Schotten begrüßen syrische Flüchtlinge
17. Dezember 2015
Das "Madeira des Nordens" - so hieß Rothesay früher. Das war in jenen Tagen, als Raddampfer Urlauber von Glasgow entlang der Küste auf die Insel brachten. Das ist lange her. Zwar blühen noch Palmen auf der Isle of Bute. Doch ansonsten sieht Rothesay inzwischen aus wie eine verblasste britische Küstenstadt. Lack bröckelt von der Fassade des Hotel Esplanade. Viele Ladenfronten an der Promenade sind leer. Nur der Regen an der schottischen Westküste fällt wie immer.
So ist Rothesay zwar schon lange nicht mehr das beliebte Urlaubsziel früherer Zeiten. Dafür aber bereiten sich die rund 6000 Einwohner der Stadt darauf vor, ungewöhnliche Neuankömmlinge aufzunehmen: Syrische Flüchtlinge, die sich vor dem Krieg in ihrer Heimat in Sicherheit bringen, um ein neues Leben zu beginnen - auf einer kleinen Insel, die eine Stunde Fahrt mit der Fähre vom Festland entfernt liegt.
Während das Unterhaus für die Militäraktion gegen den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien stimmte, richteten die Bewohner auf der 720 Kilometer entfernten Insel alles ein, um 15 syrische Familien zu begrüßen - die erste größere Gruppe, die gemäß den jüngsten Regierungsplänen in Schottland ankommt.
Ein paar Worte Arabisch
Viele Einheimische freuen sich auf sie. "Ich bin begeistert. Ich habe bereits einige Worte Arabisch gelernt," sagt Alison Clark, die in der nahe gelegenen Kirche die Bildungs- und Entwicklungsangebote betreut, im Gespräch mit der DW. Die ehemalige Englischlehrerin hofft, die Flüchtlinge beim Lernen der ihnen fremden Sprache unterstützen zu können.
Die ersten 60 Flüchtlinge kommen aus Lagern im Libanon. Eine zweite Gruppe wird Anfang nächsten Jahres folgen. Alle werden sie von der Gemeindeverwaltung in und um Rothesay, der wichtigsten Ortschaft auf Bute, untergebracht. Der Gemeinderat schätzt, dass rund 40 Immobilien auf der Insel leerstehen.
Die Entscheidung, syrischen Flüchtlingen auf Bute eine neue Heimat zu geben, ist Teil einer Selbstverpflichtung der schottische Regierung. Sie wird ein Drittel jener insgesamt tausend Syrer aufnehmen, die der britische Premier David Cameron bis Ende dieses Jahres in das Vereinigte Königreich holen will. Die Flüchtlinge werden Visa aus humanitären Gründen erhalten, die fünf Jahre gültig sind und Reisefreiheit beinhalten. Jede Familie hat beim britischen Innenministerium und dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen einen Gesundheitscheck durchlaufen und bestanden.
Ein Begrüßungsvideo
Derzeit leben auf der Insel nur drei Personen, die Arabisch sprechen. Einen Übersetzungensservice zu schaffen, hatte darum hohe Priorität. Rund 20 syrische Kinder werden die örtliche Schule besuchen: das Rothesay Joint Campus, auf dem insgesamt 600 Schüler unterrichtet werden. Die Schule hat bereits ein Video produziert, das das Leben auf der Insel aus Sicht eines Kindes zeigt. Die Flüchtlinge sollen es während des Fluges nach Großbritannien sehen.
"Die meisten der nun kommenden Kinder sind jung. Das ist ideal, um die Sprache zu lernen", sagt Julia Fisher, Schulleiterin in Rothesay der DW. "Die Eltern sind wirklich konstruktiv eingestellt. Sie werden Geld sammeln, um sicherzustellen, dass alle Schüler für den Unterrichtsbeginn im Januar Schuluniformen tragen."
Mitarbeiter des Gemeinderats haben Kontakt zu einem schottischen Imam aufgenommen, um mit ihm über die religiösen Bedürfnisse der Flüchtlinge zu sprechen. Eine Metzgerei bietet Fleisch an, das halal, also nach den religiösen Vorgaben zubereitet ist. Eine Kirche hat ihren Saal den neuen Bewohner zum Feiern von Gottesdiensten geöffnet.
Gegen die Abwanderung
In der Zwischenzeit haben rund 60 Einheimische ein improvisiertes Gemeinschaftszentrum errichtet, um die Flüchtlinge von dort aus zu unterstützen. "Wir werden uns im Hintergrund aufhalten und zur Stelle sein, wenn die Familien uns brauchen. Dabei wollen wir ihnen vor allem zuhören und ihre Probleme dann zusammen mit ihnen besprechen", sagt John Duncan, einer der freiwilligen Helfer.
Die Isle of Bute hat eine alternde Bevölkerung und - wie viele Gegenden im ländlichen Westen Schottlands - ein Problem mit Abwanderung. Viele junge Menschen verlassen die Region, um auf dem Festland ein Studium oder eine Ausbildung zu beginnen. Nur wenige kehren zurück und Jobs und Verdienstmöglichkeiten sind rar. Rothesay gehört zu den ärmsten Orten in Schottland. Es gibt sogar eine karitative Nahrungsmittelausgabe auf der Insel, die die Bedürftigen unterstützt.
Für den Gemeinderat sind die Flüchtlinge auch ein Versuch, neue Menschen auf der Insel anzusiedeln. "Rothesay fehlen ebenso Bewohner wie den anderen Orten auf der Insel", sagt Mike Russell, Parlamentarier und Mitglied der Schottischen Nationalpartei (SNP). "In ganz Schottland fehlen Menschen."
Ländliche Idylle
Bute kann auf eine lange Migrationsgeschichte zurückblicken: Während des Zweiten Weltkriegs kamen Polen, bald darauf auch Deutsche und Russen. Die syrischen Familien seien so ausgewählt worden, sagt Clelland Sneddon, Direktor des örtlichen Sozialdienstes, dass sie möglichst wenig Kulturschock erleben.
So seien die Flüchtlinge keine Stadtbewohner aus Damaskus, damit es für sie nicht allzu schwierig werde, plötzlich in einer ländlichen Idylle zu landen. "Wir haben Menschen aus kleineren Städten und ländlichen Gegenden ausgewählt. Wir glauben, das macht den Übergang in die neue Umgebung etwas leichter", so Sneddon.
Nicht jeder ist davon überzeugt, dass Bute von den Neuankömmlingen profitieren wird. Grace Strong vom örtlichen Gemeinderat räumt ein, es gebe "einige Bedenken" hinsichtlich der Flüchtlinge. Diese gälten vor allem der Gesundheitsversorgung. Andere Bürger beschwerten sich, der Gemeinderat habe sie nicht ausreichend über seine Pläne informiert.
Eine spannende Geschichte
Die Schüler in der örtlichen Schule aber freuen sich, ihre Klassenzimmer mit jungen Menschen aus einer ganz anderen Weltregion zu teilen.
"Es ist eine sehr spannende Geschichte und es ist großartig, ein Teil davon zu sein", sagt Jamie Murray, 17 Jahre alt, im Gespräch mit der DW. "An der Schule sind die Leute wirklich aufgeregt. Mir selbst war das Ausmaß der Flüchtlingskrise bislang nicht richtig bewusst. Ich war wirklich naiv. Man versteht einfach nicht, wie groß das ist."