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PolitikEuropa

Serbien und Kosovo: Wer rasselt mit dem Säbel?

16. August 2022

Im Streit über Reiseregeln zwischen den Nachbarstaaten Kosovo und Serbien kam es zu Auseinandersetzungen an der Grenze. Russland stärkt Serbien den Rücken. Könnte es in der Region erneut eskalieren?

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Serbische Flaggen und ein Spruchbanner über einer Straße in einem Wohngebiet
Kosovo hat die Entscheidung über die Nummernschilder auf Anfang September verschoben Bild: Erkin Keci/AA/picture alliance

"Er bereitet Massaker in Kosovo vor" - so titelte vor wenigen Tagen das serbische Boulevardblatt "Informer". Neben der Schlagzeile war das Bild des kosovarischen Premierministers Albin Kurti zu sehen. Nach Angaben der Zeitung "Vecernje novosti" seien sogar Scharfschützen im Spiel - sie würden angeblich die führenden Politiker der serbischen Minderheit in Kosovo ausschalten wollen.

So wie diese beiden Blätter wittert derzeit fast die gesamte Belgrader Presse tagtäglich einen Krieg mit dem Nachbarland Kosovo, ohne nachweisbare Anhaltspunkte dafür zu liefern. Ausnahmen bilden die wenigen unabhängigen Medien, die nicht an der Leine des Staatspräsidenten Aleksandar Vucic liegen.

Der Hintergrund: Kürzlich hatten sich die Spannungen zwischen Kosovo und Serbien verschärft, nachdem die kosovarische Regierung neue Regelungen für Einreisende mit serbischen Personaldokumenten und für Fahrzeuge mit serbischen Kennzeichen angeordnet hatte: Demnach hätten Serben sich bei der Einreise in den Kosovo provisorische kosovarische Dokumente ausstellen und serbische Fahrzeugkennzeichen innerhalb einer bestimmten Frist durch kosovarische ersetzen lassen müssen. Umgekehrt praktiziert Serbien dies seit Jahren für kosovarische Bürger und Bürgerinnen. Die kosovarische Regierung unter Premier Albin Kurti hat deshalb schon verschiedentlich auf eine sogenannte "Reziprozität" bestanden, also darauf, dass für beide Seiten die gleichen Regeln gelten.

Befürchtung: Russland könnte zündeln

Zwar wurden die Maßnahmen nach kurzer Zeit vorübergehend wieder ausgesetzt. Dennoch ist die Situation seither äußerst angespannt. Daher befürchten einige Beobachter, dass auf dem Westbalkan eine echte Kriegsgefahr besteht. Eine These lautet dabei, Russland könne die Spannungen nutzen und über den traditionellen Verbündeten Serbien eine Nebenfront eröffnen, um vom Angriffskrieg gegen die Ukraine abzulenken.

Serbien ist der einzige EU-Kandidat, der sich nicht an den Sanktionen gegen Moskau beteiligt. Das Balkanland verurteilte zwar die russische Aggression und votierte bei den Vereinten Nationen für Resolutionen gegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine. Doch der seit zehn Jahren alleinregierende Präsident Vucic führt immer wieder Drahtseilakte auf und tanzt zwischen Ost und West.

Aleksandar Vucic vor EU-Flaggen
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic - ein Drahtseilakt zwischen dem Osten und dem WestenBild: Olivier Matthys/AP/picture alliance

Wie realistisch ist heute ein neuer Krieg dort, wo in 1990er Jahren das sozialistische Jugoslawien blutig zerfiel? Und würde Serbien tatsächlich das Risiko eingehen, erneut mit der NATO aneinander zu geraten, obwohl die westliche Allianz in Kosovo und Bosnien noch immer militärisch präsent ist und Länder wie Montenegro und Kroatien selbst Mitglieder im nordatlantischen Bündnis sind?

Überall angebliche Gefahren

"Die Polit-Eliten in dieser Region schlagen Profit aus dem Nationalismus und produzieren dafür kalkulierte Spannungen", sagt Mladen Lisanin vom serbischen Institut für politische Studien (IPS). An einem Krieg habe keine Seite Interesse. Doch das Spiel mit dem Feuer könne jederzeit außer Kontrolle geraten, so der Politologe. 

In der Tat: Woche für Woche wird in der serbischen Presse vor schicksalhaften Gefahren für Serben und Serbien gewarnt. Demnach lauern sie mal in Kroatien, mal in Bosnien und mal in Montenegro, meistens aber in Kosovo. Die einstige serbische Provinz hatte sich 2008 für unabhängig von Serbien erklärt, die Regierung in Belgrad sieht es aber weiter als abtrünniges Gebiet an. Auch Russland und China erkennen die Unabhängigkeit nicht an. Unterstützung erhält Kosovo hingegen aus dem Westen, obwohl es auch fünf EU-Mitglieder nicht als eigenen Staat anerkennen.

DW-Interview mit Albin Kurti, Premierminister des Kosovo
Albin Kurti ist Premierminister von Kosovo und will ab September neue Nummernschilder durchsetzenBild: Anila Shuka /DW

Der jetzige Streit um Personaldokumente und Nummernschilder ist für die Regierung von Albin Kurti eine längst überfällige Maßnahme, für viele Serben jedoch eine ungeheure Provokation. Als die Maßnahmen Anfang August eingeführt wurden, errichteten Serben im Norden Kosovos Straßenbarrikaden. Die serbische Armee erhöhte ihre Einsatzbereitschaft, auch die kosovarische Seite entsandte Sondereinheiten der Polizei, einige Schüsse waren zu hören. Es war eine neue Runde des Säbelrasselns, die sich bald wiederholen könnte. Denn nach der vorübergehenden Aussetzung der Maßnahmen will die Regierung Kurti sie Anfang September endgültig einführen.

Am Donnerstag (18.08.2022) treffen sich Vucic und Kurti in Brüssel, doch die Erwartungen sind nicht groß. Die Vermittlung der Europäischen Union zwischen den einstigen Kriegsgegnern brachte in den vergangenen Jahren bislang nur sehr dürftige Erfolge.

Serbiens gute Beziehungen zur NATO

"Wer auch immer auf die Idee kommt, uns anzugreifen - wir werden Serbien verteidigen, und noch wichtiger, wir werden siegen", sagte Vucic jüngst in einer Rede. Der nahezu unumschränkt herrschende Präsident betont gern, wie stark die Armee geworden ist - und wie groß sein eigener Anteil daran ist.

Offiziell gilt Serbien als militärisch neutral. Die Armee führte in den letzten Jahren regelmäßig Manöver mit Russland, aber auch mit NATO-Staaten durch. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde die Armee nach westlichem Vorbild umstrukturiert und nimmt auch an der NATO-Initiative "Partnerschaft für den Frieden" teil. Die Zusammenarbeit mit der NATO klappt gut.

Mehr geht in Serbien allerdings nicht. "Ein NATO-Beitritt Serbiens bleibt völlig unrealistisch, denn die Wählerschaft ist mehrheitlich dagegen. Das wäre für jede politische Elite ein großes Risiko", sagt der Politologe Lisanin.

Laut Umfragen sind 80 bis 90 Prozent der Serben gegen einen NATO-Beitritt. Das Trauma des NATO-Bombardements von 1999 sitzt noch tief und wird von den Mainstream-Medien in Serbien oft ausgeschlachtet. Damals wollte die NATO mit ihrem militärischen Eingreifen einen Rückzug der serbischen Streitkräfte aus Kosovo erzwingen - und tötete bei den Bombenangriffen unbeabsichtigt auch zahlreiche serbische und kosovarische Zivilisten.

Eine Betonwand in serbischen Farben mit einem durchgestrichenen Symbol von EU und NATO
Eigentlich hat Serbien gute Beziehungen zur NATOBild: Andrej Isakovic/AFP/Getty Images

"Serbische Politiker agieren heuchlerisch: Über die Boulevardpresse führen sie eine ununterbrochene Kampagne gegen die NATO, und in aller Stille bauen sie die Zusammenarbeit mit der Allianz aus", sagt Maja Bjelos vom Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik (BCBP). Allerdings werde auch im Westen die gute Zusammenarbeit mit Serbien gern verschwiegen, so die Politologin.

Kosovo und Serbien: Keiner will Krieg

Dass es zu einem neuen Krieg kommt, glaubt Bjelos wie die meisten anderen Experten jedoch nicht. In der Westbalkan-Region würden regierende Politiker ununterbrochen Krisen simulieren, um sie gleich darauf selbst zu entschärfen und sich so als "Stabilitätsfaktoren" zu präsentieren. Die EU mache bei dieser Politik der sogenannten "Stabilokratien" mit, so Bjelos. Kritiker werfen Brüssel vor, in der Region seit Jahren mehr auf Stabilität als auf die Demokratie zu achten.

"Deswegen können wir Spannungen in der Region erwarten, aber keine bewaffneten Konflikte", sagt Bjelos. "Die gemeinsame politische, diplomatische und militärische Reaktion des Westens auf die russische Invasion zeigt auch den Politikern des Balkans, was für einen horrenden Preis sie zahlen würden, sollten sie Ähnliches verursachen."