Schach-WM: Wer folgt auf Magnus Carlsen?
8. April 2023Beim Duell in der kasachischen Hauptstadt Astana ist Magnus Carlsen nicht mehr dabei. Der weiterhin beste Schachspieler der Welt spielt zwar weiterhin Schach, aber meistens online und mit kurzer Bedenkzeit. Sein freiwilliger Verzicht auf die WM-Titelverteidigung hat den Schachsport in eine schwierige Lage gebracht: Schließlich hat der Dauer-Champion aus Norwegen in den vergangenen Jahren entscheidend zur wachsenden Popularität des traditionsreichen Denksports beigetragen.
Jura-Student gegen Schnellspieler
Das sieht auch Ding Liren so. "Schach hat dadurch an Glanz verloren", sagte der chinesische WM-Finalist Anfang Januar gegenüber der "Zeit". Er selbst möge es gar nicht, berühmt zu sein. Dabei ist Ding Liren, die aktuelle Nummer drei der Weltrangliste, in der Schachszene alles andere als ein Unbekannter. Seit einem Jahrzehnt spielt der frühere Jura-Student in der absoluten Weltspitze mit und ist ein starker Positionsspieler, der nur selten in die Gefahr gerät, eine Partie zu verlieren.
Das ist bei seinem Gegner in Astana ganz anders. Der Russe Jan Nepomnjaschtschi ist bekannt als ein Spieler, der sehr schnell zieht und immer gut für eine Überraschung ist. Mal wartet "Nepo" mit genialen Angriffsideen auf, mal leistet er sich haarsträubende Fehler. So zum Beispiel vor zwei Jahren in seinem WM-Match gegen Carlsen: Nach gutem Beginn verlor Nepomnjaschtschi plötzlich den Faden, kassierte drei Niederlagen und hatte am Ende keine Chance gegen den Norweger.
Schon vor dem WM-Kampf war der Russe trotzdem leichter Favorit. Die Erfahrung aus dem ersten WM-Kampf und die große Unterstützung durch die russische Schach-Szene sprechen für Nepomnjaschtschi. Das bestätigt auch Großmeister Peter Heine Nielsen, der als langjähriger Chefcoach von Magnus Carlsen genau weiß, auf was es in einem WM-Kampf ankommt: "Ding Liren muss persönlich extrem stabil auftreten, nur dann hat er eine Chance." Schon nach der zweiten Partie scheinen sich die Prognosen zu bestätigen. Nach einem Remis zum Auftakt gelang "Nepo" am Ostermontag der erste Sieg in diesem über maximal 14 Partien dauernden Duell.
WM im Schatten des Krieges
Doch in Astana geht es nicht nur um die besten Züge auf dem Schachbrett. Überschattet wird das Duell um die Carlsen-Nachfolge von dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Jan Nepomnjaschtschi tritt wegen der Sanktionen gegen Russland in Astana unter neutraler Flagge an. Er selbst hat im vergangenen Jahr einen offenen Brief russischer Schachspieler gegen den Krieg unterzeichnet. Dennoch dürfte ein möglicher Weltmeister Nepomnjaschtschi im schachbegeisterten Russland von der Propaganda gefeiert werden.
Kaum überraschend, dass es in diesem Umfeld dem Weltschachverband FIDE schwer fällt, die WM international zu vermarkten - obwohl der Schachsport zuletzt weltweit deutlich an Popularität gewonnen hat. Denn die FIDE hat ein traditionell eine Nähe zum Kreml und wird von einem Russen angeführt. So konnte der Verband erst im Januar einen Gast- und Geldgeber für den WM-Kampf präsentieren. Gesponsert wird der mit zwei Millionen Euro dotierte WM-Kampf jetzt von dem Finanz-Unternehmen des Milliardärs Timur Turlov, der allerdings auf der Sanktionsliste der Ukraine steht.
Turlov war bis Herbst 2022 russischer Staatsbürger und besitzt inzwischen einen kasachischen Pass. Zudem ist er seit kurzem Präsident des Schachverbands von Kasachstan. Laut FIDE-Chef Arkady Dvorkovich hatte der Weltverband auch ein Angebot aus Argentinien auf dem Tisch, die WM dort zu organisieren. "Wegen der Zeitzonen ist es aber bequemer für Fans in China und Russland das Match in einem Ort zu verfolgen, das zwischen diesen beiden Ländern liegt", erklärte Dvorkovich bei der Eröffnungspressekonferenz die Entscheidung für Astana. Peter Heine Nielsen, der als Kritiker des aktuellen FIDE-Präsidiums bekannt ist, zeigt sich von den Schachfunktionären enttäuscht: "Ich halte das für falsch. Der Schachsport boomt. Es sollte doch einfach sein, einen Sponsor zu finden, der nicht auf einer Sanktionsliste steht."
Die DW hat für diesen Artikel auch den Weltschachbund FIDE angefragt. Die eingereichten Fragen blieben bisher unbeantwortet (Stand: 06.04.2023, 14 Uhr).