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Medien Südosteuropa

24. November 2010

Das Medienangebot in Südosteuropa ist sehr groß. Dies ist indes ein Grund, warum Medien kaum wirtschaftlich arbeiten. Zum Überleben müssen sie daher Kompromisse mit der Wirtschaft machen und büssen so ihre Freiheit ein.

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In Zeitungspapier eingewickelte, geknebelte Person mit Augen- und Mundbinde (Grafik: DW/fotozon - fotolia)
Pressefreiheit geknebelt von Politik und WirtschaftBild: DW/fotozon - Fotolia.com

"Wenn ich dir sage, du sollst jemanden angreifen, dann musst du ihn eben angreifen." Unmissverständliche Worte, vom Besitzer einer großen rumänischen Mediengruppe an einen Journalisten gerichtet. Diese Worte des Milliardärs Sorin Ovidiu Vantu aus dem Jahr 2009 wurden allerdings mitgeschnitten und kamen an die Öffentlichkeit. Dieser Satz ist noch vergleichsweise harmlos - an anderen Stellen beschimpft Vantu seine Gesprächspartner auf vulgärste Weise. Am Beispiel dieses rumänischen Medienzars zeigte Liana Ganea von der rumänischen Medienbeobachtungsagentur Active Watch, wie sehr Politik und Wirtschaft den Journalismus in Südosteuropa beeinflussen. Die Mitschnitte von Vantus Gesprächen zeigen, wie sehr er Reporter und auch Chefredakteure unter Druck setzte: Auf seine Anweisung hin unterstützten Privatsender den Gegenkandidaten von Präsident Traian Basescu im Wahlkampf 2009.

"Sandwich-Position"

Porträt von Liana Ganea, Vorstand-Mitglied der rumänischen Nicht-Regierungsorganisation Active Watch, bei der Deutschen Welle, während einer Podiumsdiskusion über Medien in Südosteuropa (22./23.11.2010) (Foto: DW)
Liana Ganea kritisiert Lage der Medien in RumänienBild: DW

Zwar ist Rumänien seit 2007 in der EU. Doch die Situation der Medien habe sich in den letzten zwei Jahren verschlechtert, analysiert Liana Ganea. Sie seien von einem Krieg und einem Erdbeben erschüttert worden: "Der Krieg war die politische Schlammschlacht vor den Präsidentschaftswahlen 2009, von der die Medien leider nicht verschont wurden. Die Medien polarisierten sich, Journalisten waren entweder militante Kämpfer für ein Lager oder für das andere. Sie haben damit die elementarsten Standards ihres Berufs beiseite gelassen und stattdessen hemmungslos manipuliert. Und dazu kam auch noch das Erdbeben: die Wirtschaftskrise." Wegen der desolaten finanziellen Lage mussten viele Redaktionen schließen. Sogar erfahrene Redakteure verloren ihre Stellen. Und die Polemik im Wahlkampf ließ die Bevölkerung misstrauischer gegenüber Journalisten werden.

Frei, aber nicht unabhängig

Kopf und oberer Teil des Torsos einer Holzmarionette (Foto: DW)
Die Fäden ziehen oft Politik und WirtschaftBild: Kay Alexander Scholz/DW

Auch in Albanien sieht Remzi Lani, Leiter des Medieninstituts in Tirana, die Medien in einer Zwickmühle: "Das Hauptproblem ist die Klientelwirtschaft der Medien. Die Medien sind in einer Sandwich-Position zwischen Wirtschaft und Politik gefangen. Deshalb dienen sie in Wirklichkeit nicht der Öffentlichkeit, sondern den Wirtschaftsinteressen der Besitzer. Den Preis dafür zahlt die Bevölkerung, die nicht repräsentiert wird und deren echte Belange oft ignoriert werden." Auf dem Balkan seien die Medien zwar frei, aber nicht wirklich unabhängig - zu stark sei die Einmischung von Wirtschaft und Politik. Das ist die ernüchternde Schlussfolgerung von Remzi Lani. Und die allgemeine Korruption auf dem Balkan färbt seiner Meinung nach unweigerlich auch auf die Presse ab.

Neben Politik und Wirtschaft wirkt noch eine dritte Kraft auf die Medien ein. Für Ljiljana Zurovac, Leiterin des Presserats in Bosnien-Herzegowina, übt auch die Religion einen zu großen Einfluss auf die Medien in der Region aus: "Leider ist dieser Einfluss in manchen Medien sehr stark. Nicht unbedingt, weil sich religiöse Institutionen aufdrängen, sondern weil diese Medien von sich aus mit ihnen zusammenarbeiten wollen - egal, ob es sich um islamische, christlich-orthodoxe oder katholische religiöse Einrichtungen handelt. Doch auch diese Zusammenarbeit stützt sich oft auf wirtschaftliche Interessen von Seiten der Medien." Damit schließt sich der Kreis: Religiöse Interessen verbinden sich manchmal mit wirtschaftlichen Zielen.

Von Schwäche zu Stärke

Europa-Karte mit Südosteuropa hervorgehoben (Grafik: DW)
Südosteuropa im Fokus des Internationalen JournalistenverbandesBild: DW

Zwar scheint die Medienvielfalt in Südosteuropa beeindruckend - zumindest was die Zahlen betrifft. Zum Beispiel gibt es in der bulgarischen Hauptstadt Sofia 30 verschiedene Radiosender - für gerade mal 1,4 Millionen Einwohner. Und die Online-Angebote in diesen Ländern sind kaum noch überschaubar. Doch nur wenige Medienangebote arbeiten wirtschaftlich. Ohne die Hilfe einflussreicher Geschäftsleute wären viele private Medien bereits bankrott. Also geht es oft um die harte Entscheidung zwischen journalistischer Unabhängigkeit und dem nackten Überleben. Liana Ganea aus Rumänien möchte diese Schwäche in Stärke verwandeln: "Wir müssen jetzt die desolate Lage des Journalismus in unserem Land genau analysieren, denn vielleicht ist gerade das der beste Ausgangspunkt für Veränderungen zugunsten der Journalisten." Ganea plädiert dafür, die Probleme der Presse offen anzusprechen. "Um die Journalisten zu stärken, müssen wir uns in die Öffentlichkeit trauen und dort ehrlich über unsere Schwächen sprechen, über den wirtschaftlichen und politischen Druck, um neue Lösungen zu finden", so Ganea.

Auch andere Verbesserungsansätze werden unter Journalisten und Vertretern der Journalistenverbände diskutiert: Vor allem eine bessere Aus- und Fortbildung der Journalisten, auch mit Hilfe von Partnern aus dem Westen. Wesentlich ist aber eine öffentliche Debatte darüber, wie man Journalismus in Zukunft finanzieren soll, um dessen Unabhängigkeit zu garantieren. "Es ist höchste Zeit, den Journalismus als öffentliches Gut zu betrachten" schlussfolgerte die Direktorin des Internationalen Journalistenverbands in Brüssel, Renate Schroeder. Dieser Verband will künftig seinen neuen Fokus auf Südosteuropa legen.

Autorin: Alexandra Scherle

Redaktion: Mirjana Dikic / Gero Rueter