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Selig, die ein reines Herz haben

Margareta Gruber14. Dezember 2013

Ein reines Herz haben - vor allem in der christlichen Erziehung war dies lange ein unhinterfragter Wert. Aber lebt Jesus nicht genau das Gegenteil vor? fragt Schwester Margareta Gruber von der katholischen Kirche.

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Bild: picture-alliance/dpa

Heute möchte ich über ein eher selten gehörtes Wort nachdenken: Reinheit. Vielleicht verbinden Sie es im Blick auf das nahende Weihnachtsfest mit Kinderaugen, die groß und staunend das Weihnachtsgeheimnis schauen können – eben, weil sie unberührt, rein sind. Erwachsene haben diese Unschuld verloren; wer würde deshalb von sich sagen, er oder sie sei „rein“?

„Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen.“ Das ist ein wunderbares Wort. Gilt das nur für Kinder, die mit reinem Herzen in die Krippe schauen?

Wenn ich das Leben Jesu anschaue, zeigt sich ein ganz anderes Bild. Jesus lebt nicht unberührbar, „rein“, sozusagen unter der Glasglocke. Er lässt sich von allem Unreinen berühren, mit dem die Menschen zu ihm kommen: nicht nur von Aussatz und Blutfluss, sondern auch von schlechten Gedanken und Sünde. Jesus wird ständig unrein und entsprechend waren sein Ruf und seine Konflikte: die Menschen nannten ihn nicht zufällig den „Freund der Zöllner und Sünder“ (Lk 7,34).

Ein Herz, das Erbarmen übt, wird rein. Also ein Mensch, der sich gerade nicht um seine eigene Reinheit Sorgen macht, sondern das Gott überlässt. Dietrich Bonhoeffer sagt, die Armut eines reinen Herzens besteht darin, sogar auf das eigene Gute und Böse zu verzichten. Für ein reines Herz werden die Menschen, die Dinge und die Situationen durchsichtig auf Gott. Ein reiner Mensch macht nicht die Augen zu, damit er nur noch ungestört auf Gott blicken kann, sondern er macht die Augen auf, um Gott in allen Dingen zu sehen, und in allen Dingen Gott.

Wenn wir einmal das Experiment machen und uns in die Augen Jesu hineinversetzen – was sehen wir?

An Weihnachten – da sind noch die Engel da; aber dann, – Seite für Seite im Evangelium: Arme, Trauernde, Hungrige, Behinderte und Kranke, Einsame und von Schuld Niedergedrückte, Zurückgesetzte und zu kurz Gekommene. Das ganze Spektrum der Menschen eben. Darunter sehen wir auch immer wieder Freunde, Liebende, Dankbare, aber diese sind oft unzuverlässig und schwankend in ihrer Treue und Durchhaltekraft. Aber mehr noch als Freunde sehen wir Verschlossene, Zornige und Hochmütige, Selbstgerechte, Hinterhältige und Falsche, Berechnende und Grausame.

Gott schauen? Der Blick Jesu ist immer intensiver, so scheint es, auf diese Menschenwelt gerichtet; er dringt immer tiefer in sie ein, bis zu dem Punkt, an dem ihm Gott selbst aus dem Blickfeld zu geraten scheint. Im Markusevangelium wird der Himmel, der sich bei der Taufe Jesu geöffnet hatte, auf Golgota finster. Das will eine Aussage über die Dunkelheit in Jesus selbst andeuten, der von den Menschen ausgestoßen und von seinem Vater verlassen zwischen Himmel und Erde hängt.

Dem reinen Herzen Jesu öffnet sich der Himmel nicht zur Schau Gottes! Das ist ein zutiefst erschütterndes Bild! Der Heilige Gottes sieht dem Sünder und Verfluchten zum Verwechseln ähnlich – das sagt Paulus (2 Kor 5,21; Gal 3,13)! Das reine Herz, das nichts ausgrenzen muss, wird selber zum Ausgegrenzten. Aber gerade in diesem Ausgestoßenen zeigt sich Gott, lässt sich Gott anschauen. „Wer mich sieht, sieht den Vater“(Joh 14,9). Jesus, das reine Herz, sieht Gott nicht, aber er macht Gott sichtbar! Der Gekreuzigte unter dem finsteren Himmel ist die Offenbarung Gottes, der die Liebe ist. Und zwar Liebe als Erbarmen, wie es sich „zeigt und vollzieht angesichts der Wirklichkeit des Übels in der Welt“ (Johannes Paul II, Enzyklika über das göttliche Erbarmen 43).

Für mich als Mensch heißt das: Wenn ich Gott mit reinem Herzen schauen will, darf ich nicht meinen Blick von dieser Welt und ihrer Unreinheit abwenden; doch kann ich versuchen, mit den Augen Jesu auf sie zu schauen. Dann werde ich in schwierigen Menschen und belastenden Situationen Ihn suchen und wiedererkennen können, der für uns zum Unreinen, zum Verfluchten geworden ist. Dort, in Jesus, dem Gekreuzigten und von Gott Verlassenen (Mk 15,34), öffnet sich für uns der Blick auf Gott.

Zur Autorin:

Sr. Margareta Gruber ist Franziskanerin von Kloster Sießen und seit 2008 Professorin für Neues Testament an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar. Von 2009-2013 lebte und lehrte sie in Jerusalem. Als Inhaberin des Laurentius-Klein-Lehrstuhls für Biblische und Ökumenische Theologie war sie Dekanin des Theologischen Studienjahrs Jerusalem an der Abtei Dormitio Mariae. Seit August 2013 lebt und lehrt sie wieder an der Theologischen Fakultät in Vallendar.

Sr. Margareta Gruber ofm
Sr. Margareta Gruber ofm, VallendarBild: privat