzgesetz
Eine Prostituierte demonstriert mit einer roten Maske und einem Schild gegen die Registrierung von SexarbeitBild: Lukas Schulze/dpa/picture alliance

Viele Sexarbeiterinnen in Deutschland kommen zudem aus dem Ausland.  Bürokratische Hürden könnten sie daran hindern, sich registrieren zu lassen, befürchtet Hydra. Aus den EU-Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien stammen die meisten der nicht registrierten ausländischen Sexarbeiterinnen. Hydra-Sprecherin Rebelde kritisiert, "dass Menschen, die nach Deutschland kommen, um als Prostituierte zu arbeiten, durch das Gesetz zusätzlich illegalisiert werden". Sie würden auch keine staatlichen Hilfen erhalten, so die Hydra-Sprecherin, wenn sie wegen strenger Corona-Regelungen nicht arbeiten dürften.

Zusammenarbeit gibt Sicherheit

Das Gesetz verbietet auch, dass mehrere Sexarbeiterinnen zusammen wohnen und arbeiten. Früher war das gängige Praxis von Prostituierten, um sich zum Beispiel vor gewalttätigen Kunden zu schützen. Seit fünf Jahren ist das nicht mehr möglich: Nach dem Prostitutionsschutzgesetz gelten gemeinsame Wohnungen oder ein gemeinsames Haus als Bordelle. "Wenn ich nur allein zu Hause arbeiten kann, bringe ich mich theoretisch in größere Gefahr", sagt Olivia - die seit Einführung des Gesetzes mehr Erpressungs- und Missbrauchsversuche erlebt hat als zuvor.

Früher habe sie in solchen Fällen außerdem die Polizei anrufen können. Heute hätte sie Angst davor, weil sie sich als ungemeldete Sexarbeiterin strafbar mache. Einige Kunden wüssten um die Zwangslage und nützten sie aus. "Gemeinsam zu arbeiten ist viel sicherer; man kann sich gegenseitig im Auge behalten und Erfahrungen austauschen", bestätigt auch Ruby Rebelde.

Berlin | Whore March
In Berlin demonstrieren 2019 Sexarbeiterinnen gegen Stigmatisierung und schlechte ArbeitsbedingungenBild: Objects of Desire Collective

Befürworter des Gesetzes argumentieren, dass es die Sexarbeit transparenter mache und die Sicherheit erhöhe. "Mit der Anmeldung nach dem Prostituiertenschutzgesetz hat der Staat die Möglichkeit, über die Rechte im Bereich der Sexarbeit aufzuklären. Durch die Registrierung findet Sexarbeit nicht im Verborgenen statt und hilft somit die Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter*innen zu verbessern", urteilt Ann-Kathrin Biewener, Sprecherin für Sexarbeit der Stadt Berlin und Abgeordnete der SPD. Sie überwacht die Registrierungsprozesse für ganz Berlin.

Das "nordische Modell"?

Während der Corona-Pandemie, als Sexarbeit im Rahmen der sozialen Distanzierung verboten war, forderten Politiker der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD unter Bundeskanzlerin Angela Merkel eine noch längere Schließung von Bordellen und eine Überarbeitung der Sexarbeitsbranche. Die von ihnen vorgeschlagene Lösung orientiert sich am sogenannten "nordischen Modell" wie es etwa in Schweden praktiziert wird: Bei dem ist die Bezahlung von Sex illegal, der Verkauf von Sex jedoch nicht.

Olivia bezweifelt, dass diese Regelung in Deutschland funktionieren könnte. Dadurch, fürchtet sie, würde Sexarbeit nur noch mehr in den Untergrund getrieben . "Die Preise würden steigen, es gäbe mehr Kriminalität, Gewalt, Erpressung und mehr Menschenhandel", befürchtet sie. "Ich kann nichts Positives darin erkennen."   

Eine deutschlandweite Evaluierung des Prostitutionsschutzgesetzes soll bis 2025 abgeschlossen sein; ein Zwischenbericht umfasst nur die Jahre 2017 und 2018. Ob das Gesetz etwa bei der Reduzierung des Menschenhandels geholfen hat, lässt sich noch nicht abschließend sagen. Einige Bundesländer haben inzwischen eigene Evaluierungen veröffentlicht. Die Bericht des Stadtstaates Bremen vom Dezember 2020 zum Beispiel beschreibt einen reibungslosen Ablauf des Anmeldeverfahrens in Bremen. Er stellt aber auch fest: "Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sowie Berufspolitikerinnen und -politiker kritisieren, dass das Gesetz den Anforderungen an einen besseren Schutz vor Menschenhandel und einer Verbesserung der Situation von Prostituierten nicht gerecht wird. Sie befürchten Stigmatisierung und Diskriminierung durch die Meldepflicht bei Behörden und Staat. Vor allem Prostituierte bleiben ihrer Meinung nach ungeschützt, weil das Gesetz nicht auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet ist."

Beamte und Politiker wie Ann-Kathrin Biewener in Berlin haben in den vergangenen Jahren an einer Reihe von "Runden Tischen" mit Prostituierten gesessen, um  deren Meinung einzuholen. Ein wichtiger Schritt. Hydra-Sprecherin Rebelde fordert, dass die Stimmen der Betroffenen auch bei der anstehenden Evaluierung auf Bundesebene berücksichtigt werden - egal wie die nächsten Schritte aussehen. "Über SexarbeiterInnen zu reden, ohne mit ihnen zu sprechen - das ist nicht in Ordnung", schließt Rebelde von der Anwalts- und Beratungsstelle für Prostituierte.