Senioren: Deutschland gegen Führerschein-Check
24. März 2024Peter Mecking hat über fünf Jahrzehnte keinen einzigen Unfall gebaut, und das soll auch weiterhin so bleiben. Der 70-Jährige hat sich freiwillig für einen sogenannten Fahr-Fitness-Check gemeldet: 45 Minuten kurvt er am Steuer seines roten Cupra durch Köln und lässt sich dabei von Fahrlehrer Dominik Wirtz genauestens beobachten.
Für Mecking, der jeden Tag noch um die 100 Kilometer Auto fährt, ist dieser Test eine Selbstverständlichkeit. "Ich mache das, weil irgendwann der Zeitpunkt gekommen ist, wo man das Fahren wegen der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit sein lassen sollte. Und wenn ich das Feedback bekomme, lass es lieber sein, dann würde ich das auch annehmen. Ich gefährde ja auf der Straße auch andere."
Fahrlehrer Wirtz navigiert seinen Senioren-Fahrschüler durch den Dschungel der Millionenstadt und zum Abschluss auch noch auf die Autobahn. Hält sich Mecking an die vorgegebene Geschwindigkeit, den Fahrstreifen und an den Sicherheitsabstand? Hat er die Rechts-Vor-Links-Vorfahrtsregel jederzeit im Blick? Und nimmt er immer Rücksicht auf die vielen Fahrradfahrer, E-Roller und Fußgänger?
Viele Millionen Menschen in Deutschland noch am Steuer
Der Senior meistert die Dreiviertelstunde souverän und bekommt von Wirtz ein dickes Lob ausgesprochen. Er solle in Zukunft nur häufiger über die Schulter blicken. Zehn Millionen Menschen in Deutschland sind über 65 Jahre alt und haben einen Führerschein. Immer mehr Senioren melden sich bei Fahrlehren wie Wirtz, um ihre Fahrtauglichkeit überprüfen zu lassen. Wobei diese nur Empfehlungen und keine Fahrverbote aussprechen können.
"Aktuell mache ich zwei Senioren-Fahrten pro Woche, aber es kommen natürlich nur die Vernünftigen, die kritikfähig und aufgeschlossen sind. Den allermeisten sage ich, sie können weiterfahren. Das Problem sind die, die nicht kommen. Sie bleiben unter dem Radar."
Unfall mit Todesfolge befeuert Diskussion über Senioren am Steuer
In Deutschland hat die Debatte um verpflichtende Tests der Fahrtauglichkeit von Senioren sprichwörtlich an Fahrt aufgenommen, seit vor kurzem ein 83-Jähriger in Berlin auf einem Radweg an einem Stau vorbeifuhr. Er verursachte einen schweren Unfall, bei dem eine Mutter und ihr vierjähriges Kind starben.
Auch bei Dominik Wirtz stellen sich ab und zu Menschen vor, denen er vom weiteren Fahren abrät. "Ich hatte jetzt zwei Checks, wo ich den Menschen leider sagen musste, dass es vielleicht keine so gute Idee ist, weiter am Steuer zu sitzen. Bei dem einen war die Ampel grün, er blieb stehen, dann war sie rot, und er wollte in die Kreuzung hereinfahren."
Das Problem bei älteren Menschen sei immer, den ganzen Verkehr im Blick zu haben, die Konzentration oder auch die Fähigkeit, schnell zu reagieren. "Und wenn das Feedback kommt, sind die Leute dann immer sehr betroffen."
Deutschland erteilt EU-Initiative zu Gesundheitstests eine Absage
Die Kommission der Europäischen Union hatte jüngst vorgeschlagen, ältere Autofahrer zu Gesundheitstests zu verpflichten. Der Vorschlag: Wer mindestens 70 Jahre alt ist, solle alle fünf Jahre verpflichtende Hör- und Sehtests machen. Doch das EU-Parlament in Straßburg erteilte dieser Idee Ende Februar eine Absage, die Entscheidung liegt nun bei den Mitgliedsstaaten. Vor allem Deutschland sprach sich dagegen aus.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sagte: "Wir können die Eigenverantwortung der Menschen nicht durch staatliche Vorschriften ersetzen. Und wir dürfen auch nicht einerseits immer über Bürokratielasten klagen und andererseits neue, unnötige Bürokratie schaffen."
In Europa sind Gesundheitschecks Standard
Bei vielen europäischen Nachbarstaaten sorgte die deutsche Position allerdings für ein Kopfschütteln. In 14 EU-Ländern sind Gesundheitschecks für ältere Autofahrerinnen und Autofahrer längst Realität. In Spanien ist ein Gesundheitstest ab 65 Jahren obligatorisch und dann alle fünf Jahre. In Tschechien sind bereits 60-Jährige dazu verpflichtet. Portugiesen müssen bereits mit 50 Jahren zum Doktor. Japan testet die Senioren sogar auf Anzeichen von Demenz.
Besonders scharf prüft ausgerechnet das Autoliebhaberland Italien seine ältere Bevölkerung: Dort müssen Seniorinnen und Senioren schon unter 50 Jahren alle zehn Jahre zur Kontrolle. Danach greift die Verlängerung alle fünf Jahre, ab 70 Jahren alle drei Jahre und ab 80 sogar alle zwei Jahre. Die Über-80-Jährigen müssen auch ein ärztliches Attest vorlegen und nachweisen, dass sie nicht an Diabetes und Herzerkrankungen leiden.
Ältere weniger an Unfällen beteiligt - wenn, dann aber meist verantwortlich
Das Bundesverkehrsministerium und auch der ADAC, der größte Verkehrsclub Europas, verweisen dagegen auf die größere Fahrerfahrung der Senioren und die Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2022. Demnach waren 77.700 Menschen ab 65 Jahren an Unfällen mit Personenschäden beteiligt. Das entspricht 15 Prozent aller Unfallbeteiligten. Der Bevölkerungsanteil der Senioreninnen und Senioren in Deutschland liegt dagegen bei 22 Prozent, also deutlich höher.
Sind die Alten also ein gar nicht so großes Sicherheitsrisiko auf der Straße? Eine andere Auswertung des Statistischen Bundesamtes zeigt so ziemlich das Gegenteil: Sind Fahrerinnen und Fahrer über 75 Jahren an einem Unfall beteiligt, sind sie zu knapp 77 Prozent die Hauptverursachenden. Und damit sogar noch häufiger als die Fahranfänger von 18 bis 20 Jahren.
Fahrcheck für Menschen über 75 Jahren als Pflicht?
Kirstin Zeidler, Leiterin der Unfallforschung der Versicherer, schlägt deshalb vor, den freiwilligen 45-minütigen Fahr-Fitness-Check für 75-Jährige als sogenannte Rückmeldefahrt zur Pflicht zu machen. Sie sagt gegenüber der DW: "Bei den Rückmeldefahrten geht es gerade nicht darum, den Menschen den Führerschein wegzunehmen. Sondern ganz im Gegenteil, es geht darum, möglichst lange diese Mobilität und das Fahren aufrechtzuerhalten. Aber mit dem Hinweis, wo und wie es funktioniert, ohne andere und sich selbst zu gefährden."
Die Fahrlehrer sollten den Senioren zum Beispiel mit auf den Weg geben, was Dominik Wirtz jetzt schon macht: Nicht mehr nachts, zu Stoßzeiten oder auch nicht mehr in Großstädten zu fahren. Sondern sich auf bekannte Wege zu beschränken, zum Arzt, zur Apotheke oder auch zum Supermarkt. Denn klar ist auch: Ältere Menschen empfinden den Verlust des Führerscheins als Zäsur, als Verlust von Autonomie und Kontrolle, als deutliche Einschränkung ihrer Mobilität.
Zeidler fordert deshalb: "Medizinische Gesundheitschecks, die es in anderen Ländern gibt, finden beim Arzt statt. Unseres Erachtens ist das die falsche Methode." Probleme zeigten sich weniger in der physischen Fahreignung, sondern in den schleichend schwindenden kognitiven Fähigkeiten. "Situationen erfassen, schnell entscheiden und handeln. Wir brauchen die Überprüfung der Fahrkompetenz, des Verhaltens im Straßenverkehr."