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Bildung

Die Angst vor Schule in Corona-Zeiten

Nicolas Martin
21. April 2020

In einigen Bundesländern sind wieder Schüler an den Schulen, in anderen bereiten sie sich darauf vor. Doch vielen Schülern ist aufgrund der Corona-Krise dabei mulmig zumute. Manche wollen erst gar nicht kommen.

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Schüler in einem Klassenraum an Einzeltischen (Foto: Picture Alliance)
In Sachsen, Berlin und Brandenburg kehren erste Abschlussklassen für Prüfungen und Prüfungsvorbereitungen zurückBild: picture-alliance/dpa/R. Michael

Den Schritt, die Schulen wieder aufzumachen, findet Realschülerin Elea Marschollek "unverantwortlich". Sie sei "total schockiert" gewesen, als sie erfuhr, dass sie ab Donnerstag wieder in die Schule soll, erzählt die 15-Jährige aus Lippstadt im Gespräch mit der Deutschen Welle. Einen Monat lang waren die Schulen in ganz Deutschland wegen der Corona-Krise geschlossen. Nun wollen die Bundesländer stufenweise den Schulbetrieb wieder aufnehmen. Die Vorgabe dafür von der Bundesregierung lautet: schrittweise Öffnung ab dem 4. Mai. Als erstes sollen die Schüler wieder kommen, die vor einer Abschlussprüfung stehen. Doch einige Bundesländer wollen dabei schneller sein.

Corona, Schulöffnung, Elea Marschollek
Elea Marschollek ist Realschülerin in Nordrhein-WestfalenBild: privat

Dazu gehört auch Nordrhein-Westfalen (NRW), wo Elea Marschollek dieses Jahr ihre Abschlussprüfung an der Realschule macht. Hier müssen Zehntklässler wie sie ab Donnerstag in die Schule, um sich dort auf ihre Abschlussarbeiten vorzubereiten. Und das obwohl in NRW im Deutschlandvergleich überdurchschnittlich viele Menschen bereits infiziert sind. Das hat Elea Marschollek so verärgert, dass sie dem NRW-Ministerpräsidenten auf Instagram direkt eine Botschaft geschickt hat. "Wir sind die zukünftige Wählerschaft und vergessen nicht, wem unser gesundheitliches Wohl am Arsch vorbeigeht", schreibt sie da unter anderem in einem langen Text.

Coronavirus – Abiturienten am Gymnasium Dresden Klotzsche
Schüler in Dresden: Ob Schüler Masken tragen müssen, bleibt den Bundesländern überlassen. In NRW gibt es keine Maskenpflicht.Bild: picture-alliance/dpa/R. Michael

"Das wäre die Vollkatastrophe"

Sie persönlich habe zwar Respekt, aber keine große Angst vor dem Coronavirus. Doch ihr Bruder mache gerade eine Ausbildung als Altenpfleger. "Wenn ich mich jetzt in der Schule anstecke und er das in das Altenheim bringt, ist das eine Vollkatastrophe", sagt sie.

Damit das nicht geschieht, haben die Bundesländer den Schulen Hygiene-Vorschriften gemacht. Sie folgen damit den Vorgaben mehrer wissenschaftlicher Institutionen, die für die Öffnung der Schulen plädiert hatten.

Demnach sollen die Klassenräume umgestaltet werden: Anderthalb Meter Abstand zwischen den Sitzplätzen lautet die Vorgabe. Auch Waschmöglichkeiten und Desinfektionsmittel soll es geben. "Ich weiß, wie die Schultoiletten bei meiner Tochter aussehen. Sie geht da nur auf das Klo, wenn es irgendwie sein muss", erzählt Susanne Hauser mit hörbar verärgerter Stimme.

Die 53-Jährige würde ihrer Tochter am liebsten verbieten in die Schule zu gehen. Für die Abiturienten in NRW ist die Anwesenheit bei der Vorbereitung auf die Prüfungen zwar freiwillig - anders als bei den zehnten Klassen. "Aber meine Tochter ist in der Zwickmühle. Einerseits möchte sie nichts verpassen, andererseits, was hat sie von einem Abitur, wenn sie ein Elternteil weniger hat."

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Susanne Hauser gehört zur RisikogruppeBild: privat

Risikopatienten sind nervös

Susanne Hauser hat Asthma und ein Lungenemphysem und gehört damit zur Risikogruppe. Schon bei einer normalen Erkältung liege sie flach, schildert die Angestellte einer Rechtsanwaltskanzlei. "Wir haben uns die ganze Zeit an 'Stay at Home' gehalten und jetzt ist alles wieder auf? Das ist ein bisschen viel." Sie verstehe nicht, dass jetzt alles so übereilt entschieden wurde - und dann auch noch mit den Kindern.

Das sieht Ralf Radke ähnlich. Beim Unternehmensberater und ehrenamtlichen Vorsitzenden der Landeselternschaft der integrierten Schulen in NRW gingen im ersten Monat der Corona-Pause wenig Hilferufe besorgter Eltern ein. Seit der Entscheidung, die Prüfungen der Abschlussklassen stattfinden zu lassen und die Schulen zu öffnen, habe sich das schlagartig geändert. "Wir werden nun bestürmt von Eltern, die fassungslos sind und Angst haben."

Manche Eltern wollten ihre Kinder auch schlichtweg nicht mehr in die Schule schicken. Die Fixierung auf die Prüfungen findet er falsch. "Wenn alles gut geht, kann die Politik später sagen, dass sie auch in schwierigen Zeiten die Qualitätsstandards aufrechterhalten hat." Außerdem sei der Aufwand für die Prüfungen aufgrund der Corona-Krise hoch. Sollten bald weitere Jahrgänge zurück in die Schulen kommen dürfen, wäre vor den Sommerferien für diese kein sinnvoller Unterricht mehr möglich.

Deutschland Ralf Radke
Ralf Radke ist ehrenamtlicher Vorsitzender der Landeselternschaft der integrierten SchulenBild: Privat

Vertagte Träume wegen Corona

Nicht nur die Eltern, auch die Schüler formieren sich. Wie groß der Frust ist, zeigt sich im Internet: Unter dem Hashtag #schulboykott oder #schulboykottNRW zeigen mittlerweile Tausende Schüler ihren Unmut. Neben der Angst, sich anzustecken, geht es auch um die Prüfungsbedingungen. Die seien in Corona-Zeiten schwierig. Viele fordern deshalb eine Durchschnittsnote berechnet aus den bisherigen Leistungen. Wer freiwillig seine Note aufbessern wolle, der solle aber in die Schule kommen.

Elea Marschollek hat sich der Boykott-Bewegung noch nicht angeschlossen. Doch auch sie befürchtet, dass sie wegen der COVID-19-Pandemie nicht ausreichend vorbereitet in die Prüfungen gehen wird und eventuell nicht den nötigen Durchschnitt bekommt, um den Sprung auf ein Gymnasium zu schaffen. Das Coronavirus könnte ihren Traum, nach dem Abitur in England zu studieren, zumindest verzögern.

Ihre dringlichen Sorgen sind aber momentan auf den kommenden Donnerstag gerichtet. Am Anfang dieser Woche hat sie auch eine Mail von der Schule mit konkreteren Informationen erhalten. Sie wird gemeinsam mit einer Hälfte ihrer Klasse Unterricht haben - insgesamt 13 Schüler. Dennoch fühlt sie sich von der Politik mit ihren Zweifeln allein gelassen. Auch weil langfristige Pläne zur Schulöffnung immer noch nicht vorliegen. "Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass man mit uns Schülern experimentieren möchte. Wir sind doch keine Versuchskaninchen."