Angebliche Moskau-Reise von Olaf Scholz schlägt hohe Wellen
7. Januar 2025Für seine Verhältnisse war der ansonsten zumeist beherrschte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) richtig aufgebracht, auch sichtbar erregt: Am Sonntag stellte sich Scholz im Willy-Brandt-Haus in Berlin, der Parteizentrale der Sozialdemokraten, vor die Mikrofone und nahm zu einer Meldung auf dem Social-Media-Kanal X Stellung. Darin war behauptet worden, Scholz plane noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar ein Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau. Scholz sagte: "Das ist eine Falschmeldung. Das ist zutiefst unanständig." Und sein Sprecher Steffen Hebestreit legte später nach, drohte dem Verfasser des Posts mit rechtlichen Schritten und sprach von "übler Nachrede".
Tweet des CDU-Außenexperten Kiesewetter
Der so vehement kritisierte Verfasser des Tweets war niemand geringeres als Roderich Kiesewetter, früherer Oberst der Bundeswehr und anerkannter Außenexperte der CDU im Deutschen Bundestag. Kiesewetter hatte am Samstag auf einen Tweet eines Wissenschaftlers geantwortet und geschrieben: "Es verdichten sich die Hinweise, dass Bundeskanzler Olaf Scholz vor dem 23. Februar nach Moskau reist beziehungsweise Putin trifft." Weiter schrieb Kiesewetter, die Ukraine dürfe bei etwaigen Verhandlungen über ein Ende des russischen Angriffskrieges nicht "Objekt und Opfer sein".
Die Gratwanderung in der Russland-Politik
Die Konfrontation der regierenden SPD mit Kiesewetter rund um das Thema Russland und Ukraine hat viele Vorgeschichten: Quer durch alle Parteien im Bundestag gilt Kiesewetter als einer der entschiedensten Unterstützer der Ukraine, fordert seit Kriegsbeginn im Frühjahr 2022 immer neue Waffenlieferungen und warnt vor Russland und seinem Machthaber Putin. Scholz andererseits wird nicht müde zu betonen, Deutschland sei nach den USA derzeit der weltweit größte Unterstützer der Ukraine, aber er als Bundeskanzler werde alles dafür tun, Deutschland aus dem Konflikt herauszuhalten. Unter anderem hat er sich vehement dagegen ausgesprochen, der Ukraine weitreichende Marschflugkörper vom Typ Taurus zu liefern, die auch Ziele weit in Russland erreichen können.
Das findet nach jüngsten Umfragen eine Mehrheit der Deutschen genau richtig, wie der unten aufgeführte ARD-Deutschlandtrend von Ende Oktober 2024 zeigt. Scholz weiß: Neben dem Thema Wirtschaft und Arbeit ist der Wunsch der Deutschen nach Frieden und Sicherheit im Wahlkampf immens wichtig, Scholz will sich als besonnenen Wahrer des Friedens darstellen. Aber eben auch nicht als Leisetreter gegenüber Putin.
Regierung spricht von wiederholten Behauptungen
Tatsächlich hatte Kiesewetter für seine Behauptung auch keinerlei Beweise geliefert. Der umstrittene Tweet ist inzwischen gelöscht, das Büro des CDU-Abgeordneten teilte auf DW-Anfrage am Montag mit, CDU und SPD hätten sich auf die Löschung geeinigt. Und: "Herr Kiesewetter wird es weiter nicht kommentieren." Ganz offenbar war größerer Druck auf Kiesewetter ausgeübt worden.
Regierungssprecher Hebestreit sagte dann am Montag in der Routine-Pressekonferenz der Bundesregierung, schon vor einiger Zeit habe Kiesewetter etwa dem Nachrichten-Magazin "Spiegel" Informationen über eine angeblich geplante Moskau-Reise des Kanzlers zur Verfügung gestellt, damals noch mit der Vorgabe, nicht namentlich genannt zu werden. Hebestreit über die Reaktionen: "Wir hatten Anrufe aus Moskau, wir hatten Anrufe von ARD- und ZDF-Studios. Wir hatten in Kyjiw eine große Empörung, wie ein Bundeskanzler dazu kommen könne, dahin zu fahren."
Und jetzt der Tweet, der dann die harsche Reaktion zur Folge hatte: "Der Abgeordnete Kiesewetter hat zum wiederholten Male eine Behauptung in den Raum gestellt, die jeglicher Grundlage entbehrt. Die es auch gar nicht geben kann, weil es nirgends in der Bundesregierung, auch nicht im Bundeskanzleramt, Überlegungen in diese Richtung gibt."
Keine guten Erinnerungen an die letzte Moskau-Reise
Durch die Löschung des Tweets sei die Sache erst einmal ausgestanden, so Hebestreit. Gleichzeitig warnte er Kiesewetter davor, seinerseits noch einmal nachzulegen. Der Konflikt zeigt, wie heftig im jetzt erst richtig beginnenden Wahlkampf auch um das Thema des Krieges in der Ukraine gerungen werden wird. Scholz weiß, wie schwierig die Gratwanderung im Kurs gegenüber Russland für ihn ist. Die Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) tritt ebenso wie die in Teilen rechtextreme Alternative für Deutschland (AfD) weitaus russland-freundlicher auf als etwa die etablierten Parteien der Konservativen oder die Sozialdemokraten. Auch in der SPD selbst gibt es viele Verfechter der Idee, trotz allem mit Putin das Gespräch zu suchen.
Aber Scholz muss anderseits Bilder wie die vermeiden, die bei seinem letzten Besuch bei Putin entstanden, kurz vor Kriegsbeginn Anfang 2022: Da platzierte Putin seinen Besucher aus Berlin an der Spitze eines riesigen und langen Tisches und nahm selbst an der anderen Seite Platz. Offenbar, um eine größtmögliche Distanz zu Scholz zu dokumentieren.
Ein letztes Telefonat im November 2024
Ohnehin würde eine spontane Scholz-Reise nach Moskau in der deutschen Öffentlichkeit wohl tatsächlich als leicht durchschaubares Wahlkampfmanöver gedeutet. Zuletzt hatte der Bundeskanzler Mitte November mit dem russischen Herrscher telefoniert, erkennbar ohne jedes Ergebnis. Im Gegenteil: In den Tagen danach intensivierte Russland seine Angriffe auf die Ukraine. Auch das ist sicher ein Grund für die dünnhäutige Reaktion der Regierung auf den Tweet Kiesewetters.