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China Erdbeben

Erning Zhu22. April 2013

Wieder bebte die Erde in Chinas Provinz Sichuan. Doch anders als bei dem schweren Beben vor fünf Jahren handelte die Regierung diesmal schneller. Auch die Bevölkerung nahm aktiv Anteil - über soziale Netzwerke.

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Ein Mann passiert eine chinesische Flagge eintlang von geröllbergen im Kreis Lushan in der Provinz Sichuan.(Foto: REUTERS)
Erdebeben in China am 21. April 2013Bild: Reuters

Am 20. April 2013 erschütterte ein Beben mit einer Stärke von 7,0 auf der Richterskala Chinas Südwest-Provinz Sichuan. Die Katastrophe forderte Medienberichten zufolge rund 200 Todesopfer. Mehr als zehntausend Menschen wurden verletzt, mehr als hunderttausend mussten ihre Häuser verlassen.

Das Beben rief Erinnerungen an den Mai 2008 wach, als die Provinz von einem noch heftigeren Erdbeben erschüttert worden war: Rund 80.000 Menschen kamen dabei ums Leben. Es war das Jahr der Olympischen Sommerspiele in Peking. Damals hielt die Regierung die Staatsmedien zu positiver Berichterstattung an und forderte die Bevölkerung auf, angesichts der Krise "grenzenlose Liebe“ zu demonstrieren. Einige "unharmonische Stimmen" in den Medien wurden schnell herausgefiltert - wie solche, die kritisch nachfragten, warum die meisten Schulgebäude eingestürzt waren, die Häuser der Behörden aber intakt blieben.

Wie vor fünf Jahren setzte sich der chinesische Premierminister, diesmal Li Keqiang, der gerade einen Monat im Amt ist, wenige Stunden nach dem Beben ins Flugzeug und begab sich nach Sichuan, um vor Ort die Rettungsarbeiten zu leiten. Das Staatsfernsehen CCTV zeigte ihn am folgenden Tag beim Frühstück und bei Besuchen der Menschen in den Dörfern und Krankenhäusern. Er versprach den Menschen Wiederaufbauhilfe: "Die neuen Häuser werden besser als je zuvor." Beim letzten Erdbeben hatte jeder Haushalt, dessen Wohnhaus beschädigt wurde, einen Zuschuss von rund 20.000 Yuan (2.400 Euro) und günstige Kredite bekommen. Für den Bau eines neuen Hauses allerdings musste man selbst noch eine große Summe beisteuern.

Chinas Premier Li Keqiang umringt von Sodaten und Helfern (Foto: REUTERS)
Chinas Premierminister Li Keqiang leitete vor Ort die RettungsarbeitenBild: Reuters

"Erfreulicher Fortschritt"

"Im Vergleich zum letzten Großbeben vor fünf Jahren haben diesmal die Staatsmedien schnell reagiert und die Nachrichten ununterbrochen aktualisiert. Auch die Rettungsaktionen der Regierung sind heute effektiver", kommentiert von Wu Qiang, Politikwissenschaftler an der renommierten Tsinghua-Universität, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Entsprechend sei das Echo der Öffentlichkeit auch positiver. Dies zeige sich vor allem in den sozialen Netzwerken. "Viele User bewerten die Wirksamkeit der Rettungsmaßnahmen diesmal positiv." Chinas Twitter-Pendant, der Mikroblogging-Dienst Sina Weibo, ist mit geschätzten 500 Millionen Usern zum wichtigsten Forum der Bevölkerung geworden. Diese neue Öffentlichkeit entwickelt sich neben den Staatsmedien und übernimmt zunehmend deren eigentliche Aufgabe einer Kontrollinstanz gegenüber der Regierung und den Behörden.

So verbreiteten sich nach dem Beben über die Plattform Sina Weibo viele Vorschläge zur Rettung von Betroffenen: man solle zum Beispiel nicht zu viel mit dem Handy telefonieren, um das Netz für die Rettungseinheiten freizuhalten. Kliniken sollten die Verletzten kostenfrei behandeln. Die Behörden wurden aufgefordert, die Gebühren für Zufahrts-Autobahnen zu den Katastrophengebieten auszusetzen und öffentliche Gebäude für Bedürftige zu öffnen. Falls die Behörden die Aufforderungen nicht befolgten, wurden sie sofort innerhalb des Netzwerks an den Pranger gestellt. Die Nutzer sind sich einig: Seit dem letzten Beben vor fünf Jahren haben die sozialen Netzwerke trotz Regierungszensur stark an Bedeutung und Einfluss gewonnen. Ein User schreibt zufrieden: "Ist das nicht ein erfreulicher Fortschritt?"

Chinesische Krankenschwestern und Soldaten auf dem Weg in die abgelegene Bebenregion (Foto: REUTERS)
Die Regierung sandte medizinisches Personal und paramilitärische Einheiten in die ErdbebenregionBild: Reuters

"Warnsystem verbessern"

Doch nicht alle sehen die Situation so positiv. Es sei noch viel zu früh, um über die gesamten Rettungsmaßnahmen ein angemessenes Urteil zu fällen, warnt der Schriftsteller Zhang Qingzhou. Er veröffentlichte im Jahr 2006 Reportagen zu einem verheerenden Erdbeben 1976 in der Nähe von Peking, bei dem rund 260.000 Menschen starben. Das Buch mit dem Titel "Erdbeben in Tangshan - eine Warnung an die Welt", setzte sich kritisch mit den Rettungsaktionen der Regierung auseinander. Es wurde postwendend verboten. Zhang Qingzhou, der in China als Erdbeben-Experte hohes Ansehen genießt, relativiert die jüngste Rettungsaktion: "Jedes Land wird in so einer Situation alle verfügbaren Ressourcen für die Rettung der Menschen in Katastrophengebieten nutzen. Ich meine, es wäre wirksamer, das Warnsystem für Naturkatastrophen funktionsfähiger zu machen als das Rettungswesen zu perfektionieren."

Eine Bewohnerin weint vor ihrem in Trümmern liegenden Haus (Foto: REUTERS)
Tausende Menschen haben ihre Häuser verlorenBild: Reuters

Spendenverhalten verändert

Auch das Spendenverhalten der Bevölkerung hat sich im Vergleich zum letzten Beben verändert. Vor fünf Jahren sammelte das Rote Kreuz Chinas binnen 30 Stunden rund 65 Millionen Yuan (8.1 Millionen Euro). Diesmal kamen in der gleichen Zeit weniger als die Hälfte, 26 Millionen Yuan, zusammen. User-Kommentare, zum Beispiel auf Sina Weibo, zeigen ein starkes Misstrauen gegenüber dem Roten Kreuz und anderen offiziellen Hilfsinstitutionen, berichtet Politikwissenschaftler Wu Qiang. Ein User erklärt, warum: "Ich spende nichts, es sei denn, die Regierung hebt die Monopolstellung des Roten Kreuzes auf. Dann spende ich doppelt." Tatsächlich konnte die zivilgesellschaftliche Stiftung "One Foundation" des ehemaligen Kungfu-Meisters und Schauspielers Li Lianjie schon am ersten Tag nach dem Beben Spenden in Höhe von 25 Millionen Yuan sammeln.