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Schneider-Deters: "Reine Hinhaltetaktik"

Roman Goncharenko22. Februar 2014

Die Vereinbarung zwischen Regierung und Oppositionsführern verfehlt ihre Wirkung. Nur der Rücktritt Janukowitschs kann die Situation in der Ukraine beruhigen, meint Publizist Schneider-Deters.

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Kiew Einigung zwischen Regierung und Opposition (Foto: REUTERS/Konstantin Chernichkin)
Bild: Reuters

DW: Seit der vergangenen Nacht wurde verhandelt, jetzt gibt es einen Kompromiss, der unter anderem eine Verfassungsänderung und Neuwahlen vorsieht. Was halten Sie von dieser Lösung?

Schneider-Deters: Ich halte nichts davon, das ist Hinhaltetaktik. Es muss jetzt eine Entscheidung fallen, nämlich jene, die der sogenannte Euromaidan verlangt: Janukowitschs Rücktritt.

Der Rat des Maidan, die politische Vertretung der Demonstranten, hat dem Kompromiss zugestimmt. Aber die Masse der Menschen auf dem Unabhängigkeitsplatz scheint dagegen zu sein. Sehen Sie einen Konflikt zwischen dem Maidan-Rat und den Menschen auf dem Maidan?

Die Entscheidung des Maidan-Rates wundert mich, weil er bislang sehr nah an den Menschen auf dem Maidan dran war. Als ich diese Nachricht hörte, war ich erstaunt.

Wie erklären Sie sich die Entscheidung?

Vielleicht ist da eine gewisse Müdigkeit nach drei Monaten des Protests, vielleicht schlagen ihnen die vielen Toten auf die Seele. Ich habe dafür keine Erklärung.

Porträt Winfried Schneider-Deters (Foto: Schneider-Deters)
Winfried Schneider-Deters: "Russland will keine konstruktive Rolle spielen und diktiert Janukowitsch die Vorgehensweise"Bild: Winfried Schneider-Deters

Glauben Sie, dass die Tausenden Menschen auf dem Maidan so lange dort bleiben werden, bis Janukowitsch zurücktritt?

Ich glaube nicht, dass sie den Platz verlassen werden. Dieses Regime, Präsident Janukowitsch und die maßgeblichen Leute um ihn herum, werden auch nicht nachgeben. Sie werden weiterhin - darin sind sie geübt - hinhalten, täuschen, die eigene Bevölkerung, die Opposition und die Europäer an der Nase herumführen.

Hat die Entscheidung der EU, Sanktionen zu verhängen, Janukowitsch kompromissfähiger gemacht?

Das glaube ich nicht. Das hätte außerdem viel früher kommen müssen. Vor einigen Tagen waren Vitali Klitschko und Arseni Jazenjuk bei Kanzlerin Angela Merkel. Sie hat Sanktionen abgelehnt. Es war davon die Rede, die Situation müsse sich erst noch weiter zuspitzen und verschärfen - und dann hat sie sich zugespitzt.

Sie sprechen Klitschko und Jazenjuk an. Wie beliebt sind sie derzeit bei den Menschen auf dem Maidan?

Es gab schon Tage, an denen sie ausgepfiffen wurden. Das war zuletzt nun nicht so. Aber von Beliebtheit kann keine Rede sein. Vielleicht spürt man, dass es ohne Politiker auch nicht geht, aber großes Vertrauen genießen die Herren nicht.

Wie groß ist im Moment die Gefahr, dass die Ukraine sich spaltet?

Es kann natürlich vorübergehend zu einer faktischen Spaltung kommen, aber sollte das Regime Janukowitsch diese Auseinandersetzung gewinnen, wird es die Ukraine nicht spalten. Janukowitsch will Präsident der ganzen Ukraine bleiben, auch wenn er längst nicht mehr ist als der Gouverneur Klein-Russlands von Putins Gnaden.

Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch, Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Polens Außenminister Radoslaw Sikorski (v. li. n. re.) vor der Unterzeichnung eines Kompromisses, der die Krise in der Ukraine beenden soll. (Foto: Reuters)
Führt die unter anderem von Frank-Walter Steinmeier (Mi.) moderierte Einigung zwischen Viktor Janukowitsch (li.) und der Opposition die Ukraine aus der Krise?Bild: Reuters

Wladimir Lukin, der für Russland an den Verhandlungen teilgenommen hat, soll die Kompromisslösung bisher nicht unterschrieben haben. Wie bewerten Sie die bisherige Rolle Russlands in diesem Konflikt?

Höchst negativ. Russland will gar keine konstruktive Rolle hier spielen. Putin will sich die Beute, die er nach dem Scheitern des Wirtschaftsabkommens zwischen der EU und der Ukraine gemacht hat, nicht wieder aus den Händen nehmen lassen. Lukin wurde geschickt, damit kein separater Deal zwischen Janukowitsch und der EU zustande kommt.

Viele Beobachter sagen aber, dass ohne Einbindung Russlands diese Krise nicht ohne großes Blutvergießen gelöst werden kann.

Ich halte das Gegenteil für richtig. Russland muss raus, denn Russland will gar keine Lösung. Russland will das Ganze und diktiert Janukowitsch die Vorgehensweise: Hinhalten und darauf warten, dass Opposition und Maidan wieder in den alten Konkurrenzkampf zurückfallen - damit in der Zwischenzeit die Truppen reorganisiert werden können.

Sie sind fast jeden Tag auf dem Maidan. Was hat Sie bisher am meisten beeindruckt?

Der Mut und die Tapferkeit der jungen Menschen, die gegen den kriminellen "Berkut" kämpfen, und sich im Übrigen sehr großzügig zeigen. Sie haben sehr viele Gefangene gemacht - Teile der Truppen des Innenministeriums haben sich ja ergeben - und diese wurden sehr nobel behandelt.

Wie wird sich die Situation nach Ihrer Einschätzung entwickeln?

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die Gewalt in den nächsten Tagen und Wochen nicht enden.

Winfried Schneider-Deters ist Publizist und hat lange für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) gearbeitet. Er war auch Leiter des Kiewer Büros der Stiftung.